© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
CD: Palast Orchester
Aus neu mach’ alt
Holger Stürenburg

CD-Sampler mit "Hits des Jahres" sind nur mit Vorsicht zu genießen und müßten in den meisten Fällen mit einem Sticker des Bundesgesundheitsministers versehen sein: "Hören gefährdet Ihre Gesundheit". Doch bei diesen "Hits des Jahres" (BMG-RCA) ist alles anders. Sie werden ja auch nicht von den Originalinterpreten vorgetragen, sondern von einer amüsanten Berliner Gruppe namens Palast Orchester mit ihrem Sänger Max Raabe.

Das Palast Orchester besteht seit 1987 und hatte bislang große Erfolge mit Neuaufnahmen von Hits der zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts feiern können: Couplets wie "Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami", Schnaderlhüpferl wie "Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche" oder Swingstandards à la "You are my Lucky Star" oder "Just a Gigolo" bestachen in althergebrachten Arrangements durch die Intonation von Raabe und seinem Orchester und machten 70, 80 Jahre alte Lieder auch der heutigen Generation zugänglich. Max Raabe lief durch die Dachböden alter Berliner Häuser, suchte dort längst vergilbte Notenblätter zusammen und spielte mit seinen zwölf Begleitmusikern die Klassiker originalgetreu ein – nur eben den heutigen technischen Möglichkeiten entsprechend. Daneben schrieb Raabe auch eigene Chansons in altem Stil mit zeitnaher Thematik: "Kein Schwein ruft mich an" war Mitte der Neunziger ein Hit, der viele Anrufbeantworter des Landes zierte. Auch die Neukompositionen "Rinderwahn" oder "Viagra" avancierten zu häufig gehörten Comedy-Klassikern.

Nun hat sich Max Raabe vorgenommen, die "Hits des Jahres" 2000 in die zwanziger oder dreißiger Jahre zu transferieren. Wer jetzt Popsongs wie "Sexbomb" (Tom Jones) oder "Lucky" (Britney Spears) hört, vorgetragen von Max Raabes elegant-schmierigem Organ, erkennt, wie komisch und ironisch viele der doch so ernstgemeinten Liebes- und Beziehungstexte in Wirklichkeit sind. So wird Britneys "Oops...I did it again" zu einem verspielten Barswing, Abbas "Super Trouper" (2000 von den A*Teens ruiniert) zu einem flotten, mitpfeifbaren Gassenhauer oder der "Mambo Nr. 5" von Lou Bega zu einem beschwingten Tanzsaal-Stomper – als schriebe man das Jahr 1929 im Vorkriegsberlin.

Etwas die Hörfreude trübt nur der Einsatz von Disco-Schlagzeugcomputer, die die an sich hervorragend gestalteten zwölf Neu- bzw. eher Altarrangements untermalen. Hier wurde wohl vor allem mit Blick auf jugendliche Hitparaden-Hörer auf kommerzielles Verwertungsinteresse geachtet. Davon abgesehen, sorgen die "Hits des Jahres" in der Einspielung des begabten Orchesters für ungeahnten Hörgenuß. Wer sich also unbedingt die "Hits des Jahres" 2000 zulegen möchte, sollte zum Palast Orchester greifen.

Wer jedoch die echten Hits der zwanziger und dreißiger Jahre den "Chartbreakern" von heute vorzieht, sollte sich eine zweite Palast-Orchester-CD zulegen: Auf "Krokodile und andere Hausfreunde" (BMG-RCA) präsentieren Raabe und die Seinen zwölf Klassiker aus der Weimarer Republik: "Ich will von der Lilly nichts wissen", "Regentropfen, die an mein Fenster klopfen", "Dein ist mein ganzes Herz" oder "In der Bar zum Krokodil" tönen ohne Discobeats und Schlagzeugcomputer durch den Äther – beides gab es damals gottlob noch nicht. Zum Schluß dieser gelungenen CD kündigt Raabe den Sprung in in die heutige Zeitan: Ebenfalls ohne "Bum-Bum" verpaßt er Peter Maffays "Über sieben Brücken mußt Du geh’n" Walzerrhythmus, Grönemeyers "Männer" Erich Kästnerschen Lausbubencharme und Queens "We are the Champions" das Ambiente einer Tanzbar Ende der Zwanziger. Und der Prince-Klassiker "Kiss" klingt so, als hätte ihn Richard Tauber persönlich gehaucht!


 
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