© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Ein Mann für Schlagzeilen
Wahlkampf: Der SPD-Kandidat für Dresdens Oberbürgermeisterposten kämpft um seine Wahrnehmung
Paul Leonhard

Karl Nolle, Druckereibesitzer und SPD-Landtagsabgeordneter, hat sich für das neue Jahr viel vorgenommen. Der 55jährige hat angekündigt, mit "Inhalten für ein modernes, innovatives Dresden" seinen Bekanntheitsgrad "pushen" zu wollen. Denn der Sozialdemokrat will sich im Juni 2001 von den Bürgern zum Oberbürgermeister wählen lassen. Derzeit sind allerdings lediglich acht Prozent der Dresdner bereit, ihm ihre Stimme zu geben, wie die Umfrage einer Dresdner Tageszeitung ergab.

Nolle hat es nicht einfach. Er hat machtvolle Gegner: eine zerstrittene Opposition, einen langjährigen Amtsinhaber und sich selbst. Mit Sprüchen wie "Der einzige Kandidat, der für etwas Neues steht, ist Nolle" und seinem Vorschlag, für die Dezernentenposten "Experten von außen" zu holen, hat sich der schwergewichtige Unternehmer beim konservativen Dresdner Bürgertum nicht gerade beliebt gemacht. Zumal er selbst erst seit fünf Jahren im Elbflorenz lebt.

Seit er überdies noch dem beliebten CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, vor allem mit Blick auf die Familie von dessen Gattin Ingrid, vorwarf, in einer nationalsozialistischen Familientradition zu stehen, geriet Nolle nicht nur landesweit in die Schlagzeilen, sondern zog sich auch den Unmut breiter Bevölkerungsschichten zu. Überdies wurde ihm dafür von den eigenen Genossen kräftig der Kopf gewaschen. Diese stehen längst nicht geschlossen hinter dem Kandidaten. Da mag die Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Dresden-Elbe-Röder, Marlies Volkmer, noch so gebetsmühlenartig predigen: "Karl Nolle war unser Kandidat, er ist unser Kandidat, und er wird unser Kandidat bleiben" – in den Reihen der Sozialdemokraten wächst die Abneigung gegen den als arrogant geltenden Wessi.

Dazu kommt der Frust an der Basis über die Art und Weise der Aufstellung des Herausforderers. Denn erst am 6. Januar wird diese offiziell befragt, ob sie Nolle als Kandidaten überhaupt will. So wurde inzwischen unter den Sozialdemokraten mit dem Bauingenieur und früheren Stadtrat (1994 bis 1997) Reinhard Martin ein weiterer Name ins Gespräch gebracht. Diesem wird das nachgesagt, was Nolle in den Augen der eigenen Genossen nicht hat: ein Gefühl für Dresden.

Die an der Elbe noch mächtige PDS kann allerdings weder mit Nolle noch mit Martin. Trotz der angekündigten Kandidatur ihrer Bundestagsabgeordneter und früheren Stadtparteichefin Christine Ostrowski liebäugelt sie vor allem mit dem letzten SED-Oberbürgermeister der Stadt, Wolfgang Berghofer.

Der scheint nicht abgeneigt. Lust habe er schon, ließ er verlauten. Schließlich hätte er heute als Stadtoberhaupt Möglichkeiten, die er zu DDR-Zeiten nicht hatte, aber vor den Karren der PDS lasse er sich nicht spannen.

Nur die PDS ist in der Lage, eine erfolgreiche Alternative gegen die Christdemokraten aufzubauen. "Wir haben in Dresden dreimal soviel Stimmen wie die SPD", erinnert PDS-Stadtchef Michael Schrader. Auch wenn seine Partei derartige Absichten kategorisch dementiert, ist die Befürchtung der Sozialdemokraten, die Postsozialisten könnten eine Bürgerinitiative für einen Wahlkampf "Pro Berghofer" gründen, keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Dresdner Ex-SEDler haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, daß sie in der Lage sind, Massen zu mobilisieren. Berghofer könnte Stimmen aus allen politischen Lagern an sich binden, ist sich Christine Ostrowski gewiß. Sie hat bereits angekündigt, notfalls zugunsten einer Kandidatur Berghofers zu verzichten.

In diese Vermutung paßt auch, daß PDS-Stadtfraktionschef Ronald Weckesser für einen gemeinsam von SPD, Bündnisgrünen und PDS aufgestellten parteilosen Kandidaten plädiert. Dieser könnte Berghofer sein. Auch ist sein Ruf in Dresden nicht der schlechteste: Der Berliner, der im Herbst 1989 zwar leidenschaftlich gegen die Montagsdemonstrationen hetzte, war immerhin einer der ersten Würdenträger des SED-Regimes, die auf Druck von der Straße mit den Demonstranten Gespräche führten. Inzwischen ist er als Unternehmensberater tätig und wird häufig in Dresden gesehen. Nicht nur weil er mit dem in Radebeul lebenden Schauspieler Karl Friedrich Junge befreundet ist, werden ihm seit Jahren Ambitionen auf das Amt des Stadtoberhauptes nachgesagt. Offiziell will Berghofer definitiv nicht ausschließen, für das Amt zur Verfügung zu stehen. Er nehme am Geschehen in der Stadt großen Anteil, versichert Berghofer. Allerdings wird der Ex-OB von SPD und Bündnisgrünen mit Nachdruck abgelehnt.

Dabei hatte sich die Opposition bereits nach den letzten Wahlen 1994 darauf verständigt, Amtsinhaber Wagner mit einem gemeinsamen Kandidaten vom Stuhl zu hieven. Ein Wahlbündnis gegen die CDU mit einem unabhängigen Kandidaten sollte geschaffen werden. Nun scheint das an einer geeigneten Persönlichkeit zu scheitern.

Angesichts des Gezänks der Opposition kann sich Herbert Wagner genüßlich zurücklehnen. Zwar wirkt der aus Norddeutschland stammende Katholik in den Augen vieler kühl, distanziert und auch nach zehn Jahren Amtszeit noch immer etwas unbeholfen, was im merkwürdigen Gegensatz zu der gemütlichen, offenen Art der Einheimischen steht. Andererseits hat er die Geschicke der Stadt, trotz der ungünstigen Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat, ohne größere Skandale geleitet. Sein Spitzname "Pannen-Herbi" bezieht sich eher auf kleine Mißgeschicke im alltäglichen Auftreten und im Protokoll als auf seine Amtsführung. Auch das permanent schlechte Verhältnis zwischen dem am anderen Elbufer regierenden Biedenkopf hat Wagner eher gestärkt. Er hat dem Sachsenpremier mehrfach mit Entscheidungen deutlich gemacht, daß Wagner in der Landeshauptstadt bestimmt, und nicht König Kurt. So scheinen aus heutiger Sicht die Dresdner gut beraten, wenn sie am 10. Juni mangels Alternativen am Bewährten festhalten. Es wäre nicht das erste Mal.


 
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