© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Wer zählt die Opfer
Claims Conference in jüdischem Kreuzfeuer
Ivan Denes

Die Polemik, die sich, wie schüchtern auch immer, in den deutschen Medien vor und nach dem Abschluß der Zwangsarbeiter-Vereinbarung entfacht hat, fällt durch einen merkwürdigen Zug auf – sie wird vornehmlich unter Juden ausgetragen. In der deutschen Publizistik scheint weiterhin Abstinenz zu herrschen, wenn es um die weitgehend unpublizierte Kritik der Öffentlichkeit an den Restitutionsforderungen anglojüdischer Organisationen geht. Es ist überwiegend jüdischen Intellektuellen und Journalisten vorbehalten, sich mit dem Agieren der "Ostküste" auf dem europäischen Parkett auseinanderzusetzen.

Wäre ich nicht als Jude mit zwölf aus einem Gymnasium der Piaristenmönche entfernt worden und hätte nicht als 14jähriger Schnee von den Straßen meiner Heimatstadt schippen müssen, würde ich vermutlich auch von Antifa-Parolen gebannt sein. Und ich würde mich nicht erdreisten, dieser Kolumne anzuvertrauen, daß die Conference on Jewish Claims against Germany (JCC) im Begriff ist, im Namen der Holocaust-Opfer einen deftigen Reibach zu machen – den wievielten wohl?

Dem New Yorker Professor Norman Finkelstein (und dem Chefredakteur der Berliner Zeitung, Martin Süßkind) gebührt die Anerkennung, eines der Antifa-Kulttabus gebrochen und Ende Januar in einem langen Interview dargestellt zu haben, wie die CC deutsche Steuergelder zweckentfremdete, die ihr dank verschiedener Entschädigungszahlungen zugeflossen sind. Wer nach Finkelsteins Interview im maßgeblichen Quellenwerk "Enzyklopädie des Holocaust" nachblättert, sieht, daß am 8. Mai 1945 knapp 200.000 jüdische KZ-Insassen, einschließlich Zwangsarbeiter, noch am Leben waren, so daß die Zahl von 55 Jahre später noch heute lebenden 135.000 Ex-"Sklavenarbeitern" schier absurd ist.

Der Frankfurter Filialdirektor der JCC, Karl Brozik, hat verzweifelt versucht, die Behauptungen Finkelsteins durch Gegendarstellungen zu entkräften. Selbst Israel Singer, Hauptideologe und Chefdirigent aller Restitutionsaktionen in Europa, hat in der Berliner Zeitung versucht, Finkelstein zu diskreditieren und als Querulanten hinzustellen – es ist aber zu spät.

Der israelische Abgeordnete Michael Kleiner hat in der Knesset einen Entwurf eingebracht, in dem der JCC Geheimniskrämerei und düstere Machenschaften angelastet werden. Der Diaspora-Minister in der Barak-Regierung, Rabbi Michael Melchior, hat vor wenigen Tagen die Umstruktierung der JCC gefordert. Ja, und es wurden zur späten Stunde – man staune trotzdem und würdige den Mut! – im Bundestag Anfragen eingebracht wegen unstimmiger Zahlen überlebender Opfer.

Geradezu schäumend vor Wut ging am 1. April Karl Brozik in der Berliner Zeitung erneut an die Öffentlichkeit. Er hatte unter anderem den Sinn eines internen Faxes der JCC zu klären, dessen Kopien unter der Hand in deutschen Redaktionen kursierten. Man befürwortete darin das "Eliminieren" des Bremer Juristen Klaus von Muenchhausen, der in offener Konkurrenz zur JCC Mandate ehemaliger Zwangs- und Sklavenarbeiter gesammelt hat. Wenn es nicht um Tötungsabsicht handelt, dann ist die Wortwahl der JCC-Funktionäre mehr als bedauerlich.

Daß sich aber ehemalige Opfer nicht an die JCC, sondern an Anwälte wenden, erläutert der Historiker Michael Woffsohn in der Welt vom selben Tag: "Die jüdischen Organisationen Amerikas gleichen oligarchischen Honoratiorenvereinigungen, deren Alltagsarbeit hochprofessionellen Managern und Lobbyisten obliegt". Daher hielten sich zahlreiche Holocaust-Opfer von diesen Organisationen fern und beauftragen mit der Vertretung ihrer Ansprüche Anwälte.

Nun aber kommt es vor, daß sich diese Manager in Widersprüche verwickeln. Einen Tag bevor das Brozik-Interview erschien, das mit Vehemenz den offensichtlichen Unfug von 135.000 Überlebenden verteidigte, berichtete das New Yorker Blatt The Jewish Week über ein Gespräch mit dem Geschäftsführenden Direktor der JCC, Godeon Taylor: "Taylor sagt, daß bei der Aufteilung des Geldes die Unterhändler schätzten, daß ungefähr 120.000 Sklavenarbeiter Antrag stellen werden, davon etwa 40.000 Juden. Jeder wird etwa 7.500 US-Dollar bekommen" Die Jewish Telegraphic Agency zitierte eine Woche früher noch 134.000 jüdische und 100.000 nichtjüdische Überlebende.

Nun eine Milchmädchenrechnung: 7.500 Dollar sind etwa 15.000 Mark. 40.000 mal 15.000 sind 600 Millionen Mark. In der Vereinbarung sind aber von den 10 Milliarden für die JCC 1,8 Milliarden vorgesehen. Bleiben 1,2 Milliarden übrig. Zwar steht im Gesetzentwurf der Bundesregierung unter § 9, (3), 2, daß "nichtverbrauchte Mittel" der JCC für "soziale Zwecke" zufließen sollen. Wenn aber zwei Drittel der Gesamtsumme "nicht verbraucht" sind, dann hat man entweder schlecht verhandelt, d.h. man war dem Verhandlungsgegner geistig nicht gewachsen oder man hat die beabsichtigte Zweckentfremdung bewußt nicht sehen wollen. Weil man das Sieben-Millarden Dollar-Vermögen des JCC zum Nachteil nichtjüdischer Zwangsarbeiter mehren wollte?

 

Ivan Denes war langjähriger Mitarbeiter des Springer-Auslandsdienstes und ist heute Inhaber der West-Ost-Nachrichtenagentur WONA.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen