© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Pankraz,
Hendrik Ibsen und die Stücke der Putzgruppe

Leben wir wirklich in der Spaßgesellschaft? Wenn ja, warum werden dann die riesigen Spaßvorgänge, die die Berliner Politik uns fast täglich bietet, so bierernstig hin- und hergewendet, warum kommt kein Komödienschreiber oder Fernseh-Dramaturg auf die Idee, sofort ein Theaterstück oder ein Drehbuch aus ihnen zu machen?

Da ist, zum Exempel, die Causa Joschka Fischer. Es ist nun heraus, daß unser Herr Außenminister in seiner reifen Jugend nicht nur Rabauke ("Heißsporn") und Wehrsportschulen-Gründer ("Putzgruppe") war, sondern auch und vor allem jemand, der bevorzugt auf wehrlose, schon am Boden liegende Gegner eintrat, wenn auch nur, wenn er sich in (mindestens) fünffacher Übermacht wußte. Ein überreifes Früchtchen gewissermaßen, ein Hanskasper mit der Fliegenklatsche, der wie kaum sonst einer ins televisionäre Puppentheater hineingehört.

Alles paßt zusammen. Der Mann war immer auffällig, stand aber nie in der wirklich ersten Reihe, weder geistig noch praktisch. Geistig war er dazu gar nicht in der Lage, hat nie eine ordentliche Handwerker- oder Facharbeiterlehre absolviert, nie einen Hörsaal von innen gesehen, nie ein anspruchsvolles Werk der Geistesgeschichte zu Ende gelesen. Alles "Intellektuelle" an ihm stammt, ähnlich wie bei Gogols "Revisor", aus zweiter oder dritter Hand, verdankt sich irgendwelchen Aufgeschnapptheiten, Lehrgangs-Broschüren, phrasenhaften Bonmots.

Im Praktischen, beim "Häuserkampf", in den "Strategie-Diskussionen", beim "Go-In" (also beim Provozieren, Fertigmachen und Demütigen von "klassenfeindlichen Charaktermasken"), legte er stets ein schlaues Abwarten und Sich-im-Halbschatten-Halten an den Tag. Jeder Satz, der aus seinem Munde kam, war eine Verschleierung, jede Handlung ein Spiel über die Bande, der Mann von oben bis unten ein Tartuffe allererster Klasse.

Bildungslos, aber phrasengewandt, feige, aber schlau, wartet er geduldig ab, um zu sehen, wohin der Hase am Ende läuft. Dann aber inszeniert er Zug um Zug seinen politischen Aufstieg, und kein Kraut ist mehr gegen ihn gewachsen. Denn die politische Klasse, wie sie sich unter Helmut Kohl (Kohl über Fischer: "Ein großes politisches Talent") in Bonn herausgebildet hat, wartet geradezu auf einen solchen Typ, er ist ihre geheime Sehnsucht, ihr Erfolgsmodell, in allen Fraktionen.

Die Metamorphosen des Joseph Martin Fischer – was für ein Lustspielstoff: die Sache mit den Turnschuhen und dem dicken Bauch einst und den Armanianzügen und der faltigen Geheimrätlichkeit heute! So etwas braucht man doch nur auf die Bühne zu stellen, das kommentiert sich von ganz allein. Und parallel dazu die Wandlungen der Rhetorik, der "Überzeugungen": vom Antivietnam-Einsatz zum Kosovo-Einsatz, vom Molotowcocktail-Schmeißen zum Uranbomben-Schmeißen. Spürt denn keiner in den Dramatur-gien, was für komödiantische Möglichkeiten hier auf ihre Verwirklichung warten?

Und die Causa Fischer ist bekanntlich nicht die einzige ihrer Art. Da ist die Causa mit dem verliebten Verteidigungsminister, der zunächst im Hinblick auf das Kosovo von einem "zweiten Auschwitz" spricht und sich später als völlig uninformiert outet, als einer, der nicht einmal über die Art der von seinen Truppen verwendeten Munition Bescheid weiß. Oder da ist die Causa der Gesundheitsministerin, die ihre Vorstellungen von Volksgesundheit bei sportlichen Übungen im Rotlichtmilieu erworben hat und ihre Fähigkeiten nun ausgerechnet im Zeichen des Rinderwahnsinns entfalten soll. Oder die Causa Sebnitz, ein Fall, der eher zur Tragikomödie tendiert, etwa im Sinne von Molières "Eingebildetem Kranken" oder von Ibsens "Wildente".

Eine Mutter mit schlechtem Gewissen über den Tod ihres unbeaufsichtigten Kindes kommt nach drei Jahren endlich darauf, wie sie sich dieses Gewissen dauerhaft vom Halse schaffen kann. Inzwischen gibt es die "Kampagne gegen Rechts", die Regierung und die Medien heulen tagtäglich wie besessen über die "rechte Gefahr", suchen verzweifelt nach deftigen "Beweisen". Und die Mutter liefert sie ihnen, frei Haus. Wie Schuppen fällt es ihr aus den Haaren: "Es sind die Rechten gewesen, die mein Kind getötet haben, nicht ich mit meiner mangelnden Sorgfaltspflicht, sondern die faschistischen Bürger von Sebnitz".

Mit einer Dummschlauheit, die des Dorfrichters Adam aus Kleists "Zerbrochenem Krug" würdig wäre, zimmert sie das Gebäude ihrer "Beweise". Sie braucht sich gar keine sonderliche Mühe zu geben, denn die Medien und die Regierung warten nur auf solche Gelegenheit. Wie ein Heuschreckenschwarm fallen sie bei ihr ein und fressen ihr ihre Lügen aus der Hand, der Mann von der Bild-Zeitung genauso wie der Hollywood-erfahrene Babelsberger Filmregissur Schlöndorff, nur daß diesem immerhin als erstem schwant, daß hier nichts weiter als Komödie gespielt wird.

Hektisch ruft er seinen Freund und Spezi, Bundeskanzler Schröder, in Berlin an, um ihn vor der "wahnsinnigen" Mutter zu warnen. Doch zu spät: Der Kanzler hat seine Miene schon in staatsmännische Falten gelegt, hat die "Opfer"-Mutter schon feierlich empfangen, um ihr im Namen des Volkes das Mitgefühl aller Anständigen zu übermitteln. Was für eine überdimensionale Schürzung des Knotens! Was für eine Gelegenheit für begabte Nachwuchs-Mimetiker!

Aber natürlich wird weder die Causa Fischer noch die Causa Sebnitz je das Licht irgendeiner Bühne erblicken, und zwar nicht deshalb, weil es keinen Gogol und keinen Molière und keinen Ibsen und keinen Kleist mehr gibt. Selbst diesen Größen würden heute die Türen sämtlicher Dramaturgien vor der Nase zugeschlagen. Lieber spielt man zum vierhundertfünfunddreißigsten Mal die Verbrechen der Nazis nach oder läßt junge Schauspieler Rühreier aus Klosettschüsseln schlürfen. Man ist eben Avantgardist und weiß, was einen in der Berliner Republik nach oben bringt.


 
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