© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Die Amerikanisierung der Seele
Kino: "Ride with the Devil" von Ang Lee
Claus-M. Wolfschlag

K ein klassischer Kriegsfilm, auch kein Western im herkömmli chen Sinne, was Regisseur Ang Lee mit "Ride with the Devil" präsentiert. Aber gerade dies vermag dem Streifen den Glanz des Besonderen zu verleihen. Die Geschichte spielt 1862 an der Grenze zwischen Kansas und Missouri. Der nordamerikanische Bürgerkrieg tobt mit grausamer Wucht, reißt Familien auseinander oder löscht diese aus, verwüstet Gutshäuser und ganze Landstriche.

Die Thematik des Kampfes zwischen den Armeen der Nord- und Südstaaten wurde schon mehrfach verfilmt, so gut wie nie aber die Geschichte hinter der Geschichtsschreibung der Lehrbücher: die Geschichte der Menschen, der verwirrenden Konstellationen und Koalitionen. Ang Lee dagegen behandelt nicht den Kampf zwischen den regulären Armeen der beiden Kontrahenten, sondern den Konflikt, der durch die Menschen und die Orte geht. Im Landesinneren hat sich längst ein erbitterter Kleinkrieg zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen entwickelt. Bürger schlachten ihre Nachbarn ab, deutsche Neueinwanderer sympathisieren mit den Nordstaaten, angelsächsische Baumwollfarmer rächen sich an diesen unionistischen Kollaborateuren oder ermorden rebellische Negersklaven.

Weniger die offiziellen Schlachtlinien bestimmen den Verlauf des Geschehens hinter der Front als der schlagartig auftauchende und wieder verschwindende Terror vor der eigenen Haustür. Verschiedene sich bekämpfende Guerillagruppen metzeln Menschen anderer Gesinnung nieder, fertigen "schwarze Listen" an, brennen Farmen nieder und tragen schließlich die toten Körper und abgeschnittenen Skalps ihrer Opfer wie Trophäen durch die Straßen. Die konföderierten "Bushwhackers" rächen sich an den unionistischen "Jayhawkes", und deren Revanche folgt auf den Fuß.

Die Handlung des Films konzentriert sich auf den deutschstämmigen Jake Roedel (Tobey Maguire) und seinen Nachbarn Jack Bull Chiles (Skeet Ulrich), Freunde seit Kindheitstagen. Nachdem Jacks Vater von unionistischen Todesschwadronen ermordet und sein Elternhaus abgefackelt wurde, schließen sich die beiden der Rebellentruppe der "Bush-whackers" um Black John (James Caviezel) an, die sich in den Wäldern versteckt, um von hier aus ihren persönlichen Rachefeldzug gegen jegliche Anhänger der Nordstaaten zu führen. Ihnen gesellen sich bald der aristokratische Exzentriker George Clyde (Simon Baker), dessen von ihm freigekaufter ehemaliger Sklave Daniel Holt (Jeffrey Wright) und die junge Witwe Sue Lee (Jewel Kilcher) hinzu. Der erbarmungslose Krieg macht sie zu engen Freunden.

Ang Lee versteht es meisterhaft, großes Kino zu inszenieren. Nicht nur technisch, sondern auch durch seine erzählerische Ausdruckskraft. Vom Hollywood-Mainstream unterscheidet ihn dabei vor allem seine Fähigkeit zur Differenzierung. So geht es nicht darum, den Zuschauern plumpe Identifikationsangebote zu bieten, indem wie so oft der Kampf des personifizierten Guten gegen das personifizierte Böse reproduziert wird, sondern Lee bemüht sich redlich, die Schicksalhaftigkeit und Zerrissenheit seiner Protagonisten zum Ausdruck zu bringen. Was ist gut, was ist böse? Sind wir nicht alle nur Opfer der Verhältnisse, in die wir hineingeboren wurden, und werden durch diese zum Täter? Lee zeichnet ein ganz anderes Bild jener Bürgerkriegszeit als in zahlreichen bisher gedrehten Filmen. Für ihn stehen die Menschen im Vordergrund, die ihre Jugend und ihre Unschuld verlieren, weil sie an Ideale glauben, Fanatiker, Rachsüchtige, Entwurzelte, der Gruppendynamik Erlegene, Edelmütige, Zweifler wie solche, die nur dem Krieg entfliehen und ihre Haut retten wollen. Lee liefert einen Vorgeschmack darauf, wie eine Bürgerkriegssituation entsteht, was einen zu erwarten hat, wenn es wieder darum geht, den "inneren Feind" restlos auszumerzen.

Lee berichtet zu seinen Motiven: "Ich bin in Taiwan aufgewachsen, wo die älteren Leute immer beklagten, die Jugend werde zunehmend amerikanisierter: Sie folgten nicht mehr der Tradition, und dabei ginge unsere Kultur verloren. Ich hatte die Gelegenheit, mit meinen Filmen große Teile der Welt zu besuchen, und überall hörte ich diese Beschwerde. Es scheint so, als würde die ganze Welt amerikanisiert werden." Schließlich sei Lee nach Beschäftigung mit der Literatur aufgefallen, daß diese Entwicklung mit dem amerikanischen Bürgerkrieg begonnen hatte: "Die Yankees hatten nicht nur Territorium gewonnen, ihr Erfolg war in gewisser Weise der Beginn des Siegeszuges einer ganzen Lebens- und Denkweise. Invasion und Sieg der Yankees realisierten mehr als militärische und ökonomische Ziele. Sie setzten die Yankee-Prinzipien durch: Alle sind gleich, jeder hat das Recht, sich selbst zu verwirklichen. (…) Das ist alles sehr modern. Modern ist auch die soziale Ordnung, die auf diese Prinzipien baut. Wir lernen auch die Freiheit der anderen zu respektieren, selbst wenn wir dabei eine bestimmte Verbindung zur Tradition verlieren. Der Civil War begründete die neue Welt, in der wir leben, die Welt der Demokratie und des Kapitalismus."

Lee verweigert sich in der filmischen Umsetzung dieser Überlegungen der heute gängigen Auffassung, die aristokratische Lebensart des sklavenhaltenden amerikanischen Südens grundsätzlich zu verteufeln, sondern zeichnet sehr sensibel die Sichtweise der jungen Südstaatler nach, die einen heroischen, aber aussichtslosen Kampf gegen den Yankee-Geist durchleben. Doch bald wendet sich der Kamerablick der neuen Zeit zu, im Zentrum stehen nun der deutsche Immigrantensohn, der ehemalige Sklave, der auf Seiten der Südstaaten kämpft (!), und die junge Frau, anhand deren Emanzipationsprozessen Lee die gesellschaftlichen Veränderungen durch die neuen sozialen Gedanken exemplarisch darlegt. Bei dieser Definition von Freiheit, die in der Amerikanisierung auch einen Weg zur Selbstfindung des Menschen jenseits der ihn einengenden Tradition sieht, geht allerdings der weiterführende Gedanke verloren, inwieweit durch den weltweiten Sieg des Yankeetums nicht auch eine neue, viel subtilere Sklaverei entstanden ist: die des gottlosen Materialismus und der sozialen Einsamkeit.


 
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