© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Der Klang der Freiheit
Vor 100 Jahren starb der Komponist Giuseppe Verdi
Julia Poser

Eine der herausragenden Figuren der italienischen Musikgeschichte und zugleich eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Italiens im 19. Jahrhundert war Giuseppe Verdi. Als er am 10. Oktober 1813 in dem kleinen Städtchen La Roncole, zwischen Parma und Piacenza gelegen, auf die Welt kam, gehörte fast ganz Italien seit 1799 zu Frankreich. Der unermüdliche Kämpfer um die italienische Einheit, der "Maestro della rivoluzione italiana" wurde im Departement Au delà des Alpes staatspolitisch als Franzose geboren und im Geburtsregister als Joseph Fortunin François Verdi eingetragen.

Eine Woche nach Verdis Geburt wurde Napoleon in der Völkerschlacht von Leipzig entscheidend geschlagen, und damit war auch das Ende der Cisalpinischen Republik nach französischem Vorbild gekommen. Der Wiener Kongreß stellte 1814/15 die alten Machtverhältnisse des nunmehr in acht Kleinstaaten zersplitterten Landes wieder her. Zynisch konstatierte Metternich, daß Italien nur "ein geographischer Begriff" sei.

Unerbittlich löschte Österreich die Erinnerung an die Zeit der republikanischen Bürgerfreiheit aus. Selbst die wenigen Errungenschaften der napoleonischen Epoche wie der Code Civil oder die Pockenschutzimpfung wurden verboten. Eine unnachsichtige Zensur unterdrückte Meinungsfreiheit, Kunst und Literatur. Selbst Opernlibretti unterlagen der Zensur, was Verdi oft vehement beanstandete, zumal es ihn zu den unsinnigsten Veränderungen zwang.

Als Verdis Opernerstling "Oberto" 1839 in der Mailänder Scala uraufgeführt wurde, war Milano eine österreichische Provinzhauptstadt mit einem von Wien gesandten Gouverneur. Mit allen Mitteln bemühte sich damals Kaiser Franz I., das italienische Nationalgefühl auszurotten: "Die Lombarden müssen vergessen, daß sie Italiener sind. Meine großen italienischen Provinzen brauchen nur durch das Band des Gehorsams gegen den Kaiser vereinigt sein."

Die Premiere von Verdis Oper "Nabucco" war 1842 ein stürmischer Erfolg. Geschickt versteckten Verdi und sein Librettist Solera in der Geschichte über die babylonische Gefangenschaft der Juden ihre wahren Gefühle gegen die österreichische Unterdrückung. Der berühmt gewordene Chor der Gefangenen "Va pensiero" (Flieg , Gedanke) wurde vom Publikum sofort als patriotisch erkannt und zur heimlichen Nationalhymne gemacht. Auch in "Attila", "Ernani" und in "Giovanna d’ Arco" finden sich freiheitliche Anspielungen. So war Verdi mit einem Schlag populär. "Eviva VERDI" konnte man an österreichisch besetzten Kasernenmauern lesen, um damit ganz harmlos Verdis Ruhm zu verkünden. In Wirklichkeit bedeutete diese hochverräterische Parole: "Es lebe Vittorio Emanuele Re D’ Italia", der einzige national-italienische König Viktor Emanuel von Piemont und Sardinien. Unaufhaltsam formierte sich so der geheime Widerstand gegen die ständige Bevormundung und Demütigung durch fremde Herrscher: das Risorgimento (die Wiedererhebung) begann.

Mit dem Sturz Metternichs brach 1848 in der Lombardei und im Veneto ein Aufstand gegen die verhaßten Österreicher los. Als Verdi davon hörte, schrieb er an den Venezianer Piave: "Ehre sei ganz Italien, das in diesem Augenblick wahrhaft groß ist. Die Stunde seiner Befreiung hat geschlagen, und Italien wird frei sein, vereint, republikanisch. Jetzt darf es nur eine Musik geben, die den Ohren der Italiener von 1848 gefällt: Die Musik der Kanonen!"

Aber blutig schlug General Radetzky bei Custozza die Freiheitskämpfer nieder. Viele mutige Patrioten mußten ihre Teilnahme mit dem Tod oder jahrzehntelanger, harter Gefangenschaft in dem berüchtigten österreichischen Staatsgefängnis auf dem Spielberg bei Brünn bezahlen. Weder die Unabhängigkeit noch die Einheit Italiens war erreicht worden.

Verdi hat sich zeit seines Lebens als politisch denkender Mensch verstanden. Er ließ sich als Abgeordneter in der Nationalversammlung aufstellen und war anwesend, als Viktor Emanuel zum ersten König von Italien proklamiert wurde. Endlich, im Februar 1861, wurde Italien vom Gardasee bis Sizilien ein einheitlicher Staat. Aber keine Republik, wie Verdi erhofft hatte, so daß er schon sechs Jahre später sein Mandat aufgab. Ironisch schrieb er an Piave: "Die 450 Deputierten sind in Wahrheit 449, weil es den Abgeordneten Verdi nicht mehr gibt." Das politische Geschäft sagte ihm nicht zu, und die Art und Weise, wie sich das Königshaus Savoyen entwickelte, mißfiel ihm. Mehr und mehr zog sich Verdi auf sein Landgut Sant Agata zurück, das er mustergültig verwaltete. Als Achtzigjähriger krönte er schließlich sein gewaltiges Gesamtwerk mit der lyrischen Komödie "Falstaff", einer Oper von perlender Leichtigkeit und Anmut, voll schalkhaftem Humor und Grazie. Sie offenbart die abgeklärte Heiterkeit des alten Meisters. Im Grand Hotel de Milan ist Giuseppe Verdi mit fast neunzig Jahren am 27. Januar 1901 gestorben. Er hat wie kein anderer die musikalische Kultur und zugleich die Politik Italiens verändert.


 
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