© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
Die Qual der Wahl
Parteien: Machtkampf in der Union um die Kanzlerkandidatur spitzt sich zu / In der CDU-Spendenaffäre unterliegt Thierse vor Gericht
Paul Rosen

Eigentlich sei Friedrich Merz "die Nummer drei" unter den für die Kanzlerkandidatur in Frage kommenden Politikern, hatte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer kürzlich noch in kleiner Runde vertrauter Journalisten gespottet. Doch die Nummer drei zeigt sich agil und will nach vorne durchstarten. Die Unionsspitze versteht die Welt nicht mehr, was den Sauerländer Merz – als Fraktionsvorsitzender bisher eher durchschnittlich wirkend – treibt, nach der Spitzenkandidatur zu greifen.

Die Diskussion, die die Union zur Zeit sehr zur Freude der rot-grünen Koalitionäre führt, erinnert an das Verteilen des Bärenfells vor der Jagd. Noch ist Gerhard Schröder nicht geschlagen, vielleicht ist er auch gar nicht zu schlagen. Und trotzdem kommt Merz daher und erklärt, "daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion ein normaler, natürlicher Anwärter" auf die Kanzlerkandidatur sei.

Mit seinem vor Journalisten angeblich in Bedacht vorgetragenen Ambitionen dürfte der Fraktionsvorsitzende zwei Ziele verfolgen: Einmal will er von der eigenen Schwäche ablenken. Tatsächlich verlief Merz’ Arbeit in den letzten Wochen eher erfolglos: In seiner Fraktion geriet er sogar unter heftigen Beschuß, weil er einen Fernsehauftritt in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" nicht wahrnahm und dem alten Quertreiber Heiner Geißler das Feld überließ, der die Gelegenheit nutzte, von der Unionslinie abweichende Positionen zu vertreten. Auch in der Sachpolitik kam die Union kaum voran: Ihre Positionen zur Rentenreform wirken nicht überzeugend. Erst gaben Partei und Fraktion Signale für einen Konsens mit Rot-Grün ab, dann ging man auf Ablehnungskurs, und zum Schluß hielt es Merz wieder für möglich, daß es im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat doch noch zu einem Kompromiß kommt.

Zum zweiten will sich Merz in Stellung bringen, nachdem die Parteivorsitzende Angela Merkel durch das Renten-Fahndungsplakat, das Schröder als gesuchten Verbrecher zeigte, in der öffentlichen Gunst stark abgesackt ist. Die verheerenden Reaktionen gerade aus dem eigenen Lager auf das Plakat zeigen, daß die CDU unter Merkels Führung nicht kampagnenfähig und die Vorsitzende keine Integrationsfigur ist, hinter der die Funktionäre stehen und die von der Basis bewundert wird. Da sieht Merz Chancen.

Die Chancen sieht er offenbar deshalb, weil der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber wegen der Rinderseuche BSE plötzlich in Schwierigkeiten gekommen ist. Selten lief das Krisenmanagement in der CSU schlechter ab als im Fall der Sozialministerin Barbara Stamm. Stoibers Stellvertreterin in Partei und Staatsregierung hatte vor der CSU-Landesgruppe in Kreuth zugeben müssen, daß sie auf Druck der Landwirtschaft Briefe nach Berlin geschrieben und darin für die Unbedenklichkeit von Rinder-Risikofleisch geworben hatte. Stoiber hielt zu lange an seiner Ministerin fest. Als er sie zu spät fallen ließ, entpuppte sich der als neuer bayerischer Verbraucherschutzminister vorgesehene Präsident der Technischen Universität München, Wolfgang Herrmann, als jemand, der massive Probleme mit dem Finanzamt hat – wegen möglicherweise nicht versteuerter Honorareinnahmen. Stoiber mußte auch Herrmann wieder fallen lassen.

Rechtzeitig für den Bayern kam der "sächsische Thronfolgekrieg", in dessen Verlauf Ministerpräsident Kurt Biedenkopf seinen Finanzminister Georg Milbradt vor die Tür setzte. Milbradt galt als aussichtsreicher Anwärter auf die Nachfolge des Sachsenkönigs. Die Aufmerksamkeit der veröffentlichen Meinung wendete sich von München ab und konzentrierte sich auf Dresden. Stoiber, der vor der BSE-Krise in Berlin gezielt hatte verbreiten lassen, er stehe für die Kanzlerkandidatur zur Verfügung, hofft jetzt, daß die Münchner Kabinetts-Kapriolen schnell wieder vergessen sein werden.

Derweil versucht Merkel, mit Selbstverständlichkeiten über die Runden zu kommen. "Es ist ganz klar: Ich führe die CDU, Edmund Stoiber führt die CSU, Friedrich Merz führt die Bundestagsfraktion aus CDU und CSU", erklärte die CDU-Chefin in einem Interview. Ihre Behauptung, es gebe keinen Machtkampf, entspricht jedoch Wunschdenken. Das ganze Problem in der CDU mit ihrer unzureichenden Oppositionspolitik gründe in der nicht geklärten Machtfrage, hatte der bayerische Europaminister Reinhold Bocklet bereits vor einiger Zeit erklärt.

Damit wurde auch die Chance vertan, aus dem ersten Parteispenden-Urteil seit Beginn der Kohlschen Spendenaffäre Vorteile zu schlagen. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am Mittwoche voriger Woche einen Rückzahlungsbescheid von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) aufgehoben. Thierse wollte von der CDU 41 Millionen Mark staatlicher Förderungsgelder zurück haben, weil der Rechenschaftsbericht wegen der hessischen Schwarzgeld-Millionen der CDU nicht ordnungsgemäß gewesen war. Die Berliner Verwaltungsrichter stellten fest, daß das Parteiengesetz die von Thierse verhängte Strafe gar nicht vorsieht.

Nun muß abgewartet werden, ob das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes Rechtskraft erlangt oder ob Thierse (was derzeit die wahrscheinlichere Variante ist) seine Bundestagsverwaltung anweist, in die Revision zu ziehen. Die CDU, so hatte man den Eindruck, konnte sich über den Sieg vor Gericht nicht so recht freuen. Nur Merz warf Thierse in diesem Zusammenhang vor, sein Amt parteiisch auszuüben. In der Tat hat sich der Bundestagspräsident schon vor und während der CDU-Spendenaffäre reihenweise und in den verschiedensten Angelegenheiten dem Verdacht ausgesetzt, mehr das Interesse der SPD im Sinn zu haben als der erste Mann des deutschen Parlaments zu sein. So ließ Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Fragen des CSU-Abgeordneten Peter Ramsauer an die Bundesregierung über die steuerliche Bewertung und Behandlung des SPD-Parteivermögens nicht zu, während er in Sachen CDU schon sehr frühzeitig den Eindruck aufkommen ließ, die Union müsse sich auf einiges gefaßt machen.

Die eigenartige Amtsführung des Bundestagspräsidenten hätte die Union für ihren politischen Zweck nutzen können. Ein CDU-Bundestagspräsident, der sich des auf eine Milliarde Mark geschätzten und in den Rechenschaftsberichten nicht vollständig ausgewiesenen SPD-Vermögens angenommen hätte, hätte mit einem Dauerbeschuß regierungsnaher Medien rechnen können.

Doch die CDU verschlief die Chance, eine neue Front zu eröffnen und die Sozialdemokraten in der Parteispendenaffäre erstmals selbst attackieren zu können, nachdem die Christenunion ein gutes Jahr lang regelmäßig vorgeführt wurde. Das CDU-Verhalten nach dem Prozeß wirkt wie ein Schlaglicht auf die Lage der gesamten Union: Eigentlich hat sie drei Kanzlerkandidaten, aber es gibt kein Land, das auch nur einen der drei haben möchte. Wäre die Lage der größten Oppositionspartei nicht so traurig, müßte man nicht von einer Troika, sondern – passend zur Jahreszeit – von einem Dreigestirn reden.


 
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