© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Deutsche Konditionierung
Lambsdorff und Fagans Telefon
Dieter Stein

Am Montag wurde in Berlin eine Abschlußerklärung zur Zwangsarbeiter-Frage unterzeichnet. Im Auswärtigen Amt unterzeichneten Regierungsvertreter Deutschlands, der USA, fünf mitteleuropäischer Staaten sowie Vertreter der deutschen Industrie und der Jewish Claims Conference (JCC) eine Erklärung zur Gründung der Entschädigngs-Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Eine Million Menschen soll laut offizieller Auskunft Anspruch auf Zahlungen zwischen 5.000 und 15.000 Mark aus dem Fonds haben.

Die Zeremonie war eine bundesdeutsche Zeremonie: Fröhlich zelebrierte man den Schlußpunkt unter eine kapitale Erpressung. Lambsdorff und der amerikanische Unterhändler Stuart Eizenstat umarmten sich, als habe man einen Pokal gewonnen, neckisch reichte Klägeranwalt Edward Fagan Lambsdorff ein Handy, damit der erkrankte Michael Witti zugeschaltet werden konnte. Protokollschwierigkeiten bei der Unterzeichnung: Da erklärte die deutsche Seite die Unterzeichnung des Abschlußdokumentes für beendet, bevor die 19 Anwälte unterzeichnet hatten ("Entschuldigung, die Klägeranwälte!"). Auch hatte man sich die Laune keineswegs dadurch verderben lassen, daß Fagan noch auf der Zielgeraden gekonnt die Erpressung auf die Spitze trieb, die Unterschrift verweigern wollte, um die Anwaltshonorare noch einmal hochzutreiben. Der Festakt wurde dadurch um 45 Minuten verzögert, eine Demütigung für die deutsche Seite. Schließlich kam es dann fast zu einer Rangelei, wer für Deutschland unterschreiben sollte. Keine Absprache zwischen Außenminister Fischer und Unterhändler Lambsdorff: Lambsdorff erhob sich, setzte sich schließlich aber wieder, um Fischer nicht im Wege zu stehen. Als US-Botschafter John Kornblum und Außenamts-Staatssekretär Wolfgang Ischinger zur Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens schritten, schleppten Ordner versehentlich die US-Flagge fort.

Deutschland ist ein politisch zutiefst verunsichertes Land. Dies drückt sich immer wieder im Auftreten seiner Repräsentanten aus, die wie Konfirmanden nicht wissen, wohin sie ihre Hände stecken sollen. Zudem ist das schlechte Gewissen eine der unangenehmsten deutschen Charaktereigenschaften. Rührend ist es, wie blauäugig sich deutsche Verhandlungsführer freuen, man habe eine Art Schlußpunkt unter mögliche künftige Forderungen gegen Deutschland gesetzt. Da hat man sich wohl geschnitten.

Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Den Empfängern von Entschädigungszahlungen mag man das Geld allemal gönnen. Erstens steht aber eine gerechte Entschädigung von Zwangsarbeitern aller kriegführenden Nationen aus (also auch deutscher Zwangsarbeiter, die von Westalliierten oder der Sowjetunion, Tschechoslowakei und Polen versklavt wurden), und zweitens ist dieses jetzt unterzeichnete Abkommen die willkommene Einladung an clevere Anwälte, Deutschland noch viele, viele Male zu melken. Die Konditionierung ist da, das schlechte Gewissen bleibt, die Kassen sind voll und hohe Honorare winken.


 
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