© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Kommando Joschka Fischer
Der grüne Außenminister wird von seiner Vergangenheit eingeholt
Werner Olles

Seit der Stern Anfang Januar ein Interview mit dem Außenminister und Vizekanzler ("Ja, ich war militant!") veröffentlichte, das mit mehreren Bildern unterlegt war, die Joschka Fischer gemeinsam mit ein paar Gesinnungsgenossen während einer Demonstration im April 1973 in Frankfurt am Main zeigen, bei der die Gruppe einen einzelnen Polizeibeamten zusammenschlägt und auf den am Boden liegenden eintritt, ist die Aufregung groß. Die CSU und der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Union, Wolfgang Bosbach, fordern seinen Rücktritt, da er – so Bosbach – "kein Repräsentant einer gewaltfreien Zivilgesellschaft" mehr sein könne. Aber bereits CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer mochte so weit nicht gehen, sondern empfahl den Grünen – potentielle Koalitionspartner darf man nicht zu sehr verschrecken –, sich noch einmal intensiv in den eigenen Reihen mit der Gewaltfrage auseinanderzusetzen.

Am 8. Januar zog der Spiegel mit einem weiteren Interview des Außenministers nach, das sich von den Gefälligkeitsfragen der Stern-Redakteure deutlich unterscheidet. Einerseits stilisiert sich Fischer hier noch eindeutiger zum Opfer von Polizeigewalt und zum großen Warner vor den schlimmen Verlockungen des Links-Terorismus. Andererseits beherrscht er auch hier einmal mehr den "Gestus der heroischen Verniedlichung grandios", wie Götz Aly am gleichen Tag in der Berliner Zeitung feststellte.

Aly zeigt auch Verständnis für die Frau, die die Bilder des prügelnden Joseph Fischer dem Stern unter dubiosen Umständen zur Verfügung stellte: Bettina Röhl. Sie könne sich als eine der beiden Töchter von Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl auf ein "legitimes Motiv" berufen. Genau dies sprechen ihr Fischers Parteigänger wie Rainer Bütikofer, einst Mitglied der Heidelberger "Kommunistischen Studentengruppe" des Gerhard Schmierer, eines ehemaligen Pol Pot-Verehrers, der heute sein hartes Brot als Ministerialdirigent in Fischers Auswärtigem Amt verdient, jedoch ab.

Tatsächlich entbehrt die Aufregung um die Fotos und Fischers Bekenntnis "... aber wir haben auch kräftig hingelangt" nicht einer gewissen Heuchelei. Und die Forderungen nach seinem Rücktritt sind daher in ihrer Naivität zwar rührend, aber völlig abwegig. Denn wer es wissen wollte, der hat es auch schon immer gewußt: Jene Lichtgestalt, die da nach dem rot-grünen Wahlsieg auf den Chefposten des Auswärtigen Amtes gehievt wurde, war als "Außenkader" des "Revolutionären Kampfes" (RK) und des "Häuserrates" alles andere als ein versponnener idealistisch-pazifistischer Intellektueller. Genausowenig wie der heutige Grünen-Europaabgeordnete und Fischer-Weggefährte Daniel Cohn-Bendit, der nach einem Augenzeugenbericht bei einer Demonstration versuchte, mit seinen Stiefeln auf einen zu Boden gegangenen Polizisten einzutreten.

Schon 1967 hatte Fischer in Stuttgart wegen Landfriedensbruchs eine Haftstrafe von sechs Wochen erhalten, die ihm jedoch dank einer Amnestie der Bundesregierung erlassen wurde. Eine sechstägige Ordnungsstrafe mußte er allerdings in Stammheim absitzen. So begann die Bildungsgeschichte des Joseph Martin Fischer, die weitgehend identisch ist mit der Bildungsgeschichte jener Bundesrepublik, die heute der Staat Fischers und seiner Parteigänger ist. Wer dies nicht für möglich hält, schaue ihn sich genau an: die Bedenkenlosigkeit in der Wahl seiner Methoden, die Dreistigkeit seiner Auftritte, die zeigen sollen, daß man verstanden hat, was die neue Zeit ist. Dies alles hat in der naiven Deutung politischer Lebensgesetze und ihrer rohen mitleiderregenden Praxis auch gewisse Züge von Hilflosigkeit, wenn Fischer beispielsweise über den "Wilhelminismus der Adenauer-Ära" schwadroniert und damit seine erschreckende Geschichtslosigkeit offenbart.

Christian Schmidt, ein ehemaliger Kampfgefährte Fischers, zitiert in seinem Buch "Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang" dessen Eingeständnis seiner "Lust am Schlagen", die für ihn immer auch "ein tendenziell sadistisches Vergnügen" sei. In der Tat war die Militanz ein integraler Bestandteil der Bewegung. Noch im Juni 1972 hat Fischer nach den RAF-Bombenanschlägen und der Festnahme ihrer Kerntruppe jene Linken angegriffen, die wie der Hannoveraner Sozialwissenschaftler Oskar Negt die RAF einer kompromißlosen Kritik unterzogen. Mit einer derartigen Distanzierung habe Negt "einen Prozeß der Entsolidarisierung eingeleitet, der sich für die gesamte radikale Linke rächen" müsse. Nach dem Selbstmord Ulrike Meinhofs am 9. Mai 1976 in Stuttgart-Stammheim erhob Fischer in einer Rede auf dem Römerberg den absurden Vorwurf, sie sei "im Knast von der Reaktion in den Tod getrieben, ja vernichtet worden".

Bei der folgenden, äußerst gewalttätigen Demonstration warfen die Demonstranten Steine und Molotow-Cocktails. Während Politrocker aus der Fischer-Gang Polizisten prügelten, wurde ein paar hundert Meter weiter ein Polizeifahrzeug von einem Brandsatz erwischt. Mehreren Beamten gelang es in letzter Sekunde, den lichterloh brennenden 23jährigen Polizeiobermeister Jürgen Weber schwerverletzt aus dem Wagen zu zerren. Lange Zeit stand nicht fest, ob der junge Beamte, dessen Haut zu einem erheblichen Teil verbrannt war, den Brandanschlag überleben würde. Am Abend des gleichen Tages feierten Fischers Genossen auf dem Campus diesen großen Sieg unter einem Transparent mit der flammenden Aufschrift "Auch ein brennender Polizist ist eine Propaganda der Liebe!"

Ein paar Tage später durchsuchte das Mobile Einsatzkommando (MEK) vierzehn Wohngemeinschaften. Unter den wegen des Verdachts des Mordversuchs festgenommenen zwölf Männern und zwei Frauen aus dem Umkreis der Gruppe "Revolutionärer Kampf" befand sich auch der 28jährige Joseph Fischer. Der Vorwurf, er sei einer der Vermummten gewesen, die die Brandsätze auf die Polizisten geschleudert hatten, ließ sich allerdings nicht aufrechterhalten. Fischer bestritt jetzt noch einmal definitiv, die Molotow-Cocktails auf die Polizeibeamten geworfen oder sich für diese brutale Form von Gewalt einesetzt zu haben. Solche Aktionen seien vielmehr "spontan" geschehen.

Dazu ist zu sagen, daß diese Art von Spontaneität natürlich eine inszenierte war. Die gewalttätigen Pläne der sogenannten Spontis – die der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Arndt (SPD) damals als "faschistoide Chaoten, schlimmer als die SA und die SS in der Nazizeit" entlarvte – funktionierten vielmehr mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks. "Die Militanz der Sponti-Bewegung war praktisch funktionell abrufbar (und) machte sie objektiv zu einem Instrument ihrer Wortführer", schrieb der Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Karsten Voigt, was heißen sollte, auch wenn Fischer den Brandsatz nicht geworfen hatte, so war er doch für den Anschlag mitverantwortlich.

Genau dies behauptet auch Christian Schmidt in "Wir sind die Wahnsinnigen". Fischer habe sich am Vorabend der Demonstration im Stadtteilzentrum von Frankfurt-Bockenheim als Diskussionsleiter keineswegs gegen den Einsatz von Molotow-Cocktails ausgesprochen, da man mit dieser "Wunderwaffe" schon beim Sturm auf das spanische Generalkonsulat im September 1975 "einen historischen Sieg erzielt hatte". Zwar führt der Spiegel dagegen einen namentlich nicht genannten Augen- und Ohrenzeugen ins Feld, der sich daran erinnert, daß Fischer sich nicht aktiv für den Einsatz von "Mollis" ausgesprochen hätte, gleichwohl den wegen des angeblichen "Justizmordes" an Ulrike Meinhof aufgebrachten und gewaltbereiten Militanten auch nicht widersprochen habe.

In einem Offenen Brief an Bundespräsident Johannes Rau, in dem sie diesen bittet, sie "von Amts wegen zu unterstützen", und den Bundeskanzler auffordert, nicht länger zu schweigen, hat Bettina Röhl angekündigt, Strafanzeige gegen Fischer wegen versuchten Mordes an dem Polizeibeamten Jürgen Weber bei der zuständigen Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main zu erstatten. Als einen "symbolischen Muttermord" bezeichneten einige Medien daraufhin ihr Vorgehen – angesichts der Verschleierungsversuche der Verantwortlichen, Täter und Mitläufer von damals ist dies eine mehr als zynische Bewertung der Beweggründe einer Frau, in deren Kindheit "die ideologische Verblendung der späten Achtundsechzigerbewegung rücksichtslos und traumatisch eingegriffen hat" (Götz Aly).

Die Strategie der Sponti-Bewegung geriet erst außer Takt, als im Juli 1976 zwei Frankfurter Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) einen Airbus entführten und dann die jüdischen Passagiere von den nicht-jüdischen selektierten. Eine "gewaltige Desillusionierung" nannte Fischer diesen Vorgang in seinem Stern-Interview. "Wir erkannten allmählich, daß diejenigen, die mit der Abkehr von der Elterngeneration als Antifaschisten begonnen hatenn, bei den Taten und der Sprache des Nationalsozialismus gelandet waren", sagte er dem Spiegel.

Nicht aus der Welt geschafft ist bis heute auch jene mysteriöse Geschichte um den Mord an dem hessischen Wirtschaftsminister Karry 1983. Die Sportpistole, mit der Karry von Mitgliedern der "Revolutionären Zellen" ermordet wurde, war in einem auf Fischer zugelassenen Auto transportiert worden, das dieser dem Mechaniker Hans-Joachim Klein zur Reparatur überlassen hatte. Klein, der wegen des Opec-Attentats 1975 in Frankfurt vor Gericht steht, schweigt sich hierüber bislang noch aus.

Joseph Fischer wird am 16. Januar in Frankfurt am Main als Zeuge im Prozeß gegen seinen früheren RK-Genossen gehört werden. Kleins Weg in den Terrorismus der "Revolutionären Zellen" nannte er eine "Tragödie". Anders als Fischer, der es als ungelernter Taxifahrer und Aushilfsbuchhändler vom Bockenheimer Bierlokal "Nutten-Louis" immerhin bis in den Chefsessel des Auswärtigen Amtes brachte, ist Klein den Weg der Gewalt bis zum bitteren Ende gegangen. Wenn der Verführer dem Verführten also demnächst gegenübertritt, wird sich zeigen, ob die Zeit wirklich alle Wunden heilt.


 
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