© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
"Criticón" verweht
Die renommierte konservative Zeitschrift steht im dreißigsten Erscheinungsjahr am Scheideweg
Thorsten Thaler

Eine in Jahrzehnten gewachsene und zur Institution gewordene Zeitschrift zu übernehmen und fortzuführen, ist ein schwieriges Unterfangen. Zwischen der Beibehaltung des Bewährten und notwendiger Modernisierung verläuft nur ein schmaler Grat. Wie schmal dieser Grat tatsächlich ist, davon können Gunnar Sohn und Wolfram A. Zabel ein Lied singen. Seit Anfang dieses Jahres zeichnen die beiden als Herausgeber (Sohn) und Chefredakteur (Zabel) für die renommierte konservative Zeitschrift Criticón verantwortlich, die in diesem Monat ihr dreißigjähriges Bestehen feiern kann.

Gegen den Geist der späten sechziger Jahre von dem Doyen der konservativen Publizistik, Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing, gegründet, erschien die erste Ausgabe von Criticón im Juli 1970 mit einem Umfang von gerade einmal acht Seiten. Ein gutes Vierteljahrhundert später, im Frühjahr 1987, konnte Schrenck-Notzing in der Jubiläumsausgabe zum 100. Heft eine positive Bilanz ziehen: "Wenn in den oberen Etagen der Politik und Kirche heute über Criticón beraten wird, dann ist daraus nicht etwa auf einen neuerwachten Lesehunger zu schließen, sondern auf intensives Kopfzerbrechen über die Frage, wie weit der Einfluß unserer Zeitschrift reicht. Erst wenn ein nennenswerter Einfluß vermutet wird, wird Gedrucktes, ja Gelesenes, auch beachtet."

Den Grund für die zunehmende Beachtung von Criticón sah Schrenck-Notzing nicht allein im Inhalt, sondern vor allem im Umfeld der Zeitschrift . Namhafte Autoren wie Hans-Joachim Arndt, Hellmut Diwald, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Gerhard Löwenthal, Armin Mohler, Günter Rohrmoser und Karlheinz Weißmann (um nur einige wenige zu nennen) hatten Criticón zu einem kulturellen und ideenpolitischen Organ ganz eigener Prägung gemacht, so Schrenck-Notzing, zu einem Schnittpunkt der Konservativen unterschiedlicher Färbung, die sich der Zeitschrift "nicht zuletzt deshalb zuwandten, weil Criticón niemanden auf ein alleingültiges Glaubensbekenntis einzuschwören versuchte".

Vor zwei Jahren dann hielt Schrenck-Notzing die Zeit für gekommen, die Zeitschrift in jüngere Hände zu geben; im Frühjahr 1998 übernahm der studierte Volkswirt und Publizist Gunnar Sohn die redaktionelle Verantwortung. Sichtbar wurde dieser Wechsel zunächst nur in einem anderen Spaltenumbruch, einer neuen Typographie und mehr Fotos im Heft. Ansonsten blieben die ersten Ausgaben unter der Ägide Sohns inhaltlich noch weitgehend von dem Bemühen gekennzeichnet, Kontinuität zu wahren. Caspar von Schrenck-Notzing schrieb weiterhin seine Editorials, Aufsätze von Heimo Schwilk über einen Briefwechsel zwischen Ernst und Friedrich-Georg Jünger, von H.T. Hansen über "Julius Evola und die deutsche konservative Revolution" oder von Karlheinz Weißmann über einen "Anarchismus von rechts" fügten sich nahtlos in die Konzeption der Zeitschrift und erreichten mühelos das bis dahin gewohnte intellektuelle Niveau.

Der Bruch kam mit der Ausgabe zur Frankfurter Buchmesse im Oktober vorigen Jahres. Die Titelfarbe Türkis, ein Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungsfaktor, wich einem Schwarz-Grau, das Editorial verfaßten fortan Gunnar Sohn und sein Adlatus Wolfram Zabel, Stammautoren verschwanden aus dem Blatt, eine an sich lesenswerte Reportage des Filmregisseurs Thomas Schühly über einen Besuch bei Leni Riefenstahl war Monate zuvor bereits in weiten Passagen in der Welt am Sonntag zu lesen - alles Gründe, weshalb sich Autoren und langjährige Leser skeptisch zeigten. Eine Skepsis, die nach drei weiteren Criticón-Ausgaben bis heute nicht gewichen ist.

Besonders unangenehm berührt, daß Gunnar Sohn Criticón zunehmend als Forum für seinen augenscheinlich persönlich motivierten Feldzug gegen das Duale System Deutschland nutzt. Die Stoßrichtung der von ihm geschriebenen oder inspirierten Beiträge kommt allein schon in den Überschriften deutlich zum Ausdruck: "Alles Müll - Der Grüne Punkt und die Weltuntergangsmaschine" (Heft 164) oder "Grüner Punkt ein nicht legalisiertes Kartell" (Heft 165). Und der erste Criticón Salon in Berlin diskutierte das Thema "Alle Macht dem Müllkartell?" Prekär daran ist vor allem, daß Sohn rund sechs Jahre Pressesprecher des Dualen Systems war. Manches sollte sich einfach von selbst verbieten.

Daneben finden sich freilich auch immer wieder Glanzlichter in den von Gunnar Sohn verantworteten Criticón-Heften. Dazu gehört ein Interview mit dem früheren FAZ-Herausgeber Joachim Fest, das große Beachtung in anderen Medien fand und häufig zitiert wurde, ebenso wie einige Autorenporträts (Gertrud Bäumer, Armin Mohler) oder der Essay von Rolf Hochhuth in der aktuellen Sommer-Ausgabe über die Tagebücher Ernst Jüngers. Daß der neue Herausgeber jedoch jedem nationalen Denkansatz eine Absage erteilt ("National müssen wir nichts mehr bewahren"), ist für viele Stammleser wiederum nur schwer verdaulich.

Von Ernst Jünger stammt die Maxime: "Man findet bei jedem viel Dinge, die schon gesagt worden sind. Doch ein Gedanke, der noch nicht gedacht, ein Bild, das noch nicht gesehen worden ist, werten beliebig viel Gleichgültiges auf." Die Zeitschrift Criticón wird beweisen müssen, daß sie zu diesen Gedanken, diesen Bildern noch fähig ist.

Criticón erscheint vierteljährlich im GES Verlag, Helmholtzstr. 4, 53123 Bonn. Das Jahresabonnement kostet 64 Mark, für Schüler und Studenten 42 Mark.


 
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