© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Sparschwein der Nation
Die Bundeswehr zwischen Reduzierung und Reform
Paul Rosen

Ein Risiko für die deutschen Soldaten auf dem Balkan durch möglicherweise strahlende DU-Munition mit abgereichertem Uran schließt Rudolf Scharping aus. Doch für ihn selbst ist die strahlende Zeit vorbei. Der Verteidigungsminister sinkt in die Niederungen einer Amtskrise ab. Soldaten und Öffentlichkeit wurden offenbar zu spät oder gar nicht über gefährliche Munitionsreste informiert, behauptet die Opposition. Die Bundeswehrreform, mit der der Minister die Truppe fit machen will für das neue Jahrtausend, erscheint in sich widersprüchlich und ist auf jeden Fall unterfinanziert. Zwar haben pünktlich zum 1. Januar die ersten Berufssoldatinnen ihren Dienst an der Waffe angetreten, doch wankt die Wehrpflicht, die tragende Säule deutscher Sicherheitspolitik.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Scharping, bis dato Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, wurde Ende 1998 vom Spaßkanzler Gerhard Schröder ins Bundeskabinett geholt. Eigentlich wollte der Rheinland-Pfälzer nicht, doch Schröder sah seinen Rivalen lieber in der Nähe am Kabinettstisch als in der Fraktion. Und Peter Struck wollte unbedingt Fraktionsvorsitzender werden. Bei der Truppe kam der SPD-Minister sofort gut an. Offiziere und Generäle hatten den Scharping-Vorgänger Volker Rühe (CDU), einen Minister, der nicht zuhören konnte, regelrecht gehaßt. Scharping wurde mit offenen Armen empfangen. Parallel zum rot-grünen Einstandstheater in Schröders erstem Regierungsjahr wuchs das Ansehen Scharpings. Vom "Reservekanzler" war die Rede. Diese Zeiten sind unweigerlich vorbei.

Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel hatten den Chef des Sicherheitsressorts in ein enges Finanzkorsett gesteckt – zu eng, wie sich schnell herausstellte. Eichel verordnete dem Verteidigungsressort einen weiter absinkenden Haushalt. Frühestens 2004 soll es wieder einen bescheidenen Zuwachs geben. Bis dahin muß Scharping seine Reform aus der kleiner werdenden Finanzsubstanz bezahlen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, zu Scharpings erster Grobausplanung: "Die Grobausplanung leidet an dem gleichen Mangel, an dem alle Pläne bisher gelitten haben, nämlich an der absoluten Unterfinanzierung." Scharping selbst rechtfertigte sich mit dem Hinweis, daß die alte Koalition Schuld trage für die Versäumnisse. Zwanzig Milliarden Mark betrage allein der Investitionsrückstau, weil die Union/FDP-Koalition nicht mehr in neues Gerät investiert habe. Zwischen 1994 und 1998 seien 4,2 Milliarden Mark weniger für Verteidigung ausgegeben worden. In der Tat hatte die Kohl-Regierung die sogenannte Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges gleich mehrfach kassiert. Doch auch Eichel wollte noch einen Ertrag sehen: Bis 2003 wurden dem Verteidigungsetat zusammengerechnet 18 Milliarden Mark entzogen. Pro Jahr kann der Minister zur Zeit 46,8 Milliarden Mark ausgeben, über 50 Milliarden Mark müßten es nach Ansicht der Opposition sein. Notwendige Großanschaffungen, zum Beispiel der neue Truppen- und Lastentransporter Airbus, lassen sich davon nicht finanzieren. Um wenigstens ein politisches Signal für seine Modernisierungsbereitschaft zu geben, stellte Scharping einen "Leerartikel" in den Haushalt. Das heißt, der Airbus kommt, aber wo das Geld herkommt, weiß man noch nicht.

Obwohl Rühe die Bundeswehr bereits massiv verkleinert hatte und sich die Sicherheitslage Deutschlands seit Schröders Amtsantritt nicht verändert hat, trieb Scharping die Bundeswehr in eine neue Reduzierungsrunde. Die Mannstärke soll danach um 33.000 auf nur noch 282.000 Soldaten verkleinert werden. Da von dieser Zahl noch Studenten und Soldaten in Berufsausbildung abzuziehen sind, werden in der Bundesrepublik künftig nur noch 255.000 Mann unter Waffen stehen, davon 200.000 Berufs- und Zeitsoldaten, der Rest sind Wehrpflichtige. Wie dieses Verhältnis funktionieren soll, weiß Scharping selbst noch nicht. Derzeit sind bei ihm rund 188.000 Soldaten unter Dauervertrag. Die Nachwuchsgewinnung gestaltet sich schleppend, auch die Finanzierung der Gehälter erscheint nicht gesichert, falls die Truppe tatsächlich auf 200.000 Berufs- und Zeitsoldaten aufgestockt werden sollte. Auch die Tatsache, daß jetzt Frauen zur Waffe greifen dürfen, löst die Nachwuchsprobleme nicht. Aber wenigstens die Öffnung der Bundeswehr für Frauen kann sich der Minister als politischen Erfolg ins Stammbuch schreiben.

Doch Scharping gerät in eine andere Bredouille: Um Geld zu sparen und um Grundstücke und Gebäude für seinen Etat gewinnbringend verkaufen zu können, muß er Standorte schließen. Aber selbst in Scharpings eigener Partei wird nicht geglaubt, daß er die Gewinne aus Grundstücksverkäufen planmäßig verbuchen kann. Gegen den Versuch, mit einer Beschaffungsgesellschaft namens GEBB Fahrzeuge und Material planwirtschaftlich zu beschaffen und wie ein Unternehmen am Markt durch Leasingmodelle zu finanzieren, steht das altehrwürdige deutsche Haushaltsrecht. Nur eine Parteifreundin Scharpings profitierte bisher von der GEBB: Die ehemalige Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing wurde GEBB-Chefin und kassierte dafür ein Honorar hoch im sechsstelligen Bereich.

Die Wehrpflicht will Scharping nicht abschaffen. Da er aber trotz hoher Verweigererzahlen nicht so viele junge Leute gebrauchen kann, wird die Dauer des Dienstes von zehn auf neun Monate gesenkt. Die Wehrgerechtigkeit bleibe erhalten, versicherte der Minister. Daran zweifeln Verweigerer-Organisationen ebenso wie die Opposition. Die Zentralstelle Kriegsdienstverweigerung rechnete Scharping vor, er lasse allein durch eine falsche Tauglichkeitsquote 38.000 Wehrpflichtige verschwinden. Auch die Zahl der Verweigerer sei viel zu hoch angesetzt. Pures Gift für Scharping waren die auf der Kommandeurtagung in Leipzig von Bundespräsident Rau geäußerten Zweifel am Wehrdienst. Selbst der Wehrbeauftragte Willfried Penner (SPD) hatte Zweifel an Scharpings Zahlen und sagte, wenn die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gehalten werden könne, sei eine Freiwilligenarmee die bessere Alternative. Selbst die FDP kippte inhaltlich um und tritt nun für eine Berufsarmee ein. Scharping verlor in dieser Phase zum ersten Mal die Nerven und warf seinen Kritikern vor, sie wollten eine Söldnerarmee. Derzeit wird die Diskussion von Standortfragen und Uranmunition überlagert. Doch sie wird wieder aufbrechen.

Auch international hat der deutsche Verteidigungsminister schlechte Karten. Der IAP-Militärfachdienst wirft ihm vor, für die beschlossene EU-Eingreiftruppe weder das richtige Gerät noch ausreichend Truppen zur Verfügung zu haben. Und gerade in dieser Phase wachsender internationaler Verpflichtungen soll die Bundeswehr wieder drastisch verkleinert werden. Scharping hat offenbar nicht begriffen, daß er mit seinen Truppen auf dem Balkan festsitzt. Für einen weiteren Einsatz hätte er weder Personal oder Gerät. Der Minister sitzt in der Klemme.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen