© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/01 16. Februar 2001 |
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Die Züchtung des Menschen Gentechnik: Eine Debatte im Spannungsfeld zwischen Glauben und Machbarkeit Klaus Kunze Gegen Glauben kann man nicht sinnvoll streiten, denn gegen ihn kämpfen selbst Götter vergeblich. Wer aus Glaubensgründen jeden Eingriff in die menschlichen Gene für "böse" und "sündig" hält, muß aber nicht rationalen Argumenten unzugänglich sein. Die Christen Thomas von Aquin im 13. und Juan Donoso Cortéz im 19. Jahrhundert bilden glänzende Beispiele rationaler Argumentation: Ihr Verstand suchte nachzuweisen, was ihr Glaube schon vorher "wußte". In der Gentechnikdebatte ist Christen zuzugeben, daß Gentechnik "verboten" ist; aber nur für den, der viel Glauben mitbringt: 1. an die Existenz seines Gottes, 2. an die Wahrheit der biblischen Offenbarung einer "Schöpfung" und 3. an ein Gebot dieses Gottes, in die Evolution nicht durch Änderung des Erbgutes einzugreifen. Vernünftige Christen erkennen, daß bloßer Glauben an alles dieses keine Überzeugungskraft für jemanden besitzt, der nicht an die Befehle jenes Gottes und an ihre Interpretation durch seine Gläubigen glaubt. Mit den anderen zu diskutieren ist so witzlos wie ein Streit, ob Gott Jehova heißt und die Einehe befiehlt, oder ob er Allah heißt und Harems erlaubt. Relevanter sind die künftigen Wirkungen der neuen gentechnischen Realität in einer ideologischen Kontroverse, die früher in die Rechts-Links-Schablone gesteckt wurde. Die "Gleichheit alles, was Menschenantlitz trägt", ist ein tragendes Ideologem der industriellen Massengesellschaft. Es stützt funktional die beliebige Austauschbarkeit jedes Menschen mit jedem anderen in einer globalen Geldwirtschaft. Konsequenter-weise leugnet diese Ideologie substantielle Unterschiede zwischen Einzelmenschen und -völkern. Dem auf seine bloße Funktion reduzierten Einzelnen legt sie zugleich nahe, seine Lösung aus jedem familiären oder kulturellen Zusammenhang als befreiende Bedingung seiner Menschenwürde zu verstehen. Dieser Ideologie droht ein tödlicher Stoß durch Anwendung der Gentechnik auf den Menschen, was ihre Protagonisten bereits dumpf ahnen. Jene wird die Menschen nämlich "ungleicher" machen als je zuvor. Wenn Rechte der Gleichheitsideologie die empirische Ungleichheit entgegenhielten und ein "realistisches Menschenbild" einforderten, redeten freilich beide Seiten aneinander vorbei: Stellten sich die einen eine "spirituelle" Gleichheit aller Menschen "in ihrem Menschsein" vor, meinten die anderen genetische und morphologische Unterschiede, die etwa ihr "Deutschsein" ausmachten. Gläubige Metaphysiker sind die einen wie die anderen, sobald sie an Werthaftigkeit ("Menschenwürde") oder Höherwertigkeit (von Rassen) glauben. Jeder Mensch habe dieselbe Würde "als Mensch" oder jeder Deutsche habe einen absoluten Wert "als Deutscher" beruht auf strukturell gleichem, metaphysischen Denken mit geringfügig unterschiedlichem Denkinhalt. Die geringen biologischen Unterschiede zwischen Menschen scheinen im Zuge weltweiter Durchmischungen an künftiger Bedeutung zu verlieren, zumal Genetiker behaupten, abgrenzbare Menschenrassen gebe es nicht. Das könnte sich bald ändern, sofern auch nur irgendwo auf der Welt Gentechniker, unbehindert von politischen Verboten, den Homo superior schaffen. Amerika in seiner Freiheit ist eine Retorte für allen möglichen Sinn und Unsinn. Dort glauben Millionen an Hexen und Einhörner, da lassen sich todkranke Reiche einfrieren in der Hoffnung, in einer medizinisch fortgeschrittenen Zukunft aufgetaut und geheilt zu werden. Die in Kalifornien ansässigen Extropianer möchten ihre Evolution selbst in die Hand nehmen, und ihr Exponent Max More fordert unbeschränkte Eingriffe in die menschliche Keimbahn, um "immer tiefere und umfassendere Verbesserungen des menschlichen Seins zu erreichen". In seinem Optimismus gleicht er jenem "Friedrich auf der Hut", der im ZEITmagazin vom 29. Oktober 1993 unter dem Titel "Gleich und gleich macht krank und bleich" die Schaffung einer "höheren" Menschheitsmischrasse forderte, weil das deutsche Volk ohnehin inzüchtig-dekadent sei: "Die Gesetzgeber aller Länder sind nun gefordert. Ehen unter Gleichhäutigen, Gleichhaarigen und Gleichäugigen müssen strikt untersagt werden. Ziel: Hebung des globalen Intelligenzquotienten. ( ) Helfen Sie ( ) mit, den Homo futurus ( ) zu schaffen." In der Kontroverse stehen sich eine radikal individualistische und eine kollektivistische Ideologie gegenüber. Beide erklären sich für objektiv vorhanden und beanspruchen absolute Geltung. Die eine will das Ideologem "Freiheit" nützen und propagiert: "Mein Genom gehört mir!" Sie fordert das Recht, unbeschränkt über die Gene der eigenen Nachkommen zu verfügen. Die andere klagt ein "moralisches Recht der Gesellschaft" ein, über das Fortpflanzungsverhalten der Individuen durch restriktive Gesetze zu bestimmen. Ihr Rückzugsgefecht begann beim vergeblichen Kampf gegen die Abtreibung und gegen die künstliche Befruchtung. Es ist absehbar, daß sie nicht wird verhindern können, was irgendwo auf der Welt machbar ist, wenn sich jemand findet, der es tun will. Daß geschehen wird, was geschehen kann, sollten wir als Tatsache nehmen und nach den gesellschaftlichen und ideologischen Spätfolgen fragen. Hinter den ideologischen Spruchbändern könnte sich ein realer Interessenkonflikt verbergen. Wer von den rund sechs Milliarden Menschen wird sich voraussichtlich leisten können, seine Kinder mit sicherer Option auf Intelligenz, Schönheit und Resistenz gegen Krankheiten zu (er)zeugen? Wenn die Kräfte des Möglichen frei walten, könnte es in einigen Jahrhunderten tatsächlich genetisch verschiedene "Rassen" geben: Die bisherigen Durchschnittsmenschen mit allen Fehlern und Schwächen hier, die maßgeschneiderten Nachkommen der heutigen finanziellen Eliten dort. Ideologisch werden sie das Menschenrecht auf Ungleichheit und darauf vertreten, ihre Kinder genetisch mit dem Besten vom Besten auszustatten. Diese Ausstattung wird ihren im gesellschaftlichen Kampf um Einfluß und Macht einen unaufholbaren Vorteil verschaffen. Sie werden ebensowenig auf einem Flecken siedeln wie der historische Adel, und sie werden gleichwohl unter sich bleiben. Schwiegertöchter aus gewöhnlichen Genlinien könnten sie aufgenen. Wenn wir dies unseren Nachkommen nicht wünschen, ist eine langfristige Abspaltung reicher Homines superiores von der übrigen Art gefährlich. Soll der Gen-Pool einheitlich bleiben, müßten Segnungen wie auch Risiken der Gentechnik breit gestreut werden. Dazu müßte ihre Anwendung allgemein erlaubt sein. Mittelfristig dürfen wir uns auf eine interessante ideologische Kontroverse freuen. Metaphysische Antiquitäten wie der Glaube an einen eifersüchtig den genetischen Status quo hütenden Schöpfer oder eine rächende Natur werden mit ihren Gläubigen generationsbedingt abtreten. Die ideologischen Gräben werden auf der gemeinsamen Grundlage einer Moderne aufbrechen, in der Begriffe wie Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenwürde allgemein akzeptierte Grundlage sind. Die Geister werden sich darin scheiden, was sie konkret besagen und wie Spannungsverhältnisse zwischen widerstreitenden Ideologemen aufzulösen sind. Wie weit darf unter Geltung des demokratischen Prinzips durch Majoritätsentscheid das Recht des Individuums eingeschränkt werden, über seine eigene körperliche Gestaltung und die seiner Nachkommen zu entscheiden? Welchen inhaltlichen Sinn wird das demokratische Postulat behalten in einem globalen Markt, in dem die Verbindung von Menschen zu einem politischen Demos zur Fiktion tendiert und internationale Konzerne mehr Macht über den Einzelnen gewinnen als jemals zuvor Gebilde wie ein Staat? Und welche wirkliche Bedeutung wird etwa ein Recht auf genetische Selbstbestimmung in einer Zukunft haben, in der Eltern das Fortkommen ihrer Kinder dadurch fördern, daß sie die genetische Wahl vorsorglich nach den Prärogativen und Erfordernissen multinationaler Konzerne treffen, die ihnen Arbeit geben, die Lebensvorsorge treffen, deren Speise sie essen und die ihnen einflüstern, was in und was out ist? |