© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Tod im Hornwald
Ein dunkles Erbe überschattet Sloweniens Weg in die Europäische Union
Heinz Stritzl

Mord und Vertreibung, wie sie von Titos Partisanen im Juni 1945 in Slowenien an Volksdeutschen und Nichtkommunisten ins Werk gesetzt wurden, gehören eigentlich nicht auf die geschichtspolitische Agenda der bundesdeutschen "Erinnerungskultur". Gleichwohl sollte der Hornwald bei Gottschee 55 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges als Inbegriff unvorstellbarer Massaker und brutalster Massenhinrichtungen ins öffentliche Bewußtsein gehoben werden. Die Deutschen in Jugoslawien wurden zu Zehntausenden bestialisch ermordet, doch Titos Helfer wüteten auch unter den eigenen Landsleuten. Diesen Verbrechen fielen in ähnlichen Tragödien zwölf Millionen Deutsche aus Ost- und Südosteuropa durch Vertreibung zum Opfer. Mehr als zwei Millionen kamen auf der Flucht und in den Konzentrationslagern der kommunistischen Machthaber ums Leben.

Im Klagenfurter Hermagoras-Verlag erschien jetzt, von der Öffentlichkeit bisher kaum beachtet, ein schmaler Band unter dem Titel "Sie sind demTod entronnen", der einen kleinen Einblick in den Ablauf dieser Gesamttragödie gewährt. Drei ehemalige Angehörige der antikommunistischen Domobrancen, Milan Zajec, France Kozina und France Dejak, schildern, wie sie sich im Juni 1945 aus den berüchtigten Höhlen der Gottschee gerettet haben. Zur Präsentation des Buches schrieb die Laibacher Zeitung Delo: "Die einfache Aussage, die Tragik der Geschehnisse und der große Wunsch nach Wahrheit sind jene Elemente, die den Leser an das Buch fesseln und ihm nicht erlauben, es aus der Hand zu legen, solange es nicht bis zur letzten Seite gelesen ist." Das ehemalige KP-Organ stellt dann die Frage, woher in Slowenien die Bestialität kommt, irgendwo tief im Wald, wo ihn niemand sieht, einen Mitschüler, einen einstigen Freund, einen Bekannten, nicht einen Fremden zu ermorden." Es zeigt sich, wie bedeutungslos ein Bekannter, ein Mitbewohner, im sicheren Schutz der physischen und ideologischen Wälder ist, oder aber wie leicht jemand, von dem wir dachten, daß man ihm grenzenlos vertrauen kann, zu einer wild gewordenen Bestie wird. Alle Zeugenaussagen sind deshalb auch ein Stück slowenischer Geschichte vom Guten und vom Bösen.

Wenn auch immer wieder gesagt wird, dem Menschen sei die Wahrheit zumutbar, soll hier dennoch auf die furchtbaren Details der Mordmaschine im Hornwald verzichtet werden. Milan Zajec, der vier Brüder im Rog verlor, entging dem Gemetzel dadurch, daß er, ehe der Partisan auf ihn schoß, in die Doline sprang. "Als ich nach Minuten wieder zum Bewußtsein kam, sah ich, daß ich auf einem Berg nackter, blutiger Körper lag. (…) Schon sind zehn weitere Opfer neben mich gestürzt, einige waren sofort tot, andere verwundet. (…) Aus dem Berg der Toten und Verwundeten kam ein so schreckliches Stöhnen, daß uns das Grauen überkam. Am schrecklichsten waren die Domobrancen anzuhören, die für ihre Feinde beteten. Ich faßte den Entschluß zu versuchen, aus der Höhle herauszukommen, um daheim zu sagen, wo unsere Brüder – die Domobrancen – liegen, und der ganzen Welt mitzuteilen, wie die Kämpfer für Volk und Glauben durch die verbrecherische Hand der eigenen Brüder – der slowenischen Kommunisten, denen sie waffenlos in die Hände gefallen sind – als Märtyrer sterben mußten. Große Schuld fällt auf das englische Heer, das uns auf unverschämte Art in die Hände des Feindes ausgeliefert hatte." Nach unvollständigen Angaben wurden in Slowenien nach dem 9. Mai 1945 zwischen 14.000 bis 18.000 slowenische Staatsbürger ermordet, schreibt Joze Pucnik in seinem Beitrag zur antikommunistischen Ausstellung "Die dunkle Seite des Mondes", die in Laibach als Antwort auf eine schönfärberische Dokumentation über Slowenien in der Tito-Ära gezeigt wurde. Bei der Zahl der Ermordeten sind Ausländer (Kriegsgefangene und Zivilisten mit kroatischer, bosnischer, albanischer, deutscher und italienischer Nationalität) nicht erfaßt, die nach dem Krieg von der slowenischen OZNA (Geheimdienst) und dem KNOJ (Grenzschutz) getötet wurden. An den Liquidierungen waren vor allem Einheiten der 3. und 4. jugoslawischen Armee beteiligt. Die Zahl dieser Opfer geht sicher in die Zehntausende, ist Pucnik überzeugt.

Die Marburger Zeitung Vecer bezeichnete Slowenien als ein einziges Gräberfeld. Das gleiche Blatt besaß allerdings die Geschmacklosigkeit, eine Karikatur zu veröffentlichen, die ein Ehepaar auf einem Friedhof vor einem Grabstein mit deutscher Inschrift zeigt. Der Mann zu seiner Frau: "Da soll Zernatto (der ehemalige Landeshauptmann Kärntens) herkommen und seine Deutschen suchen." Der slowenische Publizist Vinko Oslak meinte zu dieser Entgleisung, Zernatto hätte tatsächlich nach Slowenien fahren sollen, denn er hätte Unvorstellbares gefunden.

Noch immer gibt es kein Verzeichnis aller Mord- und Grabstätten in Slowenien, beklagt Pucnik. "In der Öffentlichkeit sind die Karsthöhlen in der Gottschee oder anderswo im slowenischen Karstgebiet nur oberflächlich bekannt. Wir kennen nur einige davon. Die übrigen sind noch nicht entdeckt, weil sie sorgfältig zugeschüttet oder gesprengt wurden. Eine zweite Gruppe der Gräber sind die Bergwerkschächte im Gebiet von Tüffer über Hrastnigg bis Trifail. Die dritte Gruppe der Massengräber sind die Panzergräben, die von den Deutschen für eine eventuelle Verteidigung gebaut wurden, bei Rann, Cilli, in Thesen bei Marburg und noch anderswo. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Grabstätten sind gewöhnliche Gruben, die zehn Meter und oft noch länger sind. Man findet sie in ganz Slowenien."

Die Führung Sloweniens hat sich bis heute nicht mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Dies ist verständlich, wenn man weiß, daß das Gros gewendete Karriere-Kommunisten sind. Um so eindringlicher forderte die österreichische Europa-Parlamentarierin Ursula Stenzel die Diskussion über die Ereignisse zwischen 1945 und 1991 im Nachbarstaat. Laibach hält bekanntlich an den AVNOJ-Dekreten der Tito-Partisanen als Bestandteil der Verfassung Sloweniens fest, durch die die Deutschen vogelfrei erklärt wurden.

Opfer dieser rückwärtsgewandten Politik ist mit den Deutsch-Untersteirern die kleine Gruppe von Altgottscheern, die sich zäh in der Südkrain hält. Nahezu die gesamte Volksgruppe hatte sich 1941 dem Hitler-Mussolini-Abkommen unter Androhung der Deportation nach Süditalien gebeugt und für Deutschland optiert. Im Ranner Dreieck mit Gurkfeld – heute als Atomkraftwerk Krsko weit bekannt – fanden die Umgesiedelten eine vorübergehende Bleibe, ehe sie 1945 vor der herannahenden Front und von Partisanen bedrängt flüchten mußten. Tausende starben in Titos KZ‘s. Die Überlebenden in der alten Heimat warten mit den Untersteirern auf Anerkennung, die ihnen die Regierung in Laibach mit der zynischen Bemerkung versagt, sie wären ohnehin nur "der Rest vom Rest".


 
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