© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Szenen einer Ehe
Theater: Ephraim Kishon inszeniert "Es war die Lerche"
Moritz Schwarz

Sie versprechen Treue, ewiges Glück und den "Beginn einer langen Freundschaft" – die letzten Bilder in Kino und Theater: Der Ritt in den Sonnenuntergang oder der immerwährende Kuß. Die melodramatische End-Totale verleiht dem Augenblick Ewigkeit. Ein geheimer Selbstbetrug, stillschweigend verabredet zwischen Stückeschreibern und Zuschauern. Während das wahre Leben vom Alltag eingeholt wird, lieben Romeo und Julia sich in alle Zeit. Welch‘ Schelm, welch‘ Ruhestörer der da wagt zu fragen: "Wirklich?" Der Schelm heißt Ephraim Kishon, bekannt für das Unterlaufen bürgerlicher Wahrheiten zugunsten der Realität. Was wäre geworden, wäre Julia nur einen Moment früher erwacht? Richtig, alles wäre schlecht ausgegangen.

Für das Tournee-Thater Greve, Hamburg inszeniert der weltbekannte Satiriker und Autor im Sachsenwald Forum Reinbek sein Stück "Es war die Lerche": Romeo Montague und Julia Capulet haben sich nicht an Shakspeares Regieanweisungen für die letzte Szene gehalten und büßen dies mit einer Ehe lebenslänglich. Ein Thema, daß Kishon, neben der Steuer, für das Menschheitsthema hält: "die zwei größten Fiaskos der Menschheit sind die Ehe und die Einkommenssteuer. Beide Institutionen sind gegen die menschliche Natur: Daß ein Mensch Tag und Nacht arbeitet, und dann kommt ein anderer und nimmt ihm neun Zehntel davon weg. Und daß man mit nur einer Ehepartnerin ein ganzes Leben verweilen soll ... Eine Periode lang ist jede Ehe wunderbar. Das kann eine halbe Stunde dauern oder 25 Jahre." Bekannt ist ja, daß Kishons Ehe zu letzteren zählt: " Ich darf diese mörderische Meinung äußern, weil ich eine ausgezeichnete Ehe habe." Kein Wunder bei "der besten Ehefrau von allen".

Ergraut und faltenreich leben Romeo und Julia Montagou-Capulet zwischen Kleinkrieg und Langeweile. Geplangt von einem Töchterlein (Gisela Ferber), einer vernachlässigten Blond-Göre, die ihre Eltern so wenig leiden kann, wie diese sich gegenseitig.

Romeo (Peer Augustinski), mit schütterem Haar und Bauchansatz, widmet seine Leidenschaft dem Verzehr von Rettichen und pflegt seine geheime – tatsächlich jedoch längst von seiner Frau durchsachaute – Intimität mit "Lisa", seiner Wärmflasche. "Es ist was sexuelles" vertraut Julia (ebenfalls Gisela Ferber), vom Bettwärmer ausgestochen, dem Beichtvater an, und lotet aus, inwieweit die Ehe annulierbar sei. Doch "Unzucht mit einer Minderjährigen", läßt der Pater (ebenfalls Peer Augustinski) als Grund nicht gelten – es habe sich schließlich um die Hochzeitsnacht gehandelt. So kommt sie schließlich, in Erinnerung an einst, auf den Gedanken, daß Gift nicht nur einem toten Geliebten nahebringen, sondern einen Lebendigen auch entfernen kann. Wie günstig, daß der Pater noch eine Phiole des klassischen Ehekrisengebräus bei sich trägt, das er, wie er verrät, in "Hamlet" des "edlen Dänen Vater aus dem Ohr gekratzt" hat.

Auch Romeo kommt zu dem Schluß das Gift der beste Weg zur Ruhe ist. Und zudem den Fluß der Erbmasse der greisen Schwiegermutter Capulet (nur teichoskopisch vorhanden) direkt in sein Schatulle ganz wesentlich verkürzt. Konsequent kommt er gar zu dem Schluß, daß was täglich beim Spaziergang beinahe auf der Treppe fällt, mit Hilfe der Amme (schon wieder Gisela Ferber) gestoßen werden muß.

Vor ausverkauften Haus nimmt so das "heitere Trauerspiel mit Musik in zwei Akten" (Programm) seinen Lauf. Doch Kishon begnügt sich nicht mit der Eindimensionalität der Fabel. So schwappt das Stück zuweilen über den Bühnenrand, um dem Personal Gelegenheit zu geben, auch mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen: "He, Sie in Reihe drei, links – wer ist die Frau neben Ihnen?" "Meine zweite Frau." "Wie sind Sie die erste losgeworden?" Da wird der Pianist im Orchestergraben besucht oder der im Publikum sitzenden Premieren-Regisseur (rasender Applaus) selbst um Rat gebeten.

Eine dritte Ebene eröffnet das Stück, als William Shakspeare "höchstselbst" (Rainer Delventhal) auftaucht und die Figuren sich als Figuren in einem Stück erkennen. Ob er, Shakespeare, ihn, Romeo, nicht einfach komplett aus dem Stück herausstreichen könne? Doch der "Schwan von Avon" pocht auf die Gesetze des Dramas. Kann man da auf Einzelschicksale Rücksicht nehmen? Also bleibt doch nur Gift... Auch die Frage, ob Shakespeare wirklich Shakespeare war oder vielleicht nicht doch nur sein eigener Ghostwriter, erörtert Kishon, nicht ohne die Diskussion der Fachwelt ordentlich auf den Arm zu nehmen. Während sich schließlich der Tod der Schwiegermutter einstellt, das Fräulein Tochter, inzwischen in "Willy" verliebt, mit dem Dichter durchzubrennen versucht, kommt es zum gegenseitigen Gifteinflößen des einstigen Traumpaares des Abendlands. Das Ende ist dennoch versönlich: Kishon eben, der nie den Humor verliert.

Das die Mimen wegen der permaneten Beanspruchung durch verschiedene Rollen in ihrem Spiel auf kommödiantische Klischees zurückgreifen müssen, fügt sich ohne Nachteil ins Stück: Findet sich doch das Anliegen des Autors nicht in der Entwicklung der Figuren, sondern in der heiter-turbulenten Bespiegelung seines Themas. Der hintergründige Witz ergibt sich aus dem Schatz an eigenen Erfahrungen des Zuschauers, auf den der Autor so geschickt anzuspielen weiß. Der philosophische Tiefsinn verbirgt sich in der Weisheit des Humors, der diese Farce zum Funkeln bringt.

Der Jubel des Publikums schließlich galt spürbar nicht nur dem Stück, sondern ebenso dem auf die Bühne tretenden Autor und Regisseur. Und wie ein echter Schelm, nahm‘s Kishon hin: mit bescheidenem Lächeln und niedergeschlagenen Augenlidern. Weitere Aufführungen finden noch bis zum 11. Mai in 80 deutschen Städten statt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen