© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Bundeswehr 2000: Stiller Übergang von der Landes- zur Bündnisverteidigung
Eine Armee im Wandel
Magnus Freitag

Bereits für das kommende Jahr kündigte Verteidigungsminister RudolfScharping (SPD) auf der Bundeswehr-Kommandeurstagung in Hamburg vor rund 450 Offizieren Umstrukturierungen für die Bundeswehr an. Trotz aller Kürzungen in der Truppe erneuerte Scharping sein Bekenntnis zur Wehrpflichtarmee, die rechnerisch mit einer Truppenstärke von 340.000 Soldaten immer noch preisgünstiger sei als eine nur 200.000 Mann starke Freiwilligenarmee. Strukturen und Hierarchien, die auf die Landesverteidigung ausgerichtet sind, sollen auf den Prüfstand gestellt werden.

Scharping bemängelte unter anderem eine übergroße Zahl von Stabsoffizieren. Er erklärte, daß künftig Krisenreaktionskräfte und die Konfliktverhütung das Bild der Bundeswehr prägen sollten. Die deutsche Armee werde eine moderne Waffentechnik, flexible Strukturen mit kleinen, wendigen Verbänden und eine "einsatzorientierte Ausbildung" erhalten. In Zukunft prägen luftbewegliche Einheiten statt starker Panzerverbände, Großraumflugzeuge statt schwerer Artillerie das Bild der Bundeswehr. Kirchbach sagte ebenfalls in Hamburg, daß es den Streitkräften in ihrer neuen Rolle vor allem an strategischer Aufklärungsfähigkeit fehle. Nach Angaben Kirchbachs lag der US-Anteil für den Kosovo-Einsatz in den Bereichen Präzisionsmunition, Kommunikations- und Informationstechnik bei 90 Prozent, weil die europäischen Armeen nicht über dieses Material verfügten.

Um diese Umstrukturierungspläne trotz des auf 45,3 Milliarden Mark gekürzten Verteidigungshaushaltes aufrechterhalten zu können, könnten nur noch rund 20 Prozent der Soldaten mit Waffen, Ausrüstung und militärischem Gerät "topfit gehalten werden", erläuterten mehrere Generale und Admirale am Rande der Veranstaltung. Andere meinten, daß dann nur noch eine Armee mit der Truppenstärke von250.000 Soldaten möglich sei. Nach den Plänen der Bundesregierung soll der Verteidigungshaushalt bis zum Jahr auf 43,7 Milliarden Mark sinken. Informationen des Finanzministeriums besagen hingegen, daß Scharping die bundesdeutschen Rüstungsausgaben auf den Stand der anderen europäischen Nato- Partner anheben will. Zur Zeit befindet sich Deutschland nach Aussagen des amerikanischen Verteidigungsministers aber im Vergleich mit den anderen Nato-Mitgliedsländern im unteren Drittel. Damit ist der nächste Streit mit dem Bundeskanzler programmiert. Schröder wies in Hamburg auf den "erheblichen Nachholbedarf der Bundeswehr" hin, wollte aber über die Finanzierung der Streitkräfte in Zukunft keine Angaben machen. Kritik über die Sparpläne der Regierung kam von dem amerikanischen Verteidigungsminister Cohen.

Es komme in Zukunft darauf an, nach kurzer Vorbereitungszeit sofort in ein Krisengebiet starten zu können, sagte Cohen. Damit könne aus Kostengründen eine Reduzierung des Umfangs der Hauptstreitkräfte einhergehen. Die USA seien nicht weiter bereit, immer die Hauptlast bei Militäreinsätzen zu bezahlen. "Wir erwarten von Deutschland, daß es in der Nato und in Europa eine Führungsrolle übernimmt", sagte Cohen. Damit Deutschland mit den anderen Verbündeten mithalten könne, forderte er schließlich eine Erhöhung der Ausgaben für die Verteidigung. Das Problem in der Allianz sehe er nicht in einem Zuviel von Amerika, sondern in "zu wenig Europa". Gleichzeitig mahnte der Pentagon-Chef an, daß der Ruf an Europa zu mehr militärischer Selbständigkeit nicht zu einer "Sonderentwicklung europäischer Partner" führen dürfe. Der Streit um den Finanzrahmen, der für die Bundeswehr in den kommenden Jahren zur Vefügung stehen wird, spielt sich nicht nur zwischen den Nato-Partnern und Deutschland ab. In einer aktuellen Stunde im Bundestag geriet die Bundesregierung in die heftige Kritik von Union und FDP, die dem Haushalt in diesem Punkt erstmals ihre Zustimmung versagten. Gerade angesichts des Wandels der Bundeswehr im Rahmen einer neuen Nato-Strategie, so der Abgeordnete Dietrich Austermann (CDU), sei der Zeitpunkt der Haushaltskonsolidierung verfehlt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen