© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Mehr Habermas als Hitler
Franz Schönhuber/Horst Mahler: Schluß mit deutschem Selbsthaß
Angelika Willig

Nach einem kurzen Aufschwung vor mehr als zehn Jahren ist der politische Diskurs auf der Rechten längst wieder eingeschlafen. Jeder pflegt die eigene Privat-Theorie und läßt sich von keinem hineinreden. Einer, der damals eine "Intellektualisierung" zwar forderte, aber in seiner eigenen Partei jeden mit Brille und Buch gleich ausschloß, ist Franz Schönhuber. Man argwöhnte damals, der Parteivorsitzende fürchte die Überlegenheit seiner Untergebenen. Heute fürchtet Schönhuber nichts und niemanden mehr und begibt sich in ein öffentliches Gespräch mit dem Ex-RAF-Terroristen Horst Mahler, der nicht nur Akademiker ist, sondern in seiner Zelle auch zum Philosophen wurde.

Erst gegen Ende äußert Schönhuber, was dem Leser gleich auffällt, "daß wir uns auf zwei verschiedenen Ebenen den Problemen nähern". Und um es gleich zu sagen: Die Schönhubersche Ebene ist nicht nur leichter verständlich, sie ist letzten Endes auch richtiger – allerdings lange nicht so geistreich, anregend und originell wie Mahlers. "Mich haben zeitlebens Menschenschicksale mehr interessiert als Normen des Rechts", erklärt Schönhuber – in Wahrheit interessiert ihn zeitlebens nur ein einziges Menschenschicksal, nämlich das eigene, und von diesem Interesse sind historische Reflexion und politische Programmatik geleitet. Mit anderen Worten, Franz Schönhuber gehört zu den Menschen, die beim Thema Ausländer mit der türkischen Putzfrau und bei Europa mit der wunderbaren Kameradschaft bei der Waffen-SS argumentieren. Was so einer nicht selbst erlebt hat, existiert für ihn nicht. Ein Glück, daß wenigstens Auschwitz eine Ausnahme macht. Auch Mahler übrigens leugnet die Nazi-Verbrechen in keiner Weise. Dann aber kommt plötzlich eine Stelle, wo die gesamte Schuld am Zweiten Weltkrieg zwar nicht den Juden, aber den Amerikanern zugeschrieben wird: "In diesem zweiten Akt des dreißigjährigen Krieges gegen das Reich sollte sich nach dem Entschluß Roosevelts das Schicksal Deutschlands erfüllen: das Reich sollte zerstört werden und für immer aus der Geschichte ausscheiden."

Dies allerdings ist den Feinden nicht gelungen, denn Mahler bemerkt mit juristischer Kompetenz, daß das Deutsche Reich am 23. Mai 1945 zwar "handlungsunfähig" geworden, aber als Staats- und Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen sei und nur darauf warte, sich eine Deutsche Verfassung gemäß Artikel 146 Grundgesetz zu geben. Das hört Schönhuber sich erst einmal an, wie überhaupt das Gespräch für ihn eher eine Rückkehr zum ursprünglichen Journalistenberuf ist, und ein Journalist darf sich seine Fachfremdheit und dadurch bedingte Verständnislosigkeit nicht anmerken lassen, wenn er denn schon zum falschen Termin geschickt wurde.

In einem sind sich die beiden Herren auf jeden Fall einig, in der Erklärung dafür, weshalb die Welt heute anders aussieht, als sie sich das wünschen: "Es ist ein relativ kleiner Kreis von skrupellosen Machtmenschen, die die Macht des Geldes verkörpern, die dadurch unangreifbar sind, vor nichts zurückschrecken und den politischen Apparat der USA und ihrer Vasallen fest in der Hand haben."

Wie aber dieser Zustand zu ändern sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Schönhuber schwört trotz vieler Enttäuschungen weiterhin auf die Wahlen, Mahler hält von Wahlen gar nichts und will statt dessen das Bewußtsein durch "Studienzirkel" über das ganze Land verteilt ändern. Was soll dort studiert werden? Zunächst Geschichte und dann Philosophie, deutsche Philosophie, vor allem Hegel. Warum Hegel? Weil der die "Volksgemeinschaft" begründet. Hegel "sieht das Ganze", "kommt vom Ganzen her und denkt die Teile vom Ganzen her und sagt: jeder Teil ist auch das Ganze. Das ist der Gedanke der Volksgemeinschaft." Und warum Volksgemeinschaft? "Wir sind verloren, wir schmoren in der Hölle, wenn wir meinen, wir können als Einzelwesen mit unseren Ellbogen uns ein Leben sichern und ein Leben zufrieden führen, wenn wir nicht die Rückbindung an das Ganze haben." Hegel ist Idealist, nicht Materialist, "Volksgemeinschaft" hat also mit Blut und Rasse nichts zu tun.

Und auch Schönhuber stimmt bei, da hätte er nichts dagegen, "wenn ein junger Mensch sich in eine hübsche Asiatin verliebt". So war das dann aber nicht gemeint. "In der Sphäre des Geistes", erklärt Mahler, "erscheint das Ausschließende des ’Eins‘ zunächst in sinnlicher Gestalt als abstoßendes Gefühl (Aversion). Altkanzler Helmut Schmidt führte sie in einem Interview auf ’tiefverwurzelte Instinkte‘ zurück. Nur Narren können auf den Gedanken kommen, uns diese ’Instinkte‘ ausreden zu wollen. Sie sind die Kraft, die uns signalisiert, daß sich jedes Volk als eins unter vielen Völkern gerade in deren Vielfalt erhalten will."

In der Sphäre des Geistes den Instinkten zu gehorchen, mag als Widerspruch erscheinen, für Mahler ist es das dialektische Meisterstück, das ihm die Mitgliedschaft in der NPD erlaubt. Während Schönhuber von dieser Partei "in geradezu unglaublicher Form angegriffen" wurde, als er "gegen deren Blutsdefinition zu Felde zog". Nie klang der Stammtisch-Politiker harmloser als in der Diskussion mit dem Intellektuellen. Aber auch Mahler ist letztlich harmlos. Wenn die künftige Regierung eines "Deutschen Reiches" nicht durch Wahlen bestimmt werden und die Macht nicht bei den Parteien liegen soll, dann hat das nichts mit Diktatur oder Führerprinzip zu tun. Eine "Volksbewegung wie 1989" stellt er sich vor, und durch "Einsicht und vernünftige Entscheidung" sollen die Probleme gelöst werden. Über "Runde Tische" soll eine "Nationalversammlung" einberufen werden. Das klingt doch weniger nach Hitler als nach Habermas. Sogar an die westdeutschen Universitäten von 1968 fühlt der Sprecher sich erinnert.

Einem ist Mahler durch den Wechsel von links nach rechts treu geblieben: der Theorie. Wieder kommt er mit einer Lösung, die völlig überzeugend klingt, nur daß sie mit der Realität nichts zu tun hat. Aus diesem Grunde braucht es die Verschwörungstheorie. Wie sollte man sonst erklären, daß die Wirklichkeit sich so anders entwickelt, als es die Theorie vorsieht? Wieso begreift das Volk nicht, daß es sich mit seinem Staat rückhaltlos identifizieren muß, um auch vollkommen in diesem Staat geborgen zu sein? Warum nimmt es statt dessen den Staat finanziell so weit wie möglich aus und kümmert sich um "das Ganze" einen Dreck?

"Das Geistige allein ist das Wirkliche", sagt Hegel. Sein Grundgedanke von der Einheit des Ganzen und der Teile gilt nur in der Sphäre des Geistes. Dort ist der "objektive Geist" mit den einzelnen Subjekten identisch, weil eins nicht ohne das andere gedacht werden kann. Das Subjekt, das sich und die Welt denkt, fällt mit der Sustanz der Welt zusammen, heißt es. Der Mensch ist aber nicht nur Geist und nicht nur Subjekt. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat Hegel hier schon scharf kritisiert und auf das hingewiesen, was den Menschen des 20. Jahrhundert charakterisierte. Es ist das "Herausstehen" aus allen Bindungen und Zusammenhängen, was als "Existenz" bezeichnet wird und was den Menschen mit seiner eigenen Einsamkeit und dem Tod konfrontiert. Die "Existenz" ist nicht mehr wie das "Subjekt" bereit und in der Lage, sich mit einem Übergeordneten zu identifizieren. In seiner Gier und seiner Angst rafft der moderne Mensch alles an Werten und Freuden an sich, ohne auf die anderen, die ihm allesamt fremd sind, Rücksicht zu nehmen. Nicht Hegel, sondern Kierkegaard beschreibt unsere heutige Wirklichkeit.

Trotz aller Einwände liest sich das Buch wohltuend, um nicht zu sagen spannend. "Diese Rede von vermeintlichen Sachzwängen ist eine Religion oder besser: eine Anti-Religion", sagt Mahler. "Es gibt keine Sachzwänge." Das ist es, diese Radikalität des Denkens, die Annahme, daß alles zur Disposition steht, der Mut, einfach mal politisch zu phantasieren. Das fehlt auch bei den Rechten, wo man sich immer wieder durch Ablehnung profiliert, ohne eine Alternative auch nur ins Auge zu fassen. Es gibt keine Sachzwänge, sondern nur Entscheidungen. Und darüber sollte der Streit gehen.

 

Franz Schönhuber/Horst Mahler: Schluß mit deutschem Selbsthaß. Plädoyers für ein anderes Deutschland. VGB, Starnberg am See 2000, 256 Seiten, Abb., 29,80 Mark


 
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