© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Stolzes Erbe
Der Begleitband zur Ausstellung "Aufstand des Gewissens" thematisiert den mililitärischen, national-konservativen Widerstand 1933 bis 1945
Tobias Wimbauer

Seit 1984 existiert die Wanderausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes über den militärischen Widerstand gegen Hitler, insbesondere über das Attentat des 20. Juli 1944. Der Begleitband zu dieser Ausstellung, "Aufstand des Gewissens", ist nun in der fünften, erweiterten Auflage erschienen. Ausstellung und Begleitband sind das positive Gegenstück zur Geschichtsklitterung des Hamburger Instituts für Sozialforschung mit seiner Anti-Wehrmachtsausstellung.

Der Band glänzt durch sachliche Akkuratesse. Er kreist um zwei Pole: zum einen die biographische Annäherung an die Handelnden, zum anderen die rechtlichen und ethisch-moralischen Grundlagen eines jeden Widerstandes.

Interessant die Einführung von Peter Steinbach, was ein totalitärer Staat sei: "Einmal an die Macht gekommen, durchstaatlichen sie die Gesellschaft. Individueller Widerspruch und die Widerständigkeit des einzelnen werden ausgeschaltet. Distanz und Nonkonformität, Eigenständigkeit und abweichendes Verhalten, das konkurrierenden politischen und kulturellen ... Wertvorstellungen entspringt, werden mittels des Strafrechts kriminalisiert." Ein Schelm, wer dabei nur an das Dritte Reich denkt?

Peter Steinbach widmet sich den Grundlagen des Widerstandes und den wechselseitigen Beziehungen zwischen militärischem und zivilem Widerstand. Widerstand beginne mit Loyalitätsentzug (sich nicht gemein machen mit einem System, das man ablehnt) und münde, in letzter Konsequenz, in aktives Handeln. Augenöffner für viele, die das legitime Streben Deutschlands nach einer Revision des Versailler Diktats begrüßten, war die Ermordung des Generals von Schleicher im Zuge der Aktionen gegen den sogenannten Röhm-Putsch im Sommer 1934. Daraus erstand zunächst noch kein "Fundamentalgegensatz", sondern vielmehr der Wille zu einer "politischen Kurskorrektur". Grundlage war meist ein nationalkonservatives Wertesystem, wenn man einmal von bolschewistischen Bestrebungen (wie der Roten Kapelle) absieht.

Bei der These Steinbachs, daß es bei den diversen Umsturzversuchen nicht "primär um das Gelingen des Umsturzes" ging, sind freilich Bedenken anzumelden. Widerstand unter Einsatz des eigenen Lebens ist doch keine politische Selbstbefriedigung oder Selbstverwirklichung, wie wir es von zeitgeistigem Aktionismus der Post-68er gegen "herbeiphantasierte Gegner" (Ludwig Marcuse) kennen. Steinbach bemerkt daher völlig zu Recht, daß das "Widerstandshandeln ... niemals sich selbst [genügte]".

Die Ausschaltung Röhms, einhergehend mit der Bändigung der SA als Konkurrenz zur Wehrmacht, wurde von der Generalität durchaus als Entgegenkommen Hitlers aufgefaßt: Die Wehrmacht sah sich in ihrem Anspruch, alleiniger Waffenträger des Reiches zu sein, bestätigt. So kam die eigentliche Wende in der Bewertung der NS-Regierung erst mit der Blomberg-Fritsch-Krise – eigentlich eine Blomberg- und eine Fritsch-Krise –, die als Schlag gegen die Armee empfunden wurde. Das Vorgehen gegen Fritsch erschütterte das Vertrauen vieler Offiziere in Hitler; hierzu genügten schon die öffentlich bekannten Tatsachen. Jodl notierte im Tagebuch zu den Umständen der Verhöre Fritschs durch die Gestapo: "Wenn das in der Truppe bekannt wird, gibt es Revolution."

Klaus-Jürgen Müller widmet sich der "Struktur und Entwicklung der national-konservativen Opposition". Er grenzt den nationalen Widerstand ab vom Widerstand aus der Arbeiterschaft, dem sogenannten linken und kirchlichen Widerstand. Der nationalkonservative Widerstand war Angelegenheit einer traditionellen Elite, resultierend aus dem Unbehagen der Rechten an einem "national" sich nennenden Sozialismus.

Mit dem Umsturz sollte die "Substanz der Nation" (Steinbach) bewahrt werden. Ernst Jünger schrieb in den zwanziger Jahren, daß man nie vergessen dürfe, daß der Staat immer nur eine Form der Nation sei. So handelten die Männer des 20. Juli für die Nation Deutschland und eben nicht für die gerade aktuelle politische Gestalt des Landes. Die Soldaten des 20. Juli wollten in diesem Sinne den "Kern" der Nation wahren, das vielfach von Hitler und den Nationalsozialisten pervertierte Kultur- und Geisteserbe Deutschlands wieder zu seinem Recht gelangen lassen. Hitler, der in seinem "Politischen Testament" den Deutschen ihr Existenzrecht absprach, fand nach dem Krieg in der Linken seine willigen Vollstrecker, die fleißig Hitlers Willen, der Untergang des Deutschtums, propagierten und nach diesem handelten; daher wohl auch das Unbehagen, das viele Linke bei dem Gedenken an den 20. Juli beschleicht.

Helmut Krausnick geht in seinem informationsreichen Aufsatz auch auf die sogenannte Septemberverschwörung von 1938 um Franz Halder und Erwin von Witzleben ein, ein Unterfangen, das mit den Ereignissen des Herbstes 1938, dem Erfolg der Münchner Konferenz und dem unblutigen Anschluß des Sudetenlandes, aussichtslos wurde und unterblieb. Zunächst war den Umsturzplänen die Grundlage geraubt.

Thomas Vogel schildert die weitere Entwicklung der Militär-Opposition in den Jahren 1939 bis 1941. Man sah sich in der paradoxen Situation, daß man angesichts der erzielten Erfolge nun einen Rückschlag abwarten mußte, welcher Grundlage für eine neue Umsturzgelegenheit sein könnte. Durch den diplomatischen Erfolg des Hitler-Stalin-Paktes sahen sich die Generale der nächsten Chance beraubt: ein ernst zu nehmender Zweifrontenkrieg war durch diesen verhindert. Mit dem Erleben des Vorgehens in Polen durch wehrmachtsfremde Organisationen (SS; Polizei) kamen für manchen Gegner auch moralische Beweggründe mit ins Spiel.

Ein Geheimes Deutschland hat es zu jeder Zeit gegeben

Die nächsten Gelegenheiten, insbesondere bei den Vorbereitungen des Westfeldzuges, waren rasch vertan. Die militärischen Triumphe mehrten sich: Skandinavien und vor allem die schnelle Niederlage Frankreichs; dies nötigte auch den Opponierenden großen Respekt ab. Die Lage sollte sich erst wieder mit den "Barbarossa"-Vorbereitungen ändern. Peter Hoffmann widmet sich dem weiteren Verlauf der Entwicklung des militärischen Widerstandes bis 1944/45, gipfelnd im 20. Juli 1944.

Johann Adolf Graf von Kielmansegg äußert in seinen "Gedanken eines Soldaten zum Widerstand" Grundsätzliches über das Selbstverständnis eines Soldaten angesichts eines Regimes und die daraus resultierende Möglichkeit bzw. Pflicht zum Widerstand. Zunächst verweist Graf Kielmansegg darauf, daß es ein Recht, ja ein Naturrecht auf Widerstand gibt; nämlich dann, wenn der Herrscher, auf den der Eid geleistet wurde, rechtsbrüchig wird: "Die der Treuepflicht innewohnende Gehorsamspflicht erlischt, wenn der Herrscher seine eigene Treuepflicht zur Wahrung der bestehenden Rechtsordnung nicht mehr erfüllt."

Entschieden lehnt Graf Kielmansegg die Selbstbezeichnung einiger Aktionisten der Nachkriegszeit als Widerstandskämpfer ab, etwa bei Aktionen gegen "Startbahn West, Kernkraftwerke, Personalausweis usw." Ebenso scharf äußert er sich über den "nachträglichen Widerstand" (dazu fällt einem das Diktum Johannes Gross’ von 1984 ein: "Der Widerstand gegen Hitler nimmt täglich zu"): "Damals kostete es den Kopf. Heute kommt man dadurch ins Fernsehen."

Den Bedenken, die post festum gegen manche Form der Kriegführung angemeldet wurden, hält Graf Kielmansegg entgegen: "... das ändert nichts daran, daß [der Krieg nach 1941] ein Existenzkampf geworden war, in dem es um Deutschland und die Deutschen, um unser aller Schicksal ging, wo die Vernichtungsabsicht der Gegner deutlich geworden war – ich nenne nur die Zerstörung Deutschlands aus der Luft und ‘unconditional surrender’".

Es folgen autobiographische Berichte von Peter Sauerbruch, damals Generalstabsoffizier, Uta Freifrau von Aretin, der Tochter Henning von Tresckows; und Berthold Schenk Graf von Stauffenberg erinnert sich seiner Kindheit als "Volksfeind", an Verfolgung und Sippenhaft in der Folge des 20. Juli.

Georg Meyer widmet seinen aufschlußreichen Aufsatz den Auswirkungen des 20. Juli auf das innere Gefüge der Wehrmacht. In vielen Fällen hielt eine vorbildliche (wie man heute sagen muß; damals: selbstverständliche) Auffassung von Kameradschaft das Denunziantentum in Grenzen, worüber man sich freilich auf NS-Seite gehörig aufregte. Im übrigen wären, wie Meyer aufzeigt, gesetzt den Fall, Generalfeldmarschall Rommel hätte nach einem erfolgreichen Staatsstreich eine führende Rolle übernommen, etliche Waffen-SS-Generale hinter der neuen Führung gestanden, die relativ früh über die Attentatspläne informiert waren, sich aber nicht veranlaßt sahen, Meldung zu machen; das mag vielleicht jemanden verwundern, der nur die "korrekte" Lesart der Kriegsgeschichte bevorzugt, in der die SS ausschließlich aus Verbrechern bestand. Ganz so einfach war das nicht. Auch setzten sich nach dem 20. Juli einige SS-Generale für die Freilassung einzelner Männer des Widerstands ein; zu nennen sind Felix Steiner, Sepp Dietrich und Gustav Lombard.

Die Auswirkungen des 20. Juli faßt Meyer wie folgt zusammen: "Die Kriegsmarine erscheint ganz unangefochten, im Willen ihres Oberbefehlshabers durchaus als Garant des Systems." (Daß es dennoch Widerstand aus den Reihen der Marine gab, zeigt Heinrich Walle in seinem Beitrag auf.) "Die Luftwaffe hatte ihre eigenen schwerwiegenden Sorgen und Probleme. Die Waffen-SS war fest in der Hand ihrer Führer, von denen einige sich aber ihre eigenen Gedanken gemacht zu haben scheinen. Der größte Wehrmachtsanteil, das Heer, war an der Spitze zwar unmittelbar vom 20. Juli betroffen, ist aber in seiner Kampfkraft und Einsatzfähigkeit dadurch nicht beeinträchtigt worden."

Meyer schränkt freilich ein, daß, da Schlüsselpositionen im Heer betroffen waren und sich die Wehrmacht in schweren Abwehrkämpfen befand, durch Verhaftungen und Ermittlungen doch Auswirkungen auf das Heer festzustellen sind. Kurz darauf setzte auch eine Kampagne gegen das Heer ein, welche die Gräben zwischen dem NS und dem Heer wieder aufriß. Im Frühjahr 1945 sprach Hitler nicht mehr von der "ganz kleinen Verräter- und Verschwörerclique", es war ihm bewußt geworden, daß "die besseren Kreise unseres Volkes gegen mich [Hitler] standen" und sprach vom versäumten "Schlag gegen Rechts".

Erfolgreicher Widerstand war nur aus dem Militär möglich

Stefan Geilen schreibt über das Widerstandsbild in der Bundeswehr. Besonders schwierig erwies sich der 20. Juli als Bundeswehr-Traditionslinie in der Diskussion über die Frage der Gültigkeit des Eides. Die vielfach verwendete Formel war, daß es die Gewissensentscheidung des Einzelnen war, ob er an den Umsturzplänen partizipierte, also die Treue zu Deutschland und dem deutschen Volke über den Eid auf den Führer stellte, oder ob er sich an den Eid gebunden fühlte und weiterhin treu seinen Dienst verrichtete; daß aber die Entscheidung für oder wider in jedem Falle zu respektieren sei. Vielfach spielte auf Kritikerseite wohl auch die Furcht mit, der 20. Juli könne rechtfertigend für künftige Deserteure benutzt werden; man versuchte das sich daraus ergebende Dilemma zu lösen, indem man sagte, die Bundesrepublik sei ein Rechtsstaat, die einen Zustand, der ein Handeln im Sinne des 20. Juli erfordere, ausschlösse. In Hinblick auf die "Traditionsfähigkeit" wurde geprüft, ob sich die Gruppen allein gegen die Führung wandten (20. Juli) oder auch gegen Volk und Vaterland (Rote Kapelle, NKFD); schwierig wurde es in jenen Fällen, in denen sich Widerstandskämpfer nicht nur des Hochverrats (der als legitim angesehen wurde), sondern auch des Landesverrats (zu allen Zeiten verachtenswert) schuldig gemacht haben (zum Beispiel Hans Oster; nicht aber der Stauffenberg-Kreis). Der damalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) kassierte 1982 den Traditionserlaß; sein Nachfolger Manfred Wörner (CDU) jedoch erneuerte die Traditionsbezüge, zugleich initiierte die Bundeswehr jene Ausstellung, deren Begleitband hier behandelt wird. Anläßlich des 50. Jahrestages des 20. Juli 1944 kam es erneut zu Debatten; der nationale Widerstand wurde von linker Seite attackiert, auch der rote Widerstand solle gewürdigt werden.

Ines Reich schreibt über die Wahrnehmung des 20. Juli in der SBZ und der DDR. Bevorzugt wurde eine "antifaschistische" Sicht, in welche sich die "imperialistisch-restaurative Verschwörung" des 20. Juli nicht so recht einfügen konnte. Ein "antitotalitärer Konsens" à la BRD konnte sich dort nicht durchsetzen, da sich die Historiker in der DDR der Faschismus-Definition der Komintern von 1933 verpflichtet sahen, konnte der Widerstand einer Elite aus dem Gefühl der Verantwortung für Volk und Nation, schwerlich dem "echten", sprich: roten Widerstand ebenbürtig sein. Erst Ende der siebziger Jahre wurden Aufsätze zum militärischen Widerstand publiziert, eine objektivere Rezeption setzte ein, und im Juli 1990 erfolgte die positive Würdigung im NVA-Tagesbefehl des Ministers Eppelmann.

Erstaunliches findet sich, nebenbei geäußert, in der abgedruckten Rede Klaus von Dohnanyis von 1998: "...die Erfahrungen, daß die großen demokratischen Parteien der Weimarer Republik sich als unfähig erwiesen hatten, die Fragen der Zeit offen auszusprechen und sich ihnen zu stellen. Ein Menetekel übrigens auch für unsere Tage und für die Tage, die da kommen werden." Dohnanyi weist darauf hin, daß nur aus dem aktiven Militär ein erfolgreicher Widerstand möglich war – und eben nicht aus der Emigration. Was sollte jemand ausrichten, der seinem Land den Rücken gekehrt hatte?

Winfried Heinemann schreibt über den Widerstand und den Krieg an der Ostfront. Weitere Beiträge befassen sich mit einzelnen, herausragenden Persönlichkeiten und ihrer Stellung zum Widerstand: Fritz Fromm und seiner tragischen Rolle (Bernhard R. Kroener), Erwin Rommel (Reinhard Stumpf) und Ernst Jünger (Horst Mühleisen). Über die Geschichte der Gedenkstätte Deutscher Widerstand informiert ihr Leiter Johannes Tuchel. Zum Ablauf des 20. Juli hat Heinrich Walle eine minutiöse Chronologie zusammengestellt.

Rätselhaft erscheint, wie in einen Band über den militärischen Widerstand ein Aufsatz über "Desertion und Kriegsdienstverweigerung als Formen des Widerstandes" Eingang finden konnte. Es verwundert kaum, daß Haase, der Verfasser, gleich im ersten Abschnitt auf die sogenannte Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre Bezug nimmt. Wenn Widerstand als ernsthaftes Bestreben verstanden wird, einen Zustand zu beseitigen und die Lage zu ändern, so kann Fahnenflucht, Selbstverstümmelung und Sich-Verweigern nicht als Widerstand aufgefaßt werden; die Lage änderte sich nur für den Deserteur oder Verweigerer. Auch die moralische ex-post-Erregung mancher Leute über verhängte Strafen gegen Wehrkraftsentzieher muß man nicht teilen; in allen kriegführenden Nationen wurde Desertion und Dienstverweigerung hart bestraft.

Schließlich folgt ein Beitrag über das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), eine Gründung der Exil-KPD. Das NKFD rekrutierte sich aus Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft und übte sich, gelenkt von den ZK-Büros in Moskau, in Zersetzungspropaganda und Anstachelung zu Partisanentätigkeit. Das Wort vom "Verrat hinter Stacheldraht" ging um. Man war sogar so dreist, die Konvention von Tauroggen (1812) und die Haltung des Generals von Yorck für sich zu reklamieren!

Von den genannten kleinen Ausrutschern abgesehen, ist der "Aufstand des Gewissens" ein Grundlagen-, ja ein Standardwerk zum militärischen Widerstand, das nicht nur zeitgeschichtlich Interessierten ans Herz zu legen ist.

 

Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933 bis 1945. Im Auftrag d. MGFA hg. v. Thomas Vogel. Mittler & Sohn: Hamburg, Berlin, Bonn 2000; VIII, 615 S., kart. 29,80 Mark, geb., 39,80 Mark


 
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