© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Buchmarkt: Vor Weihnachten wimmelt es nur so von merkwürdigen Promi-Titeln
Murkel und das Rattengift
Jutta Winckler

Horst Tappert, als TV-Ermittlungsbeamter "Derrick" in Rente gegangen, ist, nach Franz "Kaiser" Beckenbauer der wohl bekannteste Deutsche des Planeten. Solcher Status pflegt heutzutage mit einem wahnwitzig großen Interesse des Publikums am gesamten Leben des Verehrten einherzugehen. Daher greift so manche Medienberühmtheit zur Feder bzw. zum Ghostwriter, um in der manipulativen Techniken weniger zugänglichen Form des autobiographischen Schreibens auf die Fabrikation jenes Bildes Einfluß zu nehmen, das sich im Herzens des Publikums bildet.

Horst Tappert nimmt diese Chance unter leicht schizoid schillerndem Titel wahr; in "Derrick und ich" (Heyne Verlag) erfährt man allerlei über Leibspeisen und Gebrechen des Mimen, besonders rührend aber sind die Passagen, in denen sein Haushund "Hannes, genannt Murkel" die Hauptrolle übernimmt: "Unser Murkelchen krümmte sich mit offenkundig entsetzlichen Schmerzen. Er hatte vom Rattengift gefressen, das ich unter der Kellertreppe ausgestreut hatte. Rätselhaft, denn unser vierbeiniger Liebling erhielt nur die besten Bissen. Kein Dosenfutter von Aldi oder Tengelmann. Olga, unsere gute Seele im Haushalt, holte täglich beim Metzger Futter für den Kleinen."

Mindestens so delikat geht es in Manfred Krugs Lyrikband zu. Das Talent des vormaligen DDR-Stars erschöpft sich nicht bloß im Darstellen des "Tatort"-Kommissars von der Waterkant, im Schlagersingen oder gar Telefonverkaufen. Nein, "der Manne" bringt lyrische Verse zu Papier, die dem Düsseldorfer Econ-Verlag gleich ein Hardcover wert waren: "66 Gedichte, was soll das" titelt das Werk des Vielkönners. "Kleine Blähbeulen im Kopf" nennt der rundliche Dichter seine Poeme, die er quer durch die Republik vor vollen Häusern zum besten gibt. So auch ein besonders gelungenes, das sich mit dem Protokoll der Diplomatie befaßt: "Die Jacke flattert über dem Popöchen, / der Wind verweht den präsidialen Pup. / Ein kleines Eiland dieses Muroröchen, / so gut wie weggeputzt auf einen Schub." Ob derlei lustig und literarisch ist, mögen Krug-Fans selbst beurteilen.

Den älteren Lesern ist er noch als Hitparaden-Reiter der frühen siebziger Jahre in vager Erinnerung: Die Berliner Göre Ilja Richter brachte samstagabends mit seinem unvergessenen "Licht aus! Spot an!" die Fernseh-"Disco" des Zweiten Deutschen Fernsehens zum Kochen. Das altrenommierte Hamburger Verlagshaus Hoffmann und Campe verlegte jüngst sein "Spot aus. Licht an!", ein Florilegium diverser Nichtigkeiten, die allenfalls den härtesten Kern der Richter-Verehrerinnen als Käufer finden dürften. Eine Kostprobe: "Marianne lehrte mich mit der ganzen Unschuld, die ich ihr nehmend durfte, was das bedeutet: tiefe eindeutige Liebe." Warum schreibt einer sowas?

Warum bekennen Medien-Existenzen das, was sich im Leben der Normalos nicht weniger trivial, aber unbemerkt zu ereignen pflegt? Die Stuttgarter Sozialpsychologin Heidemarie Kneifel bringt es auf den Nenner: "Nahezu krankhafte Eitelkeit, verdrängte Ich-Schwäche und unablässig drängender Annerkennungswahn sind die Ursache." Die Normalos haben für ihren Seelenstriptease die nachmittägliche Talkshow bei Meiser und Fliege, bei Ilka oder Arabella, die Promis brauchen dazu Bücher.

Auch die Kiesbauer-Arabella hat aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und sich über sich selbst ausgelassen. Ihr "Nobody is perfect!" läßt auf 188 geschwätzigen Druckseiten ein mehr oder weniger aufregendes Leben Revue passieren, das erst dreißig Jahre währt: "Meine Mamma wünschte sich damals einen Sohn, und zwar aus dem Grund, daß sie dachte, daß man es als Junge leichter hat. Heute ist sie froh, daß sie eine Tochter hat. Obwohl ich mich mit dem Gedanken, ein Mann zu sein, durchaus anfreunden kann."

Längst sind es nicht immer Großverlage, die den Zuschlag bekommen. Die Schnellen mahlen nicht selten zuerst, wie im Falle Roberto Blanco der kleine Wiesbadener Modul Verlag. "Meine Vitalgeheimnisse" lautet Titel. Strahlefix Blanco nimmt mustergültig an der institutionalisierten Dauerreflexion seiner Wahlnation teil: "Der Profi- und Hochleistungssport, wie ich ihn heute sehe, ist leider total kommerzialisiert. Wenn aber ein Boris Becker, sagen wir unter Brüdern: 200 Millionen verdient hat, kann man ihm das nicht übel nehmen, weil er eine absolute Ausnahme ist."

Doch auch der Neokonservative, der in Roberto steckt, hält nicht hinterm Berg mit seiner Meinung. Als prominenter Mitbürger ermahnt er seine lieben Deutschen so eindringlich, als stecke ein zweiter, ein zugewanderter Luther in ihm: "Leute, soweit mir bekannt ist, wird in Deutschland jede dritte Ehe geschieden. Mann, das ist kein gutes Zeichen."

Beim Privaten dagegen beläßt es Howard Carpendale. "Wenn Du mich finden willst" orakelt sein Buchtitel, und in der Tat findet die fast ausschließlich weibliche Anhängerschaft des Schnulzen-Barden: "Ich muß immer grinsen, wenn irgendein Kritiker davon schreibt, daß ich ein schöner Mann sei. Der muß absolut blind sein: Ich habe ein zu großes Kinn, einen viel zu kleinen Mund, viel zu tiefliegende Augen und eine absolut nichtssagende Nase. Aber komischerweise fügen sich alles diese kleinen Häßlichkeiten zu einem ziemlich harmonischen und angenehmen Äußeren zusammen." Der Mann verfügt über Selbstbewußtsein! Souverän meiert Howie die Machenschaften des Showbizz ab, bekennt sich zu Frieden und Menschenrechten und wirbt für Golf als Volkssport.

Meistenteils unter der Gürtellinie spielt sich das ab, was die Enddreißigerin Christine Westermann, bekannt durch die WDR-Promi-Talkshow "Zimmer frei", dem lesenden Fernsehgucker anzubieten hat. Nahezu ausschließlich läßt sie sich über ihre bislang rund 40 Liebhaber aus. Somit stillt gleichsam ihr Liebeshunger den Lesehunger ihres Verehrerkreises, und auch Kiepenheuer und Witsch, ihrem Verleger, ist geholfen. "Baby, wann heiratest du mich?" heißt der autobiographisch gefärbte "Roman" der Fernsehdame, die bei größter Auswahl dennoch bislang ohne Trauring hat durchs Leben kommen müssen. Darüber mag ihr gewiß so manches unerwartete Erlebnis hinweggeholfen haben: "Fred Z. hatte ein sehr stark kalibriges Mannsteil. Nie hätte sie sich vorstellen können, daß es mit einem solchen Großpfropfen so guttun würde." Die Genießerin genießt und schweigt keineswegs.

Ganz anders die vornehme TV-Diva Dagmar Berghoff (56), ewig und einen Tag das Gesicht, die angenehm dunkel timbrierte Stimme der "Tagesschau". Sie entführt uns ins Reich der romantischen Liebe: "Zweimal im Leben war ich Geliebte. Also nur die Freundin. Es gab die Hauptfrau, und es gab eine zweite Frau, nämlich mich. Eine ganz, ganz schwierige Situation." Doch Dagmar, die Ex-Geliebte, beläßt es bei Andeutungen und Gesten in ihrer Autobiographie "Zeit für mehr", die gewiß zum Auflagenrenner wird, denn die verlegerische Betreuung hat Bertelsmann in die bewährten Hände genommen. Was sich für die smarte Nachrichten-Lady massiv auszahlen wird, denn Millionen Buchclub-Kunden werden sich an weiteren Begebenheiten dieses Promi-Lebens erfreuen wollen.


 
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