© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
"Für ein ungestörtes Verhältnis"
Charlotte Knobloch über die Verklemmtheit zwischen Juden und Nicht-Juden und den notwendigen Weg in die Normalisierung
Moritz Schwarz

Frau Knobloch, wie war Ihre Reaktion, als Sie von den jüngsten Anschlägen auf die Synagogen in Düsseldorf und Berlin-Kreuzberg erfahren haben?

Knobloch: Meine erste Reaktion war ähnlich der des Präsidenten des Zentralrates Paul Spiegel: War denn unsere damalige Entscheidung, als Juden in Deutschland zu bleiben, richtig? Ich habe vor ziemlich genau fünfzig Jahren schon einmal vor dieser Frage gestanden und entschieden, in Deutschland zu bleiben. Nachdem wir Überlebende nach dem Krieg vor den Trümmern standen und sahen, was unseren Familien angetan worden ist, wollte zunächst keiner in diesem Land bleiben.

Nun haben Sie diese Entscheidung in Frage gestellt?

Knobloch: Ja, für einen Moment. Ich bin heute sehr zufrieden, daß wir die damalige Entscheidung für Deutschland gefällt haben. Dadurch konnte ich am Aufbau der jüdischen Gemeinden bei uns intensiv teilnehmen. So daß dieser verbrecherische Anschlag und die Attacke in Berlin uns nicht davon abhalten können, an diese Demokratie zu glauben. Es wäre außerdem absolut falsch, vor diesen Halunken zu weichen.

Wen vermuten Sie denn als Täter?

Knobloch: Dieselben, die auch das Attentat auf die Neuzuwanderer in Düsseldorf verübt haben. Und die vermute ich in der rechtsextremen Szene. Wobei ich die Thematik "dumme Jungs" völlig ablehne.

Sie vermuten Steuerung und Vorbereitung von langer Hand?

Knobloch: Das sind für mich tatsächlich gezielte, gut vorbereitete Aktionen, geplant von fähigen Hintermännern.

Sie vermuten also bereits feste terroristische Strukturen?

Knobloch: Davon gehe ich in der Tat aus.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Polizei? Wie die Reaktion von Politik und Öffentlichkeit?

Knobloch: Wir sind froh über die Maßnahmen der bayerischen Polizei, und ich empfinde die Reaktion der Staatsregierung und der bayerischen Öffentlichkeit sehr positiv! Ich muß nur eines sagen: Nach den Worten – und es sind hervorragende Worte gefallen – sollen jetzt auch Taten folgen. Taten dahingehend, daß man jetzt auch die Gesetze anwendet bzw. entsprechende Gesetze schafft, um solchen rechtsextremen Parteien und Vereinigungen endlich das Handwerk zu legen und sie zu verbieten. Die volle Härte des Gesetzes muß angewendet werden, ohne Rücksicht auf Jugend oder mildernde Umstände. Ich glaube, die Kraft des Gesetzes dazu ist vorhanden.

Das hat bisher aber nicht dazu geführt, daß die Anschläge aufgehört haben.

Knobloch: Ja, da muß man leider, leider Geduld haben, bis das wirkt und man die Attentäter findet. Das sehe ich ein. Und natürlich muß in Schulen, der Gesellschaft und allen Organisationen darüber aufgeklärt werden, was in diesem Land passiert, und jeder einzelne soll sich aufgerufen fühlen, sich zu schützen und darüber hinaus für das Ansehen dieses Landes, das das ja weiß Gott verdient hat, einzutreten.

Sie sind nicht nur die Vorsitzende der Gemeinde in München, sondern auch die stellvertretende Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Wie reagiert man in den Gemeinden darauf?

Knobloch: Sehr unterschiedlich: Die Angehörigen der Erlebnis-Generation sind sehr erschrocken und sehr deprimiert. Die Älteren sind ja diejenigen, die Terror und Verfolgung schon einmal erlebt haben, und unter ihnen verbreitet sich ansatzweise schon ein Gefühl der Panik. Wie bereits angedeutet, denken einige von ihnen darüber nach, ob es richtig war zu bleiben. Bitte bedenken Sie, daß sich die Situation für uns jeweils viel verschärfter darstellt als für nichtjüdische Deutsche: Sie sehen nur die Bilder der Anschläge im Fernsehen, wir erhalten korrespondierend damit täglich auch die schmutzige Schmähpost und die persönlichen Drohbriefe. Viele andere in den Gemeinden lassen sich aber trotz alledem auch davon nicht abschrecken. Sie wollen auf keinen Fall weichen. Freilich werden auch Vorwürfe laut, etwa: es sei zu lange zugeschaut worden, diese Entwicklung habe sich ja angekündigt. Der Ruf nach hartem staatlichen Durchgreifen ist natürlich einmütig laut. Und die Theorie, das Thema solle nur das Sommerloch stopfen, wird als Hohn empfunden.

Es geht also tatsächlich so weit, daß die Ereignisse als Wiederholung der Vorgänge von einst empfunden werden?

Knobloch: Ja, absolut.

Gibt es denn politischen Streit in den Gemeinden um die Reaktion auf das Thema, so wie es darüber ja auch Streit unter den Parteien im Bundestag gibt?

Knobloch: Nein eine Konfrontation gibt es bei uns nicht. Die wäre auch nicht am Platze.

Diese kleine Brandflasche, die eigentlich nicht viel mehr verursacht hat als einen schwarzen Fleck, hat genau den wunden Punkt getroffen: das instabile Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden. Hätte sich das Verhältnis im Alltag bereits bewährt, hielte es solchen Attacken ohne jede Anfechtung stand.Doch Sie müssen zugeben, die Täter haben die Macht, mit den simpelsten Aktionen den Finger auf die Wunde zu legen. Haben die Repräsentanten unserer Gesellschaft, Juden wie Nichtjuden, nicht versagt, weil sie in fünfzig Jahren immer noch keinen wirklich gemeinsamen Weg gefunden haben und so diesen Leuten nach wie vor ein Einfallstor bieten?

Knobloch: Die Attentäter sind beschämenderweise tatsächlich dazu in der Lage, mit geringsten Mitteln größte Wirkung zu erzielen. Der Fehler ist, daß wir immer noch vom deutsch-jüdischen Verhältnis sprechen. Ich spreche dagegen von deutschen Juden und nichtjüdischen Deutschen. Hier existiert, und darauf habe ich immer wieder hingewiesen, immer noch eine unsichtbare Mauer, und die wird von beiden Seiten gestützt von Ängsten und Vorurteilen – und solche Vorkommnisse machen diese Mauer immer höher –, und solange diese nicht überwunden ist, kann man nicht von einem ungestörten Verhältnis sprechen. Jeder von uns ist interessiert, aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen, aber diese Anschläge haben uns nun wieder einige Jahre zurückgeworfen.

Ist dieses bisherige Nebeneinander nicht eine Fortsetzung des nationalsozialistischen Dogmas von der unvereinbaren Unterschiedlichkeit von Juden und Deutschen? Etwas muß unecht sein an der Versöhnungspose unserer Politiker, daß sie damit unfreiwillig dieses Gedankengut aufrechterhalten.

Knobloch: Ja, richtig. Solange man uns – jetzt mal ohne irgendeinen Hintergrund – als "Mitbürger" statt als Bürger dieses Landes bezeichnet, hat man schon eine Trennwand errichtet. Warum bin ich, die ich hier geboren und aufgewachsen bin, nur ein "Mitbürger"?

Wenn man nun aber als Nichtjude sich dementsprechend verhält und unbefangen, ehrlich und normal statt ständig rücksichtsvoll-gekünstelt mit seinen jüdischen Landsleuten umgeht, kommen sofort – vor allem von linker Seite – unerträgliche Vorwürfe: Man wolle "verdrängen" , einen "Schlußstrich ziehen" und öffne "Rechtsradikalen Tür und Tor". Wird aber eben nicht damit die Normalisierung torpediert?

Knobloch: Ja, wissen Sie, ich merke, wenn ich irgendwo hingehe, ganz genau: Man ist sehr freundlich zu mir, aber es ist irgendwie eine gewisse Zurückhaltung zu spüren – die beileibe nichts Antisemitisches hat, vielmehr ist sie von der Angst geprägt, bloß nichts falschzumachen. Und genau da liegt der Fehler. Statt dessen muß ein ungestörtes Verhältnis zwischen Menschen, die zusammen aufwachsen, ins Büro gehen, Geschäfte miteinander machen etc. erreicht werden.

Sie würden also ein konsequentes Verhalten gegen den Vorwurf des "Verdrängens" in Schutz nehmen?

Knobloch: Freilich – und dafür würde ich auch kämpfen – das Gedenken bzw. die Thematik, was dieses Volk damals an seinen Bürgern – von heute auf morgen – in der Lage war zu tun, das darf nicht in Vergessenheit geraten. Das muß immer wieder angesprochen werden. Wenn das von beiden Seiten ohne irgendwelche Furcht oder Vorbehalte angesprochen wird, dann sind wir beieinander.

Dennoch wagen es die Offiziellen aus Politik und Gesellschaft nicht, weil erfahrungsgemäß einem Nichtjuden dabei sofort "der Kopf abgerissen wird". Denn ehrliche Unbefangenheit bedeutet zwangsläufig immer ein gewisses Maß an Alltags-Vergessen, bei Fortbestehen des Gedenk-Erinnerns. Akzeptieren Sie denn diese innere Logik der Dinge?

Knobloch: Ich fordere ja gerade, mit diesem Stück deutscher Geschichte genauso unbefangen umzugehen wie mit der übrigen deutschen Geschichte. Warum geht das nicht? Und genau dazu ist es ja notwendig, noch mehr aufzuklären, damit die nichtjüdischen Deutschen die Tatsachen dieses Stücks Geschichte auch voll akzeptieren. Diese Tatsachen müssen nur im Bewußtsein sein. Sie müssen nicht vom Frühstück über das Mittagessen bis zum Abendbrot vorgelegt werden. Juden sind doch auch nur Menschen wie du und ich.

Ignatz Bubis sprach viel von Normalisierung, erzählte unbefangen Judenwitze, anders als sein Vorgänger gab er sich nicht nur als Anwalt der Juden, sondern einer gemeinsamen Sache jüdischer und nichtjüdischer Deutscher, und schließlich beklagte er sogar, daß man es in Deutschland versäumt habe, der deutschen Jugend nicht mehr schwarz-rot-goldenes Nationalgefühl vermittelt zu haben. Doch auf nichtjüdischer Seite verharrte man in der von Ihnen beschriebenen philosemitischen Erstarrung. Warum fand dieser Schritt keine Erwiderung?

Knobloch: Ja, die Hand, die gereicht wird, muß auch angenommen werden. Ignatz Bubis hat da sehr viel vorgearbeitet. Er kam dann zwar zu dem Schluß, daß er damit gescheitert sei, und resignierte, doch ich bin da anderer Meinung: Ich glaube, er hat sehr viel bewegt! Er hat nur die Rückschläge nicht verkraftet.

Es scheint, Martin Walser war der einzige, der gewagt hat, den von Bubis geforderten Weg auch einzuschlagen. Wie konnte es zu diesem unbegreiflichen Mißverständnis kommen, daß Bubis letztlich so sehr aufgerieben hat?

Knobloch: Mit Walser nennen Sie nun genau den Fall, bei dem man die Welt nicht mehr zu verstehen meint. Dieses Mißverständnis zwischen den zwei wurde von außen später hineininterpretiert, die beiden haben sich sehr wohl verstanden. Walsers Anliegen war auch nicht so schwer zu verstehen.Warum wird in Deutschland einer ausgezeichnet, der den Rechtsradikalen Tür und Tor öffnet? Gut, damit muß man leben, aber die Trennwand wird dann immer höher!

Walser war natürlich nie gegen die Präsentation historischer Tatsachen und den Respekt davor. Ihm ging es allein um den medial-politisch-korrekten Mißbrauch des Holocausts in Form einer wohlfeilen, völlig entwertenden Dauerberieselung. Sie haben sich doch eben selbst noch gegen eine Dauerpräsentation ausgesprochen?

Knobloch: Er hat den Rechtsradikalen Tür und Tor geöffnet, so daß der Antisemitismus beinahe salonfähig geworden wäre.

Widersprechen Ihre Vorwürfe nicht Ihren vorherigen Ausführungen?

Knobloch: Moment, ich bin für die Dauerpräsentation! Die Dauerpräsentation muß sein, das habe ich ja immer gesagt. Es muß jeder Mensch im Bewußtsein haben. Er soll es nicht früh, mittags und abends serviert bekommen, aber er soll im Bewußtsein haben, was damals passiert ist.

Das darf bei Walser doch mit gutem Gewissen angenommen werden?

Knobloch: Walser wollte dieses Bewußtsein mit seinen Worten unterbrechen. Und dann wurde er noch ausgezeichnet dafür.

Walser wollte den verlogenen Ritus der leeren Vergangenheitsbewältigung unterbrechen, der seine Teilnehmer unindividuell und billig entsühnt und jene Trennmauer seit fünfzig Jahren aufrechterhält, unter der wir alle miteinander so leiden. Statt dessen wollte er Schuld und Sühne des Holocausts wieder auf die individuelle und intime Ebene des Gewissens heben, und damit wahres Erinnern ermöglichen. So haben ihn zahllose Menschen verstanden, etwa Klaus von Dohnany.

Knobloch: Das ist ja gleich der zweite, den man in dieser Richtung auszeichnen könnte!

Sehen Sie denn keinen Mißbrauch des Holocaustgedenkens und der Aussöhnung in unserer Politik, Stichwort "Vorzeigejude"?

Knobloch: Aber sicher! Die Philosemiten sind für mich eine sehr gefährliche Gruppe, denn man kann sie nicht einschätzen und sie bringen eine Thematik, die undurchsichtig ist.

Das heißt im Klartext: Sie unterstellen ihnen auch eine Form des Antisemitismus?

Knobloch: Ja.

Versuchen manche "Täter", sich ein warmes Plätzchen bei den "Opfern" zu suchen?

Knobloch: Davon bin ich überzeugt! Deshalb muß man genau hinschauen.

Zum Beispiel?

Knobloch: Mal ein positives Beispiel genauen Hinsehens: Edmund Stoiber hat jetzt etwas gesagt, das mich außerordentlich ermutigt hat. Und bei Stoiber weiß ich: Was er sagt, das meint er auch so. Er sagte schlicht: "Wir gehören zusammen". Ich wünschte mir, so etwas auch einmal von anderen Staatsmännern zu hören. Das wäre ein gewaltiger Schritt.

Was halten Sie von der Argumentation im Parteienstreit, konservative Positionen seien die Stichworte für diese Untaten?

Knobloch: Das sehe ich absolut so!

Gehört aber nicht gerade Edmund Stoiber zu jenen konservativen Politikern, denen Sie selbst gerade geistige Mittäterschaft vorgeworfen haben?

Knobloch: Ich bin auch nicht begeistert, daß Herr Stoiber etwa Herrn Schüssel in Wien besucht hat, aber ich habe eine sehr positive Meinung über die Reaktion der bayerischen Staatsregierung auf die gegenwärtige Situation. Man muß Stoiber doch Respekt zollen, denn mit solchen Worten wie den vorgenannten hat er sich gegenüber seiner Anhängerschaft sehr aus dem Fenster gelehnt.

Widerlegen Stoiber und andere Konservative, die fest auf der Seite der Juden stehen, wie etwa Axel Springer, oder Konservative unter den Juden, wie Gerhard Löwenthal, nicht Ihre Stichwort-Theorie völlig?

Knobloch: Nein. Schließlich kann sich auch der Konservatismus unterscheiden.

Frau Knobloch, an was denken Sie, wenn Sie das Wort "Deutschland" hören?

Knobloch: Das ist für mich das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, wo ich meine Kinder erzogen habe und meine Familie lebt und dem ich jüdisches Leben in voller Blüte, wie vor der Nazi-Zeit, zurückgeben möchte.

 

Charlotte Knobloch geboren 1932 in München. Ihre Familie fiel dem Holocaust zum Opfer. Sie selbst entkam nur knapp dem Tod, indem sie von 1941 bis 1945 in Mitteldeutschland untertauchte. Die Mutter von drei Kindern ist seit 1981 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und seit 1995 Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland.

 

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