© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
200 Millionen Dollar ins Ausland verschoben
Rußland: Finanzmagnat Wladimir Gussinski und die Pressefreiheit unter Wladimir Putin
Ivan Denes

Knapp 30 Hausdurchsuchungen haben in den letzten sechs Monaten in den verschiedenen Büros des russischen Most-Konzerns stattgefunden. Es gibt kaum einen Journalisten, der bezweifeln würde, daß sich die Ermittlungen der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft gegen Most-Gründer und Inhaber Wladimir Alexandrowitsch Gussinski eine politische Aktion ist.

Der 48jährige Gussinski und sein bekanntestes Medienunternehmen, der Fernsehsender NTW – die einzige flächendeckende, unabhängige Fernsehanstalt Russlands – haben sich von Anfang an kategorisch gegen den zweiten Tschetschenien-Krieg gewandt, der Wladimir Putin ins Präsidentenamt verhalf. Gussinski, der auch Chef des Russischen Jüdischen Kongresses und Vizechef des World Jewish Congress (WJC) ist, scheute sich nicht, den Tschetschenienkrieg als Völkermord zu bezeichnen. Das konnte und wollte ihm der Kreml-Chef Putin vermutlich nicht verzeihen, daher die rigorose Verfolgung, trotz aller Beteuerungen des russischen Präsidenten, er könne und wolle sich nicht in das Vorgehen der Staatsanwaltschaft einmischen.

Die Affäre Gussinski/NTW ist aber längst zu einer weltweiten cause celebre geworden. Es geht längst nicht mehr um kommerzielle Redlichkeit oder Unredlichkeit von Gussinski – einem der berühmt-berüchtigten "Oligarchen", die in den 90er Jahren ihre Milliardenvermögen auf dubiosen Wegen erworben haben –, es geht um die Pressefreiheit in Rußland. Wie groß das internationale Interesse an der Affäre ist, wird von zahlreichen Fakten belegt – angefangen von einer Anhörung im Europarat bis zu einem Festessen, das der schwedische Botschafter in Moskau, Sven Hirdman – zusammen mit allen anderen EU-Botschaftern – einer Gruppe von NTW-Journalisten am 31. Januar gab. Das US-State Department hat seine "Besorgnis" zum Ausdruck gebracht, gleichermaßen wie die OSZE und der israelische Ex-Premier Ehud Barak: Gussinski hat neben dem russischen den israelischen Paß.

Die Affäre begann im Juni 2000 mit der Verhaftung Gussinskis und der Anklage, er habe den russischen Staat anläßlich der Übernahme der Petersburger Firma "Russkoje Video" betrogen. Er habe dem Staat lediglich 10 Millionen US-Dollar für die Firma bezahlt, obwohl sie viel mehr Wert gewesen sei. Übrigens: Am 25. Januar wurde der Direktor von "Russkoje Video", Michail Mirilaschwili – gleichzeitig Vizepräsident des Russischen Jüdischen Kongresses – in Haft genommen; die Behörden behaupten aber, zwischen beiden Fällen bestehe
keine Verbindung.

Gussinski, dessen Großvater 1937 vom KGB erschossen wurde und dessen Großmutter neun Jahre im Gulag schuftete, unterschrieb in der Untersuchungshaft – in der Gegenwart des russischen Presseministers – zunächst eine Abtrittserklärung für "Russkoje Video". Danach wurde ihm erlaubt auszureisen. Im Ausland zog er seine unter Druck geleistete Unterschrift zurück. Die Affäre um die zehn Millionen US-Dollar wurde zwar fallen gelassen, hingegen wurden Schritte eingeleitet, um einen Kredit in Höhe von 262 Millionen US-Dollar, durch die Zwangsübernahme eines Aktienpakets abzulösen. Gläubiger ist das staatlichen Erdgasmonopol Gasprom. Die Gesamtschulden des Most-Konzerns werden mit 470 Millionen US-Dollar beziffert, eine baldige Rückzahlung war also nicht möglich. Gasprom besitzt schon ein Aktienpaket. Wenn diese Aktion von einem Moskauer Gericht abgesegnet wird, übernimmt Gasprom – quasi der Staat selbst – die Aktienmehrheit. Sollte dies eintreten und ein neuer Aufsichtsrat berufen werden, will die gesamte Journalistenschar bei NTW geschlossen zurücktreten. Um das zu verhindern, versuchte Putin persönlich mit den NTW-Journalisten ins Gespräch kommen. Putin versicherte, die Programme des Senders und die journalistische Unabhängigkeit würden nicht tangiert.

Seit Jahresende wird Gussinski nun beschuldigt, 200 Millionen US-Dollar illegal ins Ausland verschoben zu haben und seinen Journalisten hohe zinslose Kredite gewährt zu haben – Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow (der von NTW wegen Steuerhinterziehung angegriffen wurde) spricht von Betrügereien in Höhe von einer Milliarde US-Dollar.

Inzwischen sollte, laut den Vereinbarungen, die Gussinski mit den Behörden getroffen hat, ein ausländischer Investor einen 25-prozentigen Anteil an NTW übernehmen. Der Gründer von CNN und Vizepräsident von Time/Warner, Ted Turner (unterstützt vom ungarischen Finanzier George Soros), sollte mit 300 Millionen US-Dollar einsteigen. Turner wollte jedoch eine Garantie seitens des russischen Staates bekommen, daß die redaktionelle Unabhängigkeit des Senders gesichert bleibe. Doch sein Anliegen wurde abgelehnt. Im Zuge der Suchaktion nach einem ausländischen Investor soll die Londoner "Deutsche Bank Overseas Holding" mit Leadville Investments – einer Gasprom-Tochter – eine Vereinbarung getroffen haben, mit der sie gegen die Interessen ihres Auftraggebers (Most) agiert zu haben scheint. Daher wurde von Gussinski in London ein Verfahren angeregt, um diese Vereinbarung anzugreifen.

Die rechtlichen Aspekte all der Klagen und Gegenklagen – einschließlich des Auslieferungsantrags, den die russische Staatsanwaltschaft an die spanische Justiz gerichtet hat sind für den Außenstehenden schwer zu übersehen. Gussinski befindet sich z.Z. in Zwangsaufenthalt in seiner Luxusresidenz in Sotogrande bei Cádiz. Es ist vom Ausland her nicht festzustellen, ob die vielen Anklagepunkte gegen Gussinski gerechtfertigt sind oder nicht – die ganze Affäre hat einen politischen und einen psychologischen Hintergrund.

Alexej Venediktow, einer der führenden "Media Most"-Journalisten, die am Treffen mit Putin teilgenommen haben, erläuterte: "Der Präsident betrachtet die Pressefreiheit nicht als einen demokratischen Wert, sondern als ein Instrument, um seine Ziele zu erreichen. Russischen Journalisten werde Freiheit gewährt, so lange sie Putins Ziele dienen. Sie sollen als ‚Hammer‘ dienen, um die Politik des Kreml der Bevölkerung ‚einzuhämmern‘".

Die Aktion gegen "Media Most" geht Hand in Hand mit Putins Vorbereitungen für die Konzentration aller russischer Geheimdienste in eine zentrale Organisation nach dem Muster des KGB. Der Sekretär des Sicherheitsrates, Sergej Iwanow, soll Chef der Dienste werden – und damit der zweitmächtigste Mann im Staat. Zwischen beiden Vorgängen gibt es einen organischen Zusammenhang, der bislang kaum wahrgenommen wurde. Ebenso wie die im Januar vollzogene Kontrolle über den russischen Fernsehkanal ORT: Der in Opposition zum Kremel stehende Finanzoligarch Boris Beresowski hat seinen 49prozentigen ORT-Anteil für 80 Millionen US-Dollar an den fernöstlichen Gouverneur Roman Abramowitsch verkauft. Der Staat habe nun "praktisch die Macht über ORT übernommen", klagte ORT-Vorstandsmitglied Igor Schabdurassulow gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax.

Der studierte Theater-Regisseur Gussinski ist ein erfolgreicher Finanzjongleur und – trotz allem – gewiß kein Märtyrer der Pressefreiheit. Zu dieser Ambivalenz befragt, antwortete ein führender Redakteur der Tel Aviver Zeitung Maariv, die ebenfalls Gussinski gehört, mit einer Parabel: "Moische Goldenberg wird unter dem Verdacht des Verfolgungswahns in die Psychiatrie eingeliefert. Seine fixe Idee ist, daß seine Frau, Sarahleben, ihn betrügt. Diagnose und Therapie werden durch die Tatsache erschwert, daß Sarahleben ihn tatsächlich betrügt. – Was allerdings nicht bedeutet, daß Goldenberg nicht an Verfolgungswahn leidet.


 
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