© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Von wegen Hurra-Patriotismus
Zur Vorgeschichte der Konservativen Revolution: Zwei Neuerscheinungen über die deutsche Kriegspublizistik zwischen 1914 und 1918
Orlanda Rossetti

In seiner mittlerweile klassischen Studie zur Konservativen Revolution (KR) hatte Armin Mohler den Untersuchungszeitraum auf die Phase der Weimarer Republik begrenzt. Wie zahlreiche Pamphlete aus linker Feder zeigen, darf dieser Zeitraum problemlos bis in die Jetztzeit verlängert werden. Wie sieht es aber mit der Vorgeschichte von Mohlers Periodisierung aus?

Die Freiburger Historikerin Barbara Beßlich untersucht das Denken von Stichwortgebern für die KR in den Jahren von 1890 bis 1914. Der Philosoph und Weltanschauungsschriftsteller Rudolf Eucken, ein weiterer (späterer) Nobelpreisträger, nämlich Thomas Mann, der Wiener Literat Hermann Bahr und der Nationalökonom Johann Plenge werden von Beßlich unter der Kategorie "Zivilisationskritik" subsumiert. Diese Zivilisationskritik bildete sich als Reaktion auf die beschleunigte kapitalistische und naturwissenschaftliche Entwicklung in den 1890er Jahren heraus und nationalisierte sich im Ersten Weltkrieg. Das im Kulturkrieg von deutscher Seite oft bemühte Gegensatzpaar höherwertig innerlicher Kultur und künstlich-äußerlicher Zivilisation reicht also als breiter Diskurs keineswegs, wie schon Jörg Fisch gezeigt hat und Barbara Beßlich nun bestätigt, bis an die Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert zurück, schon gar nicht als nationale Zuschreibung von deutscher Kultur und westlicher Zivilisation, wie Norbert Elias behauptet hatte.

Barbara Beßlich ist vorsichtig mit dem Ziehen geistiger Verbindungslinien und will so weder Thomas Mann noch Plenge als Vordenker der KR in Anspruch nehmen. Denn Mann sieht Beßlich in das 19. Jahrhundert emigriert, während die KR ins 20. Jahrhundert gehöre und sich moderner Mittel bediente. Und auch Plenge grenzt Beßlich scharf von der KR ab: "Während die ‚Konservative Revolution‘ die Nation gegen den Staat mobilisieren wird, weil sie sich vom gegenwärtigen Staat der Weimarer Republik enttäuscht zeigt, kreisen Plenges Kriegsgedanken um den Staat als Apparat, nicht als organischen Träger einer Nation – auch hier dominiert wieder Rationalisierungswillen über Mystifizierung."

Da Piet Tommissen vor kurzem in der JF (52/00-01/01) auch Carl Schmitt von der KR abgetrennt hat, so scheint, wenn das so weiter geht, bald nichts mehr von ihr übrigzubleiben. Aber der lebensphilosophisch inspirierte Aktivismus Euckens, der zeitweilig in Basel Kollege des "Übervaters" der KR, Friedrich Nietzsche, war, Bahrs moderner Antimodernismus, Manns Abgrenzung vom Westen und Plenges Sozialismusverständnis weisen doch deutlich in Richtung KR. Besonders deutlich werden die Einflußverhältnisse beim 1920 gegründeten Eucken-Bund.

Was sehen die inhaltlichen Ergebnisse von Beßlichs Studie aus? Nach der Lektüre ihres Buches wird man drei Dinge nicht mehr behaupten können:

- Moderne Kunsttheorie könne nicht mit konservativer Politikauffassung zusammenpassen, dagegen steht das Beispiel Hermann Bahrs.

- Es gebe eine unmittelbare Kontinuität von der Zivilisationskritik des Kaiserreiches über die Weltkriegspublizistik und die KR zum Dritten Reich hin. Dagegen steht das Beispiel Plenges, der zwar einen nationalen Sozialismus entwarf, im Dritten Reich zu seinem Leidwesen jedoch weder persönlich reüssieren konnte noch von den Nationalsozialisten als Vorläufer in den Dienst genommen wurde, übrigens ebenfalls zu seinem Leidwesen. Vor allem steht dagegen jedoch die erst nachträglich vorgenommene Nationalisierung der ursprünglich national nicht festgelegten Zivilisationskritik.

- Der Begriff "Neuer Nationalismus" von Stefan Breuer sei Mohlers KR-Begriff überlegen. Beßlich zeigt sehr genau, daß der Nationalismus der behandelten Autoren ein Sekundärphanomen des Ersten Weltkrieges war, während ihre Zivilisationskritik, die bei Plenge keineswegs antimodernistisch ausfiel, inhaltlich und zeitlich weiter reicht. Wenn sich also in den Wurzeln der KR weder ein neuer noch ein alter Nationalismus als entscheidend darstellt und man Mohlers Untersuchungszeitraum vor allem im Hinblick auf das Datum 1918 als doch etwas willkürlich empfindet, so erweist sich die Rede vom "Neuen Nationalismus" als denkbar ungeeignet, die Spezifika etwa des Plengeschen sozialistischen Konservativismus einzufangen.

Diese Ergebnisse der Arbeit von Frau Beßlich lassen darüber hinwegsehen, daß sie nicht allzu sattelfest in der Philosophie ist und manches Detailurteil bestreitbar ist. Im Vergleich mit anderen neueren Studien zum Thema, zum Beispiel von Kurt Flasch (siehe JF 27/00), Helmut Fries, Stefan Breuer, von der akademischen Antifa-Literatur ganz zu schweigen, erweist sich ihre Studie als überlegen.

Der Verbindung von literarischer Modernität und affirmativer Kriegspublizistik zwischen 1914 und 1918 ist auch ein Sammelband mit dem nicht ganz so orginellen Titel "Krieg der Geister" gewidmet. In welch geistiger Blüte sich die deutschsprachige Literatur vor bald hundert Jahren befand, zeigen die hier untersuchten Literaten: Das Spektrum umfasst Arthur Schnitzler, Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Stefan George, Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann, Rudolf Borchardt, Hermann Hesse, Robert Musil, Franz Kafka, Stefan Zweig und Oskar Maria Graf. Nach dem eher belanglosen Geburtsjahrgang geordnet, werden die Schriftsteller und ihre literarische Verarbeitung des Ersten Weltkrieges behandelt. Die Literaten werden auf diese Weise unvermittelt nebeneinandergestellt, zumal auch ein bilanzierendes Schlußkapitel schmerzlich fehlt. Der Leser muß sich mit einem knapp sechsseitigen Einführung zufrieden geben, in der die Herausgeber Uwe Schneider und Andreas Schumann ihr Programm einer Differenzierung der so "häufig betonte(n) Reduktion auf allfälligen Hurra-Patriotismus" vorstellen und die Pluralität der Deutungsmuster als Signum der Moderne interpretieren. Damit wollen sie auch vor allzu schnellen Schuldzuweisungen abrücken – das Wort "Schuld" erscheint nur noch in Anführungszeichen. Zentrales Thema der vorgestellten Literaten, die im Gegensatz zum 51jährigen Kriegsfreiwilligen Richard Dehmel alle nicht an der Front standen, teilweise als kriegsuntauglich ausgemustert oder wie Stefan Zweig im Kriegsarchiv Dienst leisteten, war der Zusammenhang von Kultur und Krieg und die Frage nach der Aufgabe des Künstlers im Krieg. Auf keinen Fall wollten sie tagespolitische Kommentare liefern, wenn sie auch nicht alle wie Stefan George geradezu ausrasteten, wenn ihnen eine Tageszeitung in die Nähe kam. Diese Zurückhaltung erklärt sich weniger aus einem Mißtrauen gegenüber einseitiger Berichterstattung und Zensur: Hier stellte Stefan Zweig gegenüber seinem Freund Romain Rolland klar, daß dies nur ein Problem der Alliierten sei. Vielmehr sahen die Schriftsteller ihre Kompetenz in dem Aufweis großer ästhetischer und historischer Zusammenhänge. Entgegen der gern verbreiteten These vom Sündenfall Thomas Manns im Ersten Weltkrieg streicht dabei Jürgen Eder die Kontinuität in Thomas Manns Schaffen heraus. Mit dem Thema Friedrich II., das Mann 1915 in "Friedrich und die große Koalition" bearbeitete, hatte er sich schon vor dem Krieg getragen, den "Zauberberg" und auch "Doktor Faustus" liest Eder als Fortsetzung der "Unpolitischen Betrachtungen". Dabei macht er sowohl auf den von konservativer oder gar alldeutscher Rhetorik sich absetzenden Duktus von Manns Kriegsschriften aufmerksam wie auf: "Sein lebenslanges Festhalten an den ‚Betrachtungen‘", trotz Bekehrung zum Republikanismus.

Streicht Eder für Mann Kontinuitäten heraus, so destruiert Bettina Hey’l mit spitzer Feder den von Stefan Zweig in seiner Autobiographie "Die Welt von gestern" (1941) geschaffenen und vielfach gern geglaubten Mythos vom lebenslangen Pazifisten. Der Titularfeldwebel Zweig war gegenüber patriotisch-bellizistischen Deutungsmustern keineswegs immun, im Kriegsarchiv war er sogar damit beschäftigt, Heroenbiographien zu schaffen. Zweig also ein Feierabendpazifist? Selbst das will Hey’l nicht uneingeschränkt gelten lassen. Zwar äußerte sich Zweig, der sich ab dem Spätherbst 1916 mit Billigung der offiziellen Stellen in der Schweiz aufhielt, in der zweiten Kriegshälfte durchaus humanistisch-pazifistisch. Doch hält die Autorin Zweigs Pazifismus auch dann für schwach und mehr emotional denn politisch motiviert. Zweigs Wendung interpretiert sie als Suche nach einer Identität und innerer Wahrhaftigkeit, die er dann im Judentum "als geistiger Größe" gefunden habe. Zweigs Weg führte in die Innerlichkeit, dem im Weltkrieg so oft beschworenen Spezifikum der deutschen Seele.

Dort war der Geistesaristokrat Stefan George schon lange angelangt. Daher findet sich bei diesem Übervater der KR auch nicht das "Begeisterungsfieber", das 1914 zumindest die Intellektuellen ergriff. Den Krieg bezeichnete er einmal als lediglich "episodisch", ein anderes Mal als ein Mißverständnis. Sein Gedicht Der Krieg übt sogar Kritik an der geistigen Polarisierung. Ein weiterer KR-Ahnherr, der den Begriff 1927 selbst verwendete, Hugo von Hofmannsthal, zeigte sich im Krieg politischer und patriotischer. Dies allerdings im Sinne einer "österreichischen Idee", die sich von Preußentum und Nationalismus vorsichtig distanziert, und das übernationale Staatsideal der Habsburger, deren Reich er als "Europa im Kleinen" empfindet. Europa als Kulturraum wird bei Hofmannstahl ab 1917 zum zentralen Gegenstand seines Nachdenkens, das den Weg in die Entpolitisierung beschreitet.

Die Beiträge des Bandes sind von sehr unterschiedlicher Qualität. So wirft etwa Klaus Schuhmachers Aufsatz über Heinrich Mann leider alles durcheinander: Den Autor der "Ideen von 1914" (nämlich Plenge) mit ihrem Popularisierer (nämlich Kjellén), ihre Ausrichtung (nämlich zukunftsorientiert) mit ihrer heute vermeintlich eindeutigen Bewertung ("gestrig"). Dem Band hätte ein Autorenverzeichnis, das dem Nicht-Germanisten bei der Einordnung der Autoren geholfen hätte, sehr gut getan.

 

Barbara Beßlich:Wege in den "Kulturkrieg". Zivilisationskritik in Deutschland 1890–1914, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, IX und 416 S., 98 Mark (für Mitglieder: 78 Mark)

Uwe Schneider, Andreas Schumann (Hg.): "Krieg der Geister". Erster Weltkrieg und literarische Moderne, Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, 313 Seiten, 68 Mark


 
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