© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Kunst im Reichstag: Zahl der Gegner des Haacke-Projekts wächst
Fürsprecher verschollen
Theodor Mittrup

Das Haacke-Konzept für die künstlerische Ausgestaltung des "Lichthofes Nord" im Reichstagsgebäude bleibt in der Schußlinie. Auch in der zweiten Woche der Befragung von Bundestagsabgeordneten wagten sich die Befürworter des Projektes nicht aus der Deckung. Statt dessen äußerten sich weitere Abgeordnete kritisch zur geplanten Installation des Holztroges und lehnten das Mitbringen eines Zentners "Heimaterde" aus ihrem Wahlkreis zur Auffüllung des Troges ab.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Thüringen, Manfred Grund, teilte der JUNGEN FREIHEIT mit: "Die Infragestellung der Reichstagsinschrift ’Dem deutschen Volke‘ ist auch ein Infragestellen des Grundgesetzes. Denn in der Präambel wird auf eben dieses ’Deutsche Volk‘ und nicht auf die ’Bevölkerung‘ abgestellt. Die Inschrift ’Dem deutschen Volke‘ verkörpert den Anspruch an das Parlament und an jedes seiner Mitglieder, den Auftrag eben dieses Grundgesetzes zu erfüllen und diesem deutschen Volke zu dienen. Die Inschrift ’Dem deutschen Volke‘ schließt keinen aus, sondern lädt ein. Und viele machen davon Gebrauch. Einheimische und Besucher, Volk und Bevölkerung."

Auf die Frage, ob er bereit sei, einen Zentner Heimaterde zur Auffüllung des Holztroges beizusteuern, erklärt Grund: "An der Infragestellung des Grundgesetzes und der Verhöhnung des Parlaments werde ich mich nicht beteiligen."

Der Sprecher der ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten, Michael Luther, sagte der JF: "Meine Meinung ist: Kunst im und am Reichstag macht Sinn – das hat Christo bewiesen. Gleichzeitig müssen wir aber nicht jeden Unsinn mitmachen – dies wird Haacke beweisen. Ich habe nichts gegen das Aufhäufen von Erde aus allen Bundestagswahlkreisen. Diese Aktion für sich genommen kann sogar das Zusammenwachsen Deutschlands symbolisieren. Ich bin jedoch dagegen, diese Erde mit der Überschrift ’Der Bevölkerung‘ zu verknüpfen. Haacke will es interpretiert wissen als Korrektur zur Inschrift ’Dem deutschen Volke‘ am Reichstagsgebäude. Welche Anmaßung gegenüber der deutschen Geschichte, die hier zutage tritt! Denn die Inschrift ’Dem deutschen Volke‘ war und ist ein zutiefst republikanisches Bekenntnis aus einer Zeit, in der die Monarchie Deutschland und die Welt in den Ersten Weltkrieg gerissen hatte. Dieses republikanische Bekenntnis gilt auch heute noch – als eines der Staatsziele der Bundesrepublik Deutschland. Es sagt aus, daß Macht in einer Demokratie immer nur auf Zeit verliehen wird."

Vor diesem Hintergrund die Inschrift ändern zu wollen, so Luther, grenze an Geschichtsignoranz. Engländer und Franzosen seien uns in diesen Fragen voraus. "Sie würden sich über solche Vorschläge in ihrem Land totlachen", erklärte der CDU-Abgeordnete.

Auch Siegfried Hornung, Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, äußerte sich ablehnend zum Haacke-Kunstprojekt: "Es geht hierbei nicht um die Bewertung von Kunst oder Künstlern, sondern um die politische Aussage, die der ’Künstler‘ mit diesem Werk verbindet. Abgesehen davon, daß die Geschichte des Reichstages auch eine Geschichte der Demokratie ist, hat das Wort ’Volk‘ in unserem Grundgesetz und in unserem Demokratieverständnis einen ganz besonderen Wert und Bedeutung."

Die ehemalige Familienministerin und jetzige stellvertretene Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hannelore Rönsch, ließ die JF über ihr Büro wissen, daß sie sich im Falle der Realisierung des Kunstprojektes von Haacke als Abgeordnete ebenfalls nicht daran beteiligen wolle.

In einem Hintergrundgespräch mit dieser Zeitung bekannte sich auch Reinhard von Schorlemmer, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Niedersachsen, als Gegner des Haacke-Konzepts. Er persönlich halte "überhaupt nichts davon". Schorlemmer begründete dies vor allem mit den politischen Thesen, die Haacke mit seinem Kunstprojekt verbindet. Wenn man den Begriff "Volk" aus dem Sprachgebrauch entfernen wolle, sagte der Abgeordnete, dann müsse man auch eine Reihe von Begriffen wie "Volkswirtschaft" abschaffen. Im übrigen sehe er die Gefahr, daß – da der Reichstagsinnenhof nach oben offen ist – sich durch umherfliegenden Samen über Jahre hinweg ein "Diestelwald" im Reichstag entwickelt, so daß letztlich der Schriftzug selbst eines Tages zugewachsen sein wird.

Die niedersächsische Landesgruppe will nach Angaben Schorlemmers noch vor Weihnachten zusammenkommen, um über das Thema zu diskutieren und zu einer Meinungsbildung zu gelangen. Einen Beschluß darüber werde es jedoch nicht geben, da die Entscheidung für oder gegen das Kunstprojekt letztlich eine rein persönliche sei.

Kritisch äußerte sich Schorlemmer über die Art und Weise, wie Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied im Kunstbeirat, einen neuen Vorschlag zur Gestaltung des Reichstagsinnenhofes ins Spiel gebracht hat. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" war sie neben Peter Ramsauer (CSU) und Volker Kauder (CDU) zu ihrer Meinung befragt worden.

Auf Vollmer geht der Vorschlag zurück, Bruce Nauman, US-Amerikaner und einer der weltweit bekanntesten Künstler, mit der Gestaltung des Innenhofes im Reichstag zu beauftragen. Das in diesem Zusammenhang gezeigte Kunstwerk Naumans, eine Steinplatte mit den sieben Tugenden und Lastern, steht nach Auskunft der Düsseldorfer Galerie Fischer, die den US-Künstler in Deutschland vertritt, in dieser Form jedoch nicht mehr zur Verfügung, da es bereits verkauft sei.

Der Kunstkurator des Deutschen Bundestages, Andreas Kaernbach, erklärte auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, daß bislang noch kein offizieller neuer Vorschlag für die Gestaltung des Reichstagsinnenhofes eingereicht wurde. Im übrigen gehe er davon aus, daß es bis zur nächsten Sitzung des Kunstbeirates am 25. Januar 2000 keine neuen Initiativen zu diesem Thema geben werde.

In einer Pressemitteilung bezeichneten die Republikaner das Kunstvorhaben im Reichstagsgebäude als "einen Skandal und sichtbaren Ausdruck der Nationvergessenheit". Die Inschrift "Der Bevölkerung" statt "Dem deutschen Volke" drücke "den Willen eines Teils der Abgeordneten aus, das eigene Staatsvolk abzuschaffen", erklärte der Parteivorsitzende Rolf Schlierer.


 
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