© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Der Preis von Nord-Ostpreußen
Carl Gustaf Ströhm

Die Nachricht war kaum aus dem Ticker, da hagelte es bereits empörte Dementis. Es könne keine Rede davon sein, hieß es unisono in Berlin und Moskau, daß Rußlands Präsident Wladimir Putin und Kanzler Gerhard Schröder während einer winterlichen Schlittenfahrt über eine "Rückgabe" des "Gebietes Kaliningrad" an Deutschland gesprochen hätten.

Solch eine "unerhörte" Behauptung hatte der Londoner Sunday Telegraph verbreitet und dazu noch angebliche Einzelheiten des Putin-Schröder-Tete-à-tetes unter gemeinsamer russischer Schlittendecke. Demnach sollte Schröder Putin klargemacht haben, daß sich das russische Nord-Ostpreußen in einer hoffnungslosen Isolierung befinden werde, wenn Polen und Litauen in der EU sind. Das "Kaliningrader Gebiet" mit einer Million Russen als Einwohner würde von einer EU-Außengrenze umschlossen, der Transit auf dem Landwege nach Rußland zu einem gravierenden Problem.

Schröders angeblicher Vorschlag: Deutschland werde sich dafür einsetzen, daß die EU ein Assoziierungsabkommen mit dem "Kaliningrader Gebiet" abschließt. So würde Nord-Ostpreußen aus dem russischen Wirtschaftsraum ausscheiden, und Königsberg würde, warnt der Sunday Telegraph, wieder unter "deutsche Dominanz" kommen. Die russische Souveränität würde sich durch die Macht der ökonomischen Tatsachen und den EU-Einfluß auf bloße Formalitäten reduzieren. Als Gegenleistung wolle Deutschland dafür sorgen, daß Rußland ein Großteil der internationalen Schulden gestrichen werde. Mit anderen Worten: Rußland solle sich Königsberg abkaufen lassen.

Solche Pläne sind an sich nicht neu. Hartnäckig hält sich das Gerücht, seinerzeit – kurz nach dem Fall der Mauer – hätte Jelzin den Deutschen ein ähnliches Geschäft angeboten, Kohl und Genscher aber hätten abgelehnt. Inzwischen gab es von deutscher Seite einige, zum Teil naive Versuche, in Ostpreußen ein gewisses Mitspracherecht zu erlangen – bis hin zu Plänen eines deutsch-russischen "Kondominiums" über das Gebiet. Der Sunday Telegraph-Bericht mag übertrieben oder auch ein bewußtes Störmanöver sein – daß aber völlig aus der Luft gegriffen wurde, ist gleichfalls unwahrscheinlich. Dagegen spricht die Reputation der britischen Sonntagszeitung. Auch die EU hat sich bereits mit dem "Problem Kaliningrad" befaßt – denn eine wirtschaftlich darniederliegende, von Korruption, Mafia und tiefster Armut geprägte Enklave mitten im EU-Gebiet muß unliebsame Folgen zeitigen.

Die Enklave wie bisher als eine Art Moskauer "Flugzeugträger" gegen Polen, das Baltikum und andere Ostsee-Anrainer weiterzuführen, könnte Putin finanziell und politisch zu teuer kommen. Erst neulich registrierten die USA eine angebliche Verlegung russischer taktischer Atomwaffen nach Kaliningrad. So kann Königsberg nicht leben und nicht sterben. Es an die Nachbarn Polen oder Litauen zu übergeben, würde das "Machtgleichgewicht" stören. Bleibt die jetzt dementierte Lösung wohl die vernünftigste. Je mehr hier aber abgestritten wird, desto stärker gerät das bisher vergessene Nord-Ostpreußen wieder ins Bewußtsein. Die Geschichte läßt sich weder dementieren noch hinters Licht führen, selbst eine a-nationale oder anti-nationale Berliner Regierung wird daran nicht vorbeikommen. Daß Nord-Ostpreußen auf Dauer im bisherigen Sinn "russisch" bleiben kann, ist unwahrscheinlich. Und wenn es "europäisch" werden sollte, werden die Deutschen – ob sie mögen oder nicht – dort wieder eine entscheidende Rolle spielen.


 
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