© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
Kunst: Sieben-CD-Set zeichnet das musikalische Schaffen Volker Lechtenbrinks nach
Mit vielen Saiten bespannt
Holger Stürenburg

Der heute 56jährige, seit seiner Kindheit in Hamburg ansässige Volker Lechtenbrink ist ein echtes Multitalent. Er fungierte bereits in Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre als Filmschauspieler in anspruchsvollen Kinofilmen ("Die Brücke" von Bernhard Wicki, 1959) wie auch in seichten Streifen ("Bei Pichler stimmt die Kasse nicht", 1961).

Doch nicht nur als angesehener Schauspieler ist der Hamburger bekannt und beliebt, sondern vor allem als Musiker, Liederschreiber und Countrysänger. Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres veröffentlichte die Firma "Bear Family" ein umfangreiches CD-Set unter dem Titel "Der ganze Lechtenbrink". Auf diesen insgesamt sieben CDs befinden sich tatsächlich alle Lieder, die Volker Lechtenbrink im Zuge seiner fast 15jährigen Popkarriere aufgenommen hat.

Lechtenbrink war einst auf die Idee gekommen, sich neben der Schauspielkunst auch der leichten Muse zu öffnen, als er 1975 auf einer Party des friesischen Jazzmusikers Knut Kiesewetter eingeladen war und diesem einige Übersetzungen von Songs und Balladen des amerikanischen Countrymusikers Kris Kristofferson vorstellte. Er hatte zusammen mit einer Freundin die Originale wörtlich übersetzt. Diese wurden nun von Kiesewetter in poptaugliche Reime gefaßt und verschiedenen Künstlern angeboten. Aber viele deutsche Schlagersänger lehnten Lechtenbrinks Texte ab, zumal nicht nur popuntypische Themen wie Alkoholismus oder Homosexualität darin vorkamen, sondern auch bislang in Schlagern nicht gesungene Worte und Aussagen. Also überredete Kiesewetter Lechtenbrink, seine Lyrik selbst vorzutragen.

Erstes Ergebnis war die LP "Der Macher", die im Frühjahr 1976 bei Polydor auf den Markt kam. Noch heute zählt der Titelsong zu den Klassikern des Hamburger Poeten. LP und Single kamen in die deutschen Top 20; die Kritiker waren begeistert: Hatte es doch Countrymusik mit intelligenten deutschen Texten bislang kaum gegeben. Obgleich einige Arrangements recht schlagernah waren, sah sich Lechtenbrink eher in der Tradition deutscher Rockmusik eines Udo Lindenberg oder inspiriert von Liedermachern wie Hans Scheibner. Zeitkritische Anmerkungen kamen in Lechtenbrinks Texten allerdings so gut wie gar nicht vor. Er wollte ausschließlich unterhalten und erzählte vor allem "Alltagsgeschichten" (so auch der Titel seiner dritten LP).

Erste Konzerte, vor allem in seiner Heimatstadt, folgten, die von Publikum und Presse begeistert aufgenommen wurden. Zunehmend hatte Lechtenbrink Spaß am Texten gefunden; ihm fielen immer wieder neue Wortspiele ein. Es gelang ihm, seine imaginären Charaktere sanft und mit viel Mitgefühl zu beschreiben, ohne sie anzugreifen oder gar lächerlich zu machen. Politische Inhalte blieben weiterhin außen vor.

1978 kam Lechtenbrink mit Peter Maffay in Kontakt. Dieser hatte seine Schlagervergangenheit zwischen "Und es war Sommer" und "Josie" satt und wollte in Zukunft Rockmusik machen. Somit ließ er Lechtenbrink einige Texte seiner später sehr erfolgreichen LP "Steppenwolf" verfassen. Lechtenbrink bereicherte die Balladen des Albums mit intelligenten Texten, und Maffay revanchierte sich, indem er die meisten Songs für dessen nächstes Album "Leben so wie ich es mag" schrieb. Entsprechend klang das 1980 veröffentlichte Album deutlich rockiger, temporeicher und aggressiver als alles, was Lechtenbrink zuvor eingesungen hatte.

Doch bereits das nächste Album "Schon möglich" geriet wieder poppiger, schlagerhafter. Oft wurden die Grenzen zum Chanson gestreift oder sogar überschritten. Zwar verabschiedeten sich die soeben gewonnenen Rockfans von Lechtenbrink, aber den Freunden gehobenen Schlagers gefiel die neue Richtung.

Textlich hatte sich Lechtenbrink von Country- und "Lonsome Rider"-Inhalten völlig entfernt. Zwar kritisierte er den Zeitgeist nicht, besang ihn aber, stellte ihn dar und führte ihn so ad absurdum. Doch zuvor hatte die Hamburger Kindergruppe "Rolf und seine Freunde" Lechtenbrinks "Ich mag" zu einer juvenilen Version unter dem Titel "Und ganz doll mich" umgeschrieben und damit einen großen Hit gelandet. Lechtenbrink erhielt GEMA-Tantiemen und dankte "Rolf und seinen Freunden", indem sie bei "Wer spielt mit mir?" Chorpassagen übernehmen durften.

Inzwischen war die deutsche Popmusik bei breiten Schichten beliebt geworden. Die Neue Deutsche Welle hatte ihren Teil dazu beigetragen, daß die deutsche Sprache entschlackt und somit poptauglich wurde. 1982/83 feierten viele einheimische Rocker und Popper wie Lindenberg, Maffay, BAP, Ina Deter, Geier Sturzflug oder Herbert Grönemeyer erste große Erfolge. Lechtenbrink fand seinen Platz dazwischen, wenn er auch oft nahe beim Schlager zu finden war, der in den Achtzigern kaum Meriten einfahren konnte.

Es sah in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre so aus, als sei Lechtenbrinks musikalische Karriere mangels Erfolg zu Ende. Keiner interessierte sich mehr für den immer fröhlichen typischen Hamburger, bis er im Herbst 1986 in der "Ein Fall für Zwei"-Folge "Irgendwann" die Hauptrolle spielte und auch die Titelmelodie singen durfte. Plötzlich war Lechtenbrink kurzzeitig wieder im Geschäft. Die Single konnte sich in den deutschen Top 50 plazieren, wurde im Radio rauf und runter gespielt und sorgte dafür, daß noch zwei weitere Alben erscheinen konnten. Nun bei Metronome veröffentlicht, waren "Irgendwann" (1987) und "Herzschlag" (1989) jedoch kaum mit Lechtenbrinks Anfängen zu vergleichen. Die meisten Lieder waren schlicht Schlager, die gerne Chansons geworden wären. Sprechgesang mit übertrieben philosophischen Texten überwogen, der lockere Lechtenbrink der ersten Jahre kam nicht mehr zum Vorschein. So beendete Volker Lechtenbrink zu Beginn der neunziger Jahre seine musikalischen Ambitionen, die fast 15 Jahre für schöne LPs, intelligente Texte und nette Melodien gesorgt hatten. Seit jenem Zeitpunkt konzentrierte er sich vollkommen auf die Schauspielerei. Er war weiterhin in vielen TV-Serien zu sehen, inszenierte Theaterstücke und führte zunehmend auch selbst Regie.

Bis heute waren seine musikalischen Abenteuer nicht auf CD zu finden; seine Lieder nur im Zweitehand-Geschäft auf Vinyl erhältlich. "Bear Family" sei – wie in vielen anderen ähnlichen "Fällen" zuvor – dafür gedankt, daß dieser wichtige Teil deutscher Popmusik nicht aus dem Gedächtnis der alten Fans verschwinden muß.


 
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