© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Weihnacht: Ochs und Esel dürfen nicht fehlen
Volkskunst
Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Heute gilt der mit Kerzen geschmückte Tannenbaum als wichtigstes Zubehör der Weihnacht, ja als vorzügliches Sinnbild des Christfestes. Kein anderer deutscher Brauch hat sich so weit, ja weltweit verbreitet wie der, im Dezember Nadelbäume aufzustellen und mit Lichtern zu versehen. Die Volkstümlichkeit dieser allenthalben geübten Sitte könnte dazu verleiten, ihr ein sehr hohes Alter zuzuschreiben. Kulturhistoriker und Volkskundler haben jedoch herausbekommen, daß der Weihnachtsbaum eine verhältnismäßig junge Erfindung ist. In manchen Gegenden hat er sich erst in unserem Jahrhundert allgemein durchgesetzt.

Bevor der Lichterbaum in Wohnungen und sogar Kirchenräume einzog, figurierte als Weihnachtssinnbild schlichthin die Krippe. Die Weihnachtskrippe besteht nicht nur aus einem Futtertrog, in dem das neugeborene Jesuskind liegt, sondern umfaßt zumindest auch plastische Darstellungen der Gottesmutter Maria und des Heiligen Joseph, meist auch einen oder mehrere Engel. Ochs und Esel, die – anders als die erwähnten Gestalten – im Weihnachtsevangelium nach Lukas nicht aufscheinen, fehlen ebenfalls so gut wie nie. Ihre Anwesenheit ist dennoch alles andere als legendarische Laune oder Zugeständnis an rührseligen Volksgeschmack.

Bekanntlich werden im Stundengebet die Weissagungen des Propheten Isaias wegen ihrer messianischen Friedenskönigsvisionen vorzugsweise in der vorweihnachtlichen Zeit gelesen. Auch der Eingangsgesang und die Lesung der einst im süddeutschen und österreichischen Raum üblichen Rovate-Ämter, die im Advent vor Sonnenaufgang gefeiert wurden, sind diesem Propheten entnommen, den man mit Recht einen alttestamentlichen Evangelisten genannt hat. Aus dem Buch Isaias stammen nicht nur das stimmungsvolle Lied "Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab", die Vorhersage der Jungfrauengeburt und der sieben Gaben des Geistes des Herrn, sondern auch die biblische Begründung für den uns so wohlvertrauten Brauch, Ochs und Esel sozusagen als Zeugen der weihnachtlichen Geburt Jesu zu ehren. Schon in den allerersten Versen des Isaias erklingt nämlich die Klage: "Ein Ochs kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht. Sie haben den Herrn verlassen, den Heiligen Israels verworfen."

Bei großen Krippen kommen außerdem noch die Hirten mit ihren Schafen, Lämmern und nächtlichen Lagerfeuern hinzu, ferner der Stern und die von ihm geführten drei Magier aus dem Morgenlande, von denen einer stets ein Mohr ist. Sehr häufig verkörpern die Heiligen Drei Könige, wie sie meistens genannt werden, die drei Lebensstadien Jugend, Reife, Alter. Gelegentlich stehen sie überdies für die drei Weltteile, die der Antike bekannt waren: Europa, Asien, und Afrika.

Ursprünglich schlicht, wurde die Krippe vor allem im 18. Jahrhundert mehr und mehr kunstvoll erweitert und ausgebaut. Sie umfaßte schließlich ganze Landschaften, meistens einen Berg, gekrönt von der Stadt Bethlehem, oft auch Ruinen, Palmenhaine und Zuschauer aller Stände, etwa Gastwirte, Gemüsehändlerinnen, Metzger, Gärtner und vieles andere mehr. Manchmal wird die Geburt Jesu in eine Höhle verlegt, manchmal in einen strohbedeckten Stall, hin und wieder auch in eine pittoreske Trümmerstätte.

Bildliche Darstellungen der Geburt Jesu gibt es natürlich schon seit Jahrhunderten, insbesondere auf Altären oder in Form von Kirchenfresken oder Glasmalereien. Was die Krippe davon unterscheidet, ist die Beweglichkeit der Figuren, welche beliebig aufgestellt werden können. Die Krippe, wie wir sie heute kennen, ist ein Kind der Gegenreformation, also eine ausgesprochen katholische Erfindung. Insbesondere die Jesuiten, später auch die Franziskaner und Kapuziner förderten diese Art, die Botschaft des Neuen Testaments anschaulich und populär zu vergegenwärtigen.

In Deutschland wurde die erste Krippe 1601 in Altötting, in Österreich 1608 in Innsbruck aufgestellt – in beiden Fällen von Mitgliedern des Jesuitenordens. Erst später zog die Krippe auch in die Wohnungen ein, anfänglich in die der Fürsten und des Adels, dann auch in die Bauern- und Bürgerhäuser. Inzwischen pflegen auch viele evangelische Christen Krippen aufzustellen.

Die Beschäftigung mit der Krippe gehört für viele Europäer zu den bevorzugten Tätigkeiten im Advent. Das Aufstellen der Figuren, das Auflegen von Moos auf den Krippenberg, das Gestalten verschiedener Szenen, das Arrangieren der Beleuchtung helfen mit, die vorweihnachtliche Zeit besinnlicher und ursprungsnäher zu erleben.

Wieder einmal naht Weihnachten. Wer bereits eine Krippe besitzt, wird sie vom Dachboden oder aus dem Keller holen, vielleicht da oder dort einiges ausbessern und ergänzen. Wer noch keine hat, kann im Kunstgewerbegeschäft mehr oder weniger aufwendige Krippen kaufen. Doch ist vermutlich die Freude an dieser reizvollen Mixtur aus Brauchtum, Handwerk, Religion, Kleinkunst und besinnlicher Spielerei am größten, wenn man allein oder gemeinsam mit der Familie eine eigene Krippe bastelt.


 
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