© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Jutta Rüdiger: Die ehemalige Reichsreferentin im "Bund Deutscher Mädel" erinnert sich
Richtigstellung, nicht Rechtfertigung
Mina Buts

Martin Niemöller hatte eine schwierige Aufgabe vor sich, als er auf seiner Tingeltour, bei der er über seine Haftzeit während des Nationalsozialismus sprechen sollte, im amerikanischen Internierungslager Ludwigsburg landete. Er bedachte nämlich nicht, daß sein Publikum – ausschließlich weiblichen Geschlechts – im Moment all das erlebte, worüber er Klage führte: "Als er dann auch noch erwähnte, in Dachau sei die Bettwäsche nicht oft genug gewechselt worden, ging ein Aufschrei durch den Raum, denn wir kannten überhaupt keine Bettwäsche, sondern mußten auf Strohsäcken schlafen. Die Amerikaner brachten Niemöller dann schnell aus dem Raum, um ihn der Wut der empörten Frauen zu entziehen." Jutta Rüdiger, die ehemalige Reichsreferentin des Bundes Deutscher Mädel (BDM), war unter den Zuhörerinnen und schildert diese Begegnung in ihren soeben erschienenen Memoiren "Ein Leben für die Jugend". Mit unverstelltem Blick beschreibt sie in diesen, wie sie zur NS-Bewegung kam und innerhalb dieser bis zur Jugendführerin aufstieg. Obwohl sie sich nach dem Ende des Krieges und amerikanischer Gefangenschaft eine völlig neue Lebensgrundlage aufbaute, liegt ihr bis heute an einer gerechteren Beurteilung des BDM. Verfälschende Darstellungen, wie die von Martin Klaus, empfindet sie als persönliche Kränkung und läßt sie nicht unwidersprochen.

Ihre Memoiren sind ein weiteres Beispiel dafür, daß es offenkundig gerade die Frauen sind, die sich unbeeinflußt von heute üblichen Interpretationsmustern an diese Zeit zurückerinnern. Henriette von Schirach beispielsweise, die Tochter von Hitlers "Leibfotografen" Heinrich Hoffmann und spätere Ehefrau des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, legte in "Der Preis der Herrlichkeit" (1956) fast wehmütig ihre ersten Begegnungen mit Adolf Hitler dar. Er habe ihr das erste Paar Skier geschenkt, erinnerte sie sich, und von ihm stammten auch ihre wesentlichen literarischen Anregungen. Erst später, 1943, sei es zu einem Zerwürfnis gekommen, als sie ihn persönlich auf die Judendeportationen, die sie selber beobachtet hatte, angesprochen habe.

Geradewegs zur Verzweiflung brachte die ehemalige Führerin der NS-Frauenschaft, Gertrud Scholtz-Klink, ihre Gesprächspartner der Nachkriegszeit, weigerte sie sich doch auch nach 1945, auf Distanz zum nationalsozialistischen Ideengut zu gehen. In einem 1981 geführten Interview mit einer US-Historikerin etwa antwortete sie auf die Frage, ob sie das Geschehene bereue, lakonisch, sie bedauere lediglich, sich nicht genügend mit der Theorie des Nationalsozialismus auseinandergesetzt zu haben, sondern eben direkt an die praktische Umsetzung gegangen zu seien. Nach Kriegsende habe sie dies nachgeholt und festgestellt, daß manche Zielsetzungen einfach "unrealistisch gewesen" sein.

Scholtz-Klink galt im Dritten Reich als "Vorzeigefrau". Trotz ihrer elf Kinder schaffte sie es, das Amt der NS-Frauenschaftsführerin auszufüllen, wobei ihre dominierende Art manchmal abschreckend gewirkt haben soll. Selbst eine Jutta Rüdiger konnte sich nach dem Abschluß ihres Studiums nicht dazu durchringen, in diesem Rahmen aktiv zu werden. Ihr erschien der Stil der NS-Frauenschaft als zu altbacken. Statt dessen entschloß sie sich, Kontakt zu einer Berliner BDM-Führerin aufzunehmen. Schon kurze Zeit später leitete sie eine eigene Mädelgruppe und diente sich über die Ämterhierarchie hoch, bis sie 1937 als "Reichsreferentin des BDM" in die Reichsjugendführung berufen wurde.

Erst jetzt stellte sie fest, daß sie noch gar nicht Mitglied der NSDAP war: Sie hatte zwar dem NS-Studentenverband angehört, war aber dadurch nicht automatisch Parteimitglied geworden. Dem Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz, der auch für die Parteiausweise zuständig war, teilte sie ihren "Kummer" mit, daß sie nun mit einer hohen Mitgliedsnummer zu leben habe. Er erwiderte, "das sei nun nicht mehr zu ändern. Wenn er aber tot sei, könne ich an seine Stelle rücken und seine Mitgliedsnummer erhalten. Später erfuhr ich zu meinem Schrecken, daß er die Nummer ‘1’ besaß, die ich niemals für mich in Anspruch nehmen durfte."

Eine der ersten Amtshandlungen Rüdigers war die Gründung des BDM-Werkes "Glaube und Schönheit", das alle unverheirateten Frauen zwischen 18 und 21 Jahren zusammenfassen sollte. Beauftragte für "Glaube und Schönheit" wurde Clementine Gräfin zu Castell-Rüdenhausen. Die beiden Frauen verstanden sich gut und bezogen daher ein gemeinsames Haus, das wegen akuten Geldmangels nur spärlich möbliert war. Gäste konnten selbst bei Wind und Wetter nur auf der bereits bestuhlten Terasse empfangen werden. Eine kleidsame Uniform für das neugegründete BDM-Werk wurde ausgewählt und Hitler persönlich vorgeführt. Den ersten großen Auftritt hatte "Glaube und Schönheit" dann auf dem Reichsparteitag des Jahres 1938. Als ein Jahr später der Krieg begann, setzte Rüdiger unbeirrt von dessen Verlauf ihre Arbeit fort. Noch im September 1942 beteiligte sie sich an der Gründung des "Europäischen Jugendverbandes" in Wien, der auch eigenständige Organisationen für Mädchen und junge Frauen aus Deutschland, Italien und Spanien einbezog. Immer mehr verlangte der Krieg aber den vollen Einsatz der Mädchen als Wehrmachtshelferinnen oder im Sanitätswesen.

Rüdiger liegt es nicht, ihre Erlebnisse im Rückblick nun plötzlich durch eine andere Brille zu betrachten, wie dies beispielsweise eine Melita Maschmann, ehemals Pressereferentin im BDM und auch persönliche Freundin von Rüdiger, getan hat. Sie möchte einfach nur dem BDM Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ihre Memoiren dürften ein gutes Stück dazu beitragen.

 

Jutta Rüdiger: Ein Leben für die Jugend. Mädelführerin im Dritten Reich, Deutsche Verlagsgesellschaft, Preußisch Oldendorf 1999, 231 Seiten, 52 Mark


 
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