© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Stahlhelmer und Weicheier
Presse: Die "Welt" und die "FAZ" fetzen sich wie die Kesselflicker
Andreas Wild

Beim linken Establishment wiehert man vor Vergnügen. Ausgerechnet die beiden nach Ruf und Anspruch "bürgerlichen", "liberal-konservativen" Tageszeitungen Deutschlands mit überregionaler Ausstrahlung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Springers Berliner Welt, liegen miteinander im öffentlichen Clinch, treiben Sprengstoff-Sappen gegeneinander vor, beschuldigen sich der Unseriosität und der inneren Zerrissenheit. "Die brauchen wir gar nicht zu neutralisieren", freute sich der stellvertretende Regierungspressesprecher Bela Anda, "die neutralisieren sich gegenseitig."

Begonnen hatte es mit einem erstaunlichen Aufsatz des Welt-Chefkorrespondenten Wolf Biermann (64) im eigenen Blatt. Biermann beschuldigte da das Haus Springer, von dem er seine Brötchen bezieht, der "Hetze" gegen die ’68er-Revoluzzer und behauptete, die Bild-Zeitung habe seinerzeit direkte Schuld gehabt am Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke (siehe JF 4/01). Viele Welt-Leser faßten sich an den Kopf.

Die FAZ bezeichnete den Welt-Artikel am nächsten Tag süffisant als "Schuldeingeständnis des Springer-Konzerns", woraufhin die Welt sich mit einem Zweispalter revanchierte, in dem sie von "politischen Richtungskämpfen" in der Redaktion der FAZ sprach und von "schweren Zerwürfnissen" zwischen den FAZ-Herausgebern Müller-Vogg und Schirrmacher. Der offene Konflikt war da.

Vergangenes Wochenende erschien die FAZ mit nicht weniger als vier Beiträgen über innere Vorgänge in der Welt und im Springer-Konzern, darunter einem Fünfspalter, der die halbe Seite 4 füllte und peinlichste Redaktions-Interna aus der Welt feilbot. Demnach gibt es dort eine Fraktion der (regierungsfreundlichen) "Weicheier" und eine der (regierungskritischen) "Stahlhelmer". Noch vor kurzem, so die FAZ, hätten die Weicheier das Sagen gehabt, aber neuerdings hätten die Stahlhelmer die Macht übernommen und übelste Praktiken journalistischer Manipulation eingeführt.

Die Welt sei seitdem, so das Frankfurter Blatt weiter, "eine Mischung aus Kasernenhof und Spielwarengeschäft". In ihr regiere reiner "Thesenjournalismus". Zunächst werde eine These aufgestellt, und danach würden "Kampfaufträge" an die Reporter verteilt, die "ausschwärmen" müßten, um die vorgegebene These auf Teufel komm raus mit Fakten auszustaffieren.

Als Gewährsmann für solche Methoden wird der ehemalige Welt-Chefkommentator Thomas Schmid (55) angeführt, der vergeblich versucht habe, Eingriffe der Stahlhelmer in die Texte der Weicheier zu verhindern. Trotz Schmids Bemühungen "wurden ganze Leitartikel gekippt und ein Kampftext von Georg Gafron ins Blatt gedrückt. CDU-kritische Passagen wurden verändert." Georg Gafron, Berliner Radio- und Fernsehmacher (Hundert,6; TV Berlin), ist seit Januar neuer Chefredakteur der Boulevardzeitung B.Z.

Pikanterweise ist der FAZ-Kronzeuge heute angestellter Leitartikler – bei der FAZ. Als ehemaliger führender ’68er stammt er aus dem engsten Umkreis von Joschka Fischer und gehörte zu dessen militanter "Putzgruppe", bei der er den Spitznamen "Mönch" führte und als Chefideologe diente. Als die Kritik an der gewalttätigen Vergangenheit des heutigen Außenministers einsetzte, veröffentlichte Schmid in der FAZ lange Artikel, die von liebevollem Verständnis für seinen ehemaligen Kumpan und Kampfgefährten geprägt waren und sichtlich der Kritik die Spitze nehmen sollten.

Biermann Chefkorrespondent der Welt, Schmid Leitartikler der FAZ – die Konstellation wirft ein grelles Licht auf den Zustand der überregionalen "bürgerlichen", "konservativ-liberalen" Presse in Deutschland. Der Sieg des linken Zeitgeistes scheint total. Trotzdem klagte Bundeskanzler Schröder vergangenen Woche in einem Zeit-Interview, es gebe Hinweise für eine "zwischen der CDU und bestimmten Medien, insbesondere bei Springer, abgesprochene Strategie" gegen Rot-Grün. War das nun vorbeugende Neutralisierungs-Strategie, oder steckte wirklich etwas dahinter?

Springers designierter Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner (38), von 1998 bis Ende vorigen Jahres selbst Chefredakteur der Welt, ergriff interessanterweise sogleich in der Bild-Zeitung das Wort und verwahrte sich in einem für Bild-Verhältnisse überlangen Kommentar gegen diesen "Eingriff in die Pressefreiheit". Der Kanzler betreibe, schrieb er, "eine Kampagne gegen den Springer-Verlag" und versuche, "unabhängige Journalisten einzuschüchtern und mundtot zu machen".

Tatsächlich scheint die Regierung nervös geworden, nicht zuletzt durch den Amtsantritt von Kai Diekmann (36) als Chefredakteur der auflagenstarken Boulevardblätter Bild  und Bild am Sonntag. Diekmann gilt – ebenso wie übrigens Georg Gafron – als Parteigänger und Vertrauensmann des von der Linken als "konservativ" eingeschätzten Münchner Medienmoguls Leo Kirch, der einen Aktienanteil von vierzig Prozent bei Springer hält, und des Ex-Bundeskanzlers Helmut Kohl. Man betrachtet Diekmann offenbar als Vorreiter einer medienpolitischen Wende, als Speerspitze einer neu erwachten regierungs- und zeitgeistkritischen Angriffslust des "Bürgertums". Dem will man vorbauen.

Rot-Grün ist der CDU/CSU in Sachen Medienpolitik eben haushoch überlegen. Die SPD ist geschäftlich direkt mit führenden Verlagshäusern verquickt, beherrscht zusammen mit den Gewerkschaften und den Religionsgemeinschaften das (neben und noch vor der Bild-Zeitung) für die öffentliche Meinungsbildung entscheidende Fernsehen und unerhält sowohl im Kanzleramt als auch in der Parteizentrale Stäbe zur Medienanalyse und Medienbeeinflussung. Von der CDU/CSU ist nicht einmal bekannt, ob es bei ihr einen speziell für die Medien abgestellten Referenten gibt.

Ihre von Schröder unterstellte "neue Koalition" mit der Springerpresse ist eine Schimäre. Die bei Springer entscheidenden Aktionäre, Kirch und Friede Springer, sowie der Springer-Aufsichtsratsvorsitzende Bernhard Servatius und der noch amtierende Vorstandsvorsitzende Gus Fischer sind politische Nullgewichte. Und auch der designierte Vorsitzende Döpfner hat weder politische Vision noch Ambi-tion, er ist ein von der Spaß- und Mediengesellschaft hin und her gewedeltes Blatt, von dem nicht der geringste Beistand bei der Bemühung um neue Seriosität und würdige nationale Interessenwahrung zu erwarten ist.

Bei dem Grabenkrieg zwischen Welt und FAZ geht es denn auch weniger um Politik als um einen geschäftlichen Konkurrenzkampf. Die FAZ hat dabei eindeutig die besseren Karten, es sei denn, sie legte in der Auseinandersetzung jegliche Seriosität ab und begäbe sich ebenfalls auf den Kasernenhof und ins Spielwarengeschäft. Anzeichen dafür gibt es freilich schon.


 
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