© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


CDU-Parteitag: Ohne Helmut Kohl verliert die Union die Orientierung
Ende eines Höhenfluges
Paul Rosen

Das war es dann wohl, Helmut Kohl. 16 Jahre war der Oggersheimer unser aller Kanzler, CDU-Mitglieder haben sogar ein Vierteljahrhundert Leidensdruck hinter sich. Seit der verlorenen Bundestagswahl beherrschte er seine Partei als graue Eminenz. Eine eigentlich kleine Geschichte, eine nicht deklarierte Millionenspende, gibt dem Kanzler der Einheit, der sich gleich hinter Bismarck wähnte, den Rest. Wo früher Ovationen auf Parteiveranstaltungen nicht enden wollten, fehlte diesmal ausgerechnet Helmut Kohl.

Geschichte wird an Daten festgemacht. Das Überschreiten des Rubicon, die Iden des März mögen so nicht stattgefunden haben, aber die Ereignisse gehören zum Kulturerbe der Menschheit. Es mag vermessen erscheinen, aber der 13. Dezember 1999 reiht sich in die historischen Daten ein. Jener "Kleine" Parteitag der CDU in Berlin war bedeutsamer als der Godesberger Parteitag der Sozialdemokraten, auf dem die Genossen die Westbindung entdeckten. Es war der erste Parteitag der CDU ohne Helmut Kohl seit zweieinhalb Jahrzehnten, und er markierte das Ende der Bonner Republik, für die Helmut Kohl als Enkel und Erbe Konrad Adenauers stand.

Man kann es eigentlich nicht oft genug wiederholen: Ein CDU-Parteitag ohne Helmut Kohl. Eine Veranstaltung ohne den Mann, der sich in Frankreich mit der Bemerkung empfahl, er sei der letzte Kanzler, der die deutsche Einheit noch verhindern könne. Ein Parteitag ohne den Mann, der erste Vorschläge zur deutschen Einheit, formuliert 1987 vom CDU-Abgeordneten Bernhard Friedmann, als "blühenden Unsinn" bezeichnete. Und ein Parteitag ohne den Mann, der – wenn auch mit zahlreichen Fehlleistungen – den Mantel der Geschichte ergriff und die Einheit durchsetzte.

Somit stand Wolfgang Schäuble, der Epigone, vor einem Spagat. Einerseits hätte er Helmut Kohl zum Teufel wünschen müssen, weil der Altkanzler noch bis in den November hinein die CDU de facto regierte. Die CSU hatte sich bereits vor einem Jahr mit der Wahl Edmund Stoibers aus dem Schatten des Oggersheimers begeben. Vorher, noch unter Theo Waigel, war die CSU zum bayerischen Landesverband der CDU degeneriert. Noch hallt das Wort nach, Waigel sei Kohls verlängerter Arm in der CSU gewesen. Andererseits hätte er Kohls Erbe irgendwie retten müssen.

Doch der neue CDU-Vorsitzende Schäuble tat nicht, was er hätte tun müssen. Er gab auf dem Kleinen Parteitag eine Ehrenerklärung für Helmut Kohl ab. Der Altkanzler habe sich nicht persönlich bereichert, er habe sich auch nicht politische Entscheidungen abkaufen lassen, argumentierte Schäuble.

Die außenpolitische Seite soll hier außer Betracht bleiben, abgesehen von der Bemerkung, daß es keiner Schmiergelder bedarf, um die westdeutsche Politik auf der Seite der USA zu halten. Die Lieferung von Spürpanzern zur Abwehr chemischer Waffen an Saudi- Arabien lag genau im Interesse der USA.

Ob Kohl sich persönlich bereichert hat oder nicht, ist nicht der Punkt. Viel entscheidender ist, daß hier ein Regierungschef und Vorsitzender der größten Koalitionspartei ein ausgeklügeltes System schwarzer Kassen führte. Mit dem dort enthaltenen Geld wurden Entscheidungen beeinflußt. Wer sich wohlgefällig verhielt, bekam einen Wahlkampfkostenzuschuß und konnte so seine Wiederwahlchancen verbessern. Das alles ging an den gesetzlich vorgeschriebenen Rechenschaftsberichten der Partei vorbei.

Schaden für die politische Kultur in Deutschland

Helmut Kohl hat Gesetze mißachtet, die er selbst mitbeschlossen hat. Das macht den Schaden für die politische Kultur in Deutschland aus. Während von jedem Bürger erwartet wird, daß er sich an die Gesetze hält, setzt sich ausgerechnet derjenige darüber hinweg, der 16 Jahre lang die oberste Obhut über den geregelten Gang der Dinge hatte. Dagegen erscheint Rita Süßmuths Griff nach Dienstwagen des Deutschen Bundestages für private Zwecke wie eine Petitesse.

Der Fall Kohl geht jedoch weit über die Dimension eines Parteispendenskandals hinaus. Es handelt sich um eine Staatsaffäre. Kohl hat, das wird jetzt jedermann klar, regiert wie ein absolutistischer Fürst. Das "System Kohl" entpuppt sich als Verrat an den 1848er Werten der Demokratie. Wenn Kohl von "Vertrauen" gesprochen hat, so erscheint hinter diesem Wort die häßliche Fratze des mittelalterlichen Lehensbegriffes mit Leibeigenschaft.

Die CDU, so scheint es, löst sich zu spät vom "System Kohl". Auf dem Kleinen Parteitag gab es keine befreiende Diskussion. Drei Wortmeldungen und die Ehrenerklärung von Schäuble war alles, was den Christdemokraten zu einer Affäre ohnegleichen einfiel. Bezeichnend dafür war die Verteidigungsrede Norbert Blüms, die in dem Satz gipfelte: "Wenn es regnet oder schneit, muß man sich genauso verhalten wie bei Sonnenschein."

Vor einem Jahr, nach dem Regierungswechsel, war der CDU der Untergang vorausgesagt worden – wie ihn die Christdemokraten in Italien erlebten. Es schien anders zu kommen. Aber jetzt wird die CDU von der Geschichte eingeholt. Und im Angesicht ihres eigenen Untergangs fehlen den CDU-Delegierten die Worte. Schade eigentlich. Die Partei hätte einen größeren Abgesang verdient.

 

Zehn Strafanzeigen gegen Altkanzler Kohl

Der Staatsanwaltschaft in Bonn liegen inzwischen zehn Strafanzeigen gegen Helmut Kohl vor. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Bernd König kommt nicht nur ein möglicher Anfangsverdacht der Untreue, sondern durchaus auch Betrug, möglicherweise Geldwäsche in Betracht. "Jeden Tag erfahren wir etwas Neues", sagte König. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hält es "für wahrscheinlich, daß es zu einem Ermittlungsverfahren gegen Helmut Kohl kommen wird". Dazu müßte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des Abgeordneten Kohl beantragen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen