© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
In erster Linie zählt der Spaß
Bildung: In Nordrhein-Westfalen sollen Jugendliche ihre "typisch männliche oder weibliche Verhaltenweise überdenken"
Alexander Schmidt

Rückhaltlose Aufklärung" – im vergangenen Sommer beschrieb der Begriff noch die Versuche des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, unbeschadet aus der Spendenaffäre der Union hervorzugehen. Jetzt erinnern die Kampagnen von Bundes- und nordrhein-westfälischer Landesregierung im Bereich der Sexualaufklärung an den gegen Ende des Jahres zur Phrase gewordenen Begriff.

Künftig steht nämlich in NRW eine "SCHLAUe Kiste" bereit, mit der Experten, Mitarbeiter in schwul-lesbischen Zentren, Aufklärungsarbeit auf dem Gebiet der Homosexualität leisten wollen.

In einer Zusammenarbeit des nordrhein-westfälischen Familienministeriums mit dem Schwulen Netzwerk NRW e.V. sowie Sinus, einem Büro für Kommunikation und weiteren schwul-lesbischen Aufklärungsgruppen wurde für 145.000 Mark ein Koffer ausgestattet, der nach Angaben aus Düsseldorf Materialien und Handreichungen sowie methodische Anregungen für die Gruppenarbeit enthält.

Das sind neben Büchern und Fotos auch sogenannte assoziative Gegenstände. In einem der empfohlenen Gruppenspiele geht es darum, Karten mit Begriffen wie "normal", "pervers", "sensibel", "Männerhasser" oder "rote Rose" Begriffen wie "lesbisch", "schwul", oder "hetero" zuzuordnen. Aus den Ergebnissen sollen so bestehende Vorbehalte gegen Homosexuelle erkannt und ausgeräumt werden. Vorurteile und Benachteiligungen lassen sich nur durch Aufklärung abbauen, sagt die verantwortliche Ministerin, Birgit Fischer. Weiter wolle man durch die "SCHLAUe Kiste" erreichen, daß Jugendliche ihre Vorstellungen von typisch männlichen und typisch weiblichen Verhaltensweisen kritisch überdenken und homosexuelle Lebensweisen akzeptieren.

Bei der "Schwul-Lesbischen Aufklärung in NRW", sozusagen den Kofferträgern des Ministeriums, wird der Ton deutlicher. Man wolle "Jugendlichen, die auf der Suche nach sexueller Identität sind, Orientierungshilfen und Informationen geben". Diesen Ansatz bezeichnen Pädagogen als verheerend, da viele Homosexuelle ihre Lebensweise als "die Normalere" betrachten und so einen staatlich geförderten Einfluß auf Minderjährige ausüben, der diese zu besonderem Interesse an der Homosexualität führen kann.

Obwohl bundesweit in elf Ländern sogenannte Aufklärungskampagnen bestehen, ist NRW das erste Bundesland, das die ehrenamtliche Arbeit auf dem Gebiet der schwul-lesbischen Aufklärung fördert. Allerdings ist auf Bundesebene die Kampagne "Loveline" entstanden, deren Ziel die Sexualberatung für Jugendliche ist. Dort heißt es ähnlich wie im nordrhein-westfälischen Ministerium, daß Homosexualität keine Krankheit sei. Es komme vielmehr darauf an, einen Menschen zu lieben. Neben einigen Video-Sequenzen hat das Bundesministerium für Frauen, Familie und Gesundheit allerdings auch einen eigenen Dr. Sommer. Der rät unter anderem der 14jährigen Viola auf ihre Frage hin, wie Oralverkehr funktioniere: Oralverkehr solle so vorsichtig gemacht werden, daß es angenehm und erregend sei. Natürlich sei es auch Geschmackssache, ob man/frau diese sexuelle Praktik möge. Es gebe Menschen, die keinen Oralverkehr mögen. Wichtig sei, Spaß am Sex zu haben, sich zu nichts überreden zu lassen und das, was man/frau zusammen mache, zu genießen. Erlaubt sei grundsätzlich, was beiden gefalle.

Aber nicht nur hier weiß das Ministerium Hilfestellungen zu geben. Ein Lexikon zur Sexualität bietet auch eine Definition über ungeborenes Leben, das mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle beginne und ab diesem Zeitpunkt unter dem besonderen Schutz des Staates stehe. Wie weit dieser Schutz geht, darüber gibt eine andere Passage Auskunft. "Die Abtreibung ist ein operativer Eingriff und wird entweder unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose vorgenommen. Die gebräuchlichste Methode ist die Absaugung. Dabei erweitert die Ärztin/der Arzt vorsichtig den Gebärmutterhals und entfernt anschließend Fötus und Plazenta. Das dauert etwa fünf bis zehn Minuten." Von den vielen Karikaturen und Abbildungen, die bei dem Besuch der Internetseite < http://www.loveline.de > den Spaßfaktor erhöhen sollen, ist hier jedoch nichts zu finden.

Es ist möglich, daß die "rückhaltlose Aufklärung" auch ein zweites Mal zu einer Phrase wird. Unter dem Mantel der Aufklärung und Beratung scheinen sich lobbystarke Verbände wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) um die Rekrutierung von Nachwuchs bemühen.


 
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