© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
130.000 Mark pro Arbeitsplatz
Bergbau: Die EU-Kommission macht Druck bei den deutschen Steinkohlesubventionen
Dirk Fischer

Erinnern Sie sich noch an die bürgerkriegsähnlichen Zustände im März 1997 in Bonn? Aufgebrachte Kumpel belagern tagelang das Regierungsviertel und blockieren die Parteizentralen der damaligen Koalitionsparteien CDU und FDP. Diese von Gewerkschaften und SPD inszenierte Kampagne sollte der Regierung Druck machen in den Verhandlungen zur Regelung der Steinkohlebeihilfen. Letztlich einigt man sich auf den sogenannten Kohlekompromiß: Die Subventionen sinken bis 2005 auf insgesamt 5,5 Milliarden Mark pro Jahr, wobei NRW seine Absatzhilfen von 1 auf 1,15 Milliarden aufstockt. Von den 85.000 Arbeitsplätzen sollen bis dahin 48.000 ohne Entlassungen wegfallen. Die Jahresproduktion wird im gleichen Zeitraum von 52 auf 26 Millionen Tonnen halbiert. Die Ruhrkohle AG übernimmt die Saarbergwerke und tritt fortan als alleinige Betreiberin auf.

Diese Einigung wird von den Bergleuten als großer Sieg gefeiert: Die 10.000 im Müngersdorfer Stadion in Köln untergebrachten Kumpel skandieren "Wir sind das Volk". Derartige Szenen könnten demnächst Kanzler Schröder in Berlin ins Haus stehen, und das ausgerechnet im Bundestagswahljahr 2002. Am 21. Dezember hat die EU-Kommission zwar die deutschen Kohlesubventionen für 2000 und 2001 in der Gesamthöhe von 17,3 Milliarden Mark genehmigt, aber die deutsche Seite, angeführt von Bundeswirtschaftsminister Müller und NRW-Ministerpräsident Clement, mußte der Umschichtung von Absatzhilfen zu Stillegungssubventionen in Höhe von 1,2 Milliarden Mark zustimmen. Für 2000 steigen die Beihilfen für die Abwicklung unrentabler Zechen von 2 Milliarden in 1999 auf 3,2 Milliarden Mark. Konkrete Beschlüsse zu Zechenstillegungen sollen nach Angaben der Ruhrkohle AG zwar nicht vor 2003 fallen, wahrscheinlich müssen aber aus den Stillegungsbeihilfen schon jetzt Rücklagen gebildet werden, die sich auf den laufenden Betrieb auswirken könnten.

Hinzu kommt, daß im Jahre 2002 der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) ausläuft, der noch Sonderregelungen für den Montanbereich vorsieht. Danach gelten die strengeren Bestimmungen der EU-Beihilfenkontrolle. Die zuständige Energiekommissarin Loyola de Palacio hat schon jetzt angekündigt, daß die deutschen Subventionen bis 2005 deutlich unter 5 Milliarden sinken müßten. Sowieso steht Deutschland dann wahrscheinlich mit seiner Kohlepolitik in der EU alleine da.

Das strenge Gebaren der Kommission ist nicht nur im Hinblick auf dieses Auslaufen zu sehen, sondern beruht auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Das britische Unternehmen RJB Mining hatte gegen den zunächst von der EU genehmigten Kohlekompromiß geklagt, weil eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Steinkohle nicht abzusehen sei. Der EuGH wies die Klage ab, machte für eine Genehmigung von Absatzhilfen nach dem EGKS-Beihilfenkodex aber eine gleichzeitige erkennbare Kostenreduktion zur Bedingung.

Absatzhilfen sind grundsätzlich in der Höhe der Differenz zwischen Produktionskosten und dem Weltmarktpreis zulässig, allerdings nur für die Strom- und Stahlproduktion und nicht etwa für den häuslichen oder industriellen Wärmemarkt. Von einer derartigen Entwicklung ist der Steinkohlebergbau in Deutschland aber weit entfernt. Im Gegenteil: Lagen hier die Förderkosten 1973 um 50 Prozent über dem Weltmarktpreis, so machten die deutschen Zechen quasi als Trittbrettfahrer die folgenden rapiden Preissteigerungen des Mineralöls mit, ohne allerdings die in den Achtzigern folgende Senkung der Energiepreise nachzuvollziehen. Das war nur möglich, da die steigende Spanne zum Weltmarktpreis durch die Absatzbeihilfen auf Kosten des Steuerzahlers garantiert aufgefüllt wurde und somit kein Anreiz zur Kostenreduktion bestand.

Der Weltmarktpreis liegt nun bei etwa 80 Mark pro Tonne, gegenüber deutschen Produktionskosten von etwa 230 Mark. Zwar wurden die Arbeitsplätze im Steinkohlenbergbau von 187.000 im Jahre 1980 auf zur Zeit 54.000 abgebaut, aber die Subventionen sind im gleichen Zeitraum nur wenig unter 10 Milliarden gesunken. Das sind jährlich um die 130.000 Mark pro Arbeitsplatz. Jede deutsche Familie zahlt derzeit ca. 500 Mark pro Jahr für den Erhalt des Steinkohlebergbaus. Da Fortschritte bei der Kostenreduktion nicht abzusehen sind, fließen nach Ansicht der Energiekommissarin de Palacio zu viele Mittel in die Betriebshilfen statt in die Förderung des Kapazitätsabbaus. Sah der Kohlekompromiß noch einen gegenüber den Stillegungssubventionen höheren Anteil an Absatzhilfen vor, so wollte de Palacio diese Relation umdrehen. Das ist ihr nicht gelungen, aber sie konnte eine ungefähr hälftige Teilung der Finanzmittel erreichen.

Peinlich, daß erst die EU, die an die Landwirtschaft Milliarden verteilt, Druck ausüben muß, bevor der Subventionsabbau bei der Kohle endlich forciert wird. Die Bürger, deren Arbeitsplätze mit Masse keine Förderung genießen, nehmen die alljährlichen Milliardenbelastungen weitgehend klaglos hin, denn die Nutznießer der Kohlepolitik haben es geschafft, vor der öffentlichen Meinung ihre Partikularinteressen als Gemeinwohl auszugeben.

Aber die Beschäftigten im Bergbau sind eben nicht "das Volk." Subventionen verfälschen Preise und Kosten. Im vorliegenden Fall mit einer Differenz zwischen Marktpreis und Produktionskosten von etwa 300 Prozent sogar in extremer Form. Marktpreisbildung bestimmt die Gewinnchancen und sorgt damit für eine Lenkung der Produktionsmittel in die Verwendung, die den größten Beitrag zum Volkseinkommen leistet. Bei Subventionierung werden Arbeit und Kapital in die begünstigte Branche umgeleitet, welche die entsprechenden Faktorpreise sonst nicht zahlen könnte. Auf der Einnahmeseite verringern die für die Finanzierung der Beihilfen notwendigen Steuern die Renditen der nicht begünstigten Branchen und damit Investitionen. Den besteuerten Konsumenten entstehen Wohlfahrtseinbußen, da ihnen weniger für die Nachfrage bleibt.

Es liegt also nicht nur eine Umverteilung in der Höhe der Subventionen vor, sondern es entstehen zusätzlich Effizienzverluste, die das Entstehen von Arbeitsplätzen verhindern und das Volkseinkommen mindern. Deswegen zieht in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auch das Argument nicht, mit den Steinkohlebeihilfen würden Arbeitsplätze gesichert. Darüber hinaus wird die Versorgungssicherheit als energiepolitische Rechtfertigung der Steinkohlebeihilfen angeführt. Dieses Argument erscheint nur stichhaltig, wenn man illusorischem Autarkiedenken anhängt. Die europäischen Strommärkte sind so verflochten, daß eine Isolierung eines Landes von der Größe Deutschlands unmöglich wird. Und in den anderen Bereichen stellt sich die Frage, wie man im Krisenfall kurzfristig auf Kohle umstellen soll.

Die Diskussion um die Steinkohlebeihilfen schleppt sich jetzt seit Jahrzehnten dahin. Ursache ist, daß sich die Interessen der durch den Strukturwandel gefährdeten Branchen an staatlicher Unterstützung leichter organisieren lassen als die der Steuerzahler oder zukunftsträchtiger Branchen, wie die inszenierten Proteste im Vorfeld des Kohlekompromisses gezeigt haben. Eine kleine homogene Gruppe hat große Vorteile, während sich die Kosten auf viele Schultern verteilen. Die angesprochenen Effizienzverluste sind zudem nicht direkt spürbar, und die Vorteile eines Subventionsabbaus liegen in der Zukunft. Bezogen auf den Einzelnen ist das Interesse am Fortbestand staatlicher Finanzhilfen in der Gruppe der Begünstigten deshalb größer als das Interesse der Kostenträger an deren Streichung. Deshalb werden erstere mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Wahlentscheidung von der Haltung der Politiker zu diesem Thema abhängig machen. Diese können somit durch Verteilung gezielter Wohltaten auf Stimmenfang gehen.

Als dritte Gruppe der Beharrungskräfte ist die Bürokratie zu nennen, denn die Milliarden müssen natürlich verwaltet werden – und welche Behörde baut sich schon gerne selbst ab? Die Steinkohlebeihilfen sind ein Widerspruch zur marktwirtschaftlichen Ordnung und im globalen Wettbewerb ein Anachronismus. Deshalb ist der Energiekommissarin Erfolg zu wünschen. Es sollte einen aber stutzig machen, daß ausgerechnet die EU-Kommission jetzt ihr Herz für Ordnungspolitik entdeckt. Es ist vielmehr zu befürchten, daß sie ihren eigenen energiepolitischen Einfluß ausweiten will. Denn auch sie ist eine Behörde.


 
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