© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Modelle des Menschen-Möglichen
Ausstellung: Bernhard Heiligers "Köpfe" in Wuppertal
Doris Neujahr

Bernhard Heiliger bildet gemeinsam mit Karl Hartung und Hans Uhlmann jenes maßgebliche Dreigestirn, auf das der Neubeginn der deutschen Plastik nach dem Zweiten Weltkrieg datiert wird. Seine Großplastiken haben Eingang in den öffentlichen Raum gefunden. So ziert beispielsweise seine Bronze "Die Flamme", in der die Motive eines auflodernden Feuers und eines Flügelpaares miteinander verschmolzen sind, seit 1963 den Berliner Ernst-Reuter-Platz, einen hauptstädtischen Verkehrsknotenpunkt.

Die 1996, ein Jahr nach dem Tod des Künstlers, gegründete Bernhard-Heiliger-Stiftung veranstaltet zur Zeit eine Ausstellung "DieKöpfe". Die gezeigten knapp vierzig Kopfplastiken aus Zement oder Bronze hatte Heiliger vorwiegend in den fünfziger und frühen sechziger Jahren angefertigt. Seine Modelle waren bekannte Persönlichkeiten der Wirtschaftswunderzeit: Künstler, Politiker, Industriekapitäne, Architekten, Mäzene. Viele dieser Werke waren bisher unbekannt, entweder, weil Heiliger sie nicht in sein Werkverzeichnis aufnahm, oder weil sie sich in Privatbesitz befinden. Nachdem die Exposition im Georg-Kolbe-Museum in Berlin zu sehen war, wird sie jetzt im Wuppertaler Von der Heydt-Museum gezeigt. Bis März 2002 folgen weitere Stationen in ganz Deutschland.

Heiliger, der 1915 in Stettin geboren wurde, absolvierte zwischen 1930 und 1933 in der pommerschen Provinzhauptstadt eine Lehre als Steinbildhauer. Daran schloß sich eine Ausbildung an der Stettiner Werkschule für Gestaltende Arbeiten an. 1938 ging er an die Vereinigte Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst nach Berlin, wo der Bildhauer Arno Breker seit 1937 eine Professur innehatte. Über seine Zeit bei Breker hat Heiliger sich kaum geäußert. Auch die Ausstellung bietet über mögliche Einflüsse Brekers auf seinen Schüler und über eventuelle Kontinuitäten oder Brüche in Heiligers Werk keinen Aufschluß. Auf Anfrage erklärte Heiliger 1977 unwirsch, die Lehrzeit in Berlin sei "wahrhaft unbedeutend (gewesen). Niemand in dieser Zeit hat etwas lernen können, weil es nichts zu lernen gab! Alles was ich lernen konnte, habe ich erst nach dem Krieg alleine erarbeitet."

Immerhin konnte Heiliger im Frühjahr 1939 – gewiß nicht ohne Brekers Empfehlung – eine Studienreise nach Paris unternehmen, wo er den berühmten Aristide Maillol kennenlernte. Und als er 1941 an die Ostfront eingezogen wurde, erreichte Breker seine zeitweilige Freistellung vom Frontdienst. Durch ihn erhielten Heiliger und sein Mitstudent Gregor Kruk einen Atelierraum in Wriezen/Oder. Nach dem Krieg trat Heiliger als Belastungszeuge gegen Breker auf. Gegen Kriegsende flüchtete Heiliger nach Hamburg. Ende 1945 kehrte er nach Berlin zurück. Schon 1946 fand hier eine erste Ausstellung seiner Werke statt. Er erhielt nun selber einen Lehrauftrag an der Hochschule für Angewandte Kunst im Ost-Berliner Bezirk Weißensee und gewann 1948 den Wettbewerb für ein Max-Planck-Denkmal. Das Denkmal wurde jedoch nicht wie geplant vor der Berliner Humboldt-Universität aufgestellt. Nach dieser Enttäuschung und der Berufung an die Hochschule für Bildende Künste durch den Maler Karl Hofer (1878–1955) siedelte er von Ost- nach West-Berlin über. In der Bundesrepublik wurde er schnell bekannt. Nach seiner Teilnahme an der ersten "Documenta" 1955 in Kassel avancierte er zu einem der wichtigsten Bildenden Künstler und wurde mit Preisen überhäuft. Er starb 1995 in Berlin.

Seine "Köpfe" betrachtete er – anders ist die Nachlässigkeit in seinem Werkverzeichnis nicht zu erklären – nur als Nebenprodukte. Gleichwohl haben sie zu seiner Popularität wesentlich beigetragen. 1951 fertigte Heiliger eine Kopfplastik Karl Hofers an, die zu einer Ikone der fünfziger Jahre wurde. Hofer war im Dritten Reich mit Malverbot belegt worden. 1943 traf eine Bombe sein Haus in Berlin und vernichtete einen Großteil seines Werkes. Heiligers Plastik ist das Porträt eines von der Geschichte und vom Leben schwer Gezeichneten. Sie drückt durch den dynamischen Bogen in der Nackenpartie eine große innere Bewegung aus. Gleichzeitig sind die Einzelheiten der Gesichtsfläche äußerst reduziert und "konsequent auf die Augen hin organisiert" (H. Demisch), wodurch sich dem Betrachter der Vorgang des intensiven, durchdringenden Schauens mitteilt.

Ein Kunstkritiker bezeichnete 1951 das Werk als "erregend": "Es ist von einer entwaffnenden Ähnlichkeit und gleichzeitig ganz plastisch. Wie Heiliger das zuwege gebracht hat, ist rätselhaft."

Eindrucksvoll ist auch die Kopfplastik des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter, die Heiliger 1954 posthum anfertigte. Das großflächige Gesicht mit den geweiteten Augen und dem halbgeöffneten Mund verraten etwas vom Charisma und der mitreißenden Kraft dieses Vollblutpolitikers, der den Westteil der Stadt durch lebensgefährliche Krisen gesteuert hatte. Gleichzeitig liegt ein demütiges Staunen auf dem Gesicht: Es war eben nicht der schiere Machtwille, sondern die Verpflichtung auf ethische Werte, die Reuter beseelte. Heiliger ging es bei seinen Porträts primär weder um fotografische Ähnlichkeit noch um empfindsame Nervenkunst. Durch die Verbindung von Archaismus, Abstraktion, Reduktion und Psychologie versuchte er, das innerste Wesen der Porträtierten als Modelle des Menschen-Möglichen herauszustellen. Seine besten künstlerischen Abbilder haben sich tatsächlich von ihren personalen Vorbildern abgelöst und sind zu Sinnbildern geworden.

Der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976) hat das "Rätsel" von Heiligers Porträtkunst zu beschreiben versucht: "Ein Kopf ist kein mit Augen und Ohren behafteter Körper, sondern vom blickenden und hörenden In-der-Welt-sein geprägtes Leibphänomen. Wenn der Körper einen Kopf modelliert, so scheint er nur die sichtbaren Oberflächen nachzubilden; in Wahrheit bildet er das eigentlich Unsichtbare, nämlich die Weise, wie dieser Kopf in die Welt blickt, wie er im Offenen des Raumes sich aufhält, darin von Menschen und Dingen angegangen wird."

Die 1964 angefertige Plastik Heideggers wirkt allerdings fragmentarisch und verrät dem Betrachter keine originelle Einsicht über diesen sphinxhaften Jahrhundertgeist. Das muß nicht, wie der Katalogtext mutmaßt, unbedingt am zunehmenden Desinteresse Heiligers an dieser Kunstform liegen. Es stellt sich die Frage, ob Heidegger, der über Heiligers Kunst so souverän reflektierte, dessen künstlerischen Mitteln überhaupt noch zugänglich war, ob er nicht notwendig dahin tendierte, sie aufzuheben, zu manipulieren oder sich ihnen zu verschließen.

Davon abgesehen, war die Unlust an der Porträtplastik, die Heiliger inzwischen beschlichen hatte, durchaus verständlich. Längst gehörte es für die bundesdeutsche Prominenz – von Altbundespräsident Theodor Heuss über den Architekten Walter Gropius bis zum Schauspieler O. E. Hasse – zum guten Ton, für Heiliger Modell zu sitzen. Die Plastik Heinrich Nordhoffs (1899–1968), dem Generaldirektor der Volkswagenwerke in Wolfsburg, prangte sogar 1959 auf dem Titelblatt des Spiegel. Durchaus möglich, daß die Vorstellung, inzwischen als Staatskünstler vereinnahmt zu werden, Heiligers Kreativität lähmte. Der Kopf Ludwig Erhards (1897–1977), des "Vaters des Wirtschaftswunders", den er 1962 zu dessen 65. Geburtstag anfertigte, wirkt merkwürdig uninspiriert und in seiner Kompaktheit selbstzufrieden, feist, ungeistig. Aber vielleicht barg diese Symbolfigur des deutschen Wirtschaftswunders ja tatsächlich keine tieferen Geheimnisse.

 

Die Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal läuft vom 18. Februar bis zum 22. April. Weitere Termine: Kunstmuseum Unserer Lieben Frauen, Magdeburg (2. 5. bis 15. 7.), Edwin Scharff Museum, Neu-Ulm (26. 7. bis 21. 10.), Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg (18. 11 bis 15. 1. 2002). Hirschwirtscheuer, Künzelsau (24. 1. bis 24. 3. 2002). Der Katalog kostet 29 Mark.


 
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