© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Mannesmann: Vodafone bedroht einen gesunden Konzern mit der feindlichen Übernahme
Hauptsache, die Rendite stimmt
Rüdiger Ruhnau

Gegen eine feindliche Übernahme der Mannesmann AG durch den britischen Mobilfunkkonzern Vodafone Airtouch hat sich auch der Deutsche Industrie- und Handelstag ausgesprochen: "Kerngesunde, erfolgreiche Unternehmen sollten nicht zerfleddert und ihre Betriebsteile meistbietend veräußert werden." Der erst seit wenigen Monaten amtierende Vorstandsvorsitzende von Mannesmann, Klaus Esser, hat mit seiner Ankündigung, Mannesmann in zwei getrennte Unternehmen aufzuspalten, schlafende Hunde geweckt. Weil die Wachstumserwartungen der Sparte "Telekommunikation" wesentlich höher liegen als bei dem Unternehmensteil "Ingenieurtechnik und Autozubehör", erhofft man eine größere Attraktivität der Mannesmann-Aktien.

Mit einem Umsatz von 38 Milliarden Mark steht der in Düsseldorf ansässige Mischkonzern mit seinen 116.000 Beschäftigten an 13. Stelle in der Rangfolge deutscher Industrieunternehmen. Mannesmann sieht sein Zukunftsgeschäft in der Weiterentwicklung der integrierten Datenübertragung von Festnetz und Mobilfunk. Während Mannesmann seine Kernkompetenz in der technischen Innovation sieht, beruhte das Wachstum von Vodafone vor allem auf dem raschen und ständigen Zukauf immer neuer Mobilfunklizenzen. Am Sonntag vor der Aufsichtsratsitzung konnte sich Mannesmann-Chef Klaus Esser eine verbale Spitze gegen die Vodafone-Strategie nicht verkneifen: "Synergien zu generieren heißt für uns nicht, Rabatte bei Handy-Bestellungen und dem Einkauf von Netztechnik herausschlagen zu können, sondern mit intelligenten neuen Datenprodukten zusätzliches Umsatzwachstum zu erzielen".

Mannesmann zeigte eine enorme Wandlungsfähigkeit

Begonnen hat die Firmengeschichte vor 110 Jahren, als die beiden Brüder Max und Reinhard Mannesmann die sensationelle Erfindung machten, Metallrohre ohne Schweißnaht herzustellen. Bisher mußten Rohre aus Blechen zusammengeschweißt werden, wobei es unter hohem Druck an der Schweißnaht häufig zu Rohrbrüchen kam, nicht selten war dabei ein Verlust an Menschenleben zu beklagen. Man konnte zwar Rohre ohne Schweißnaht aus Gußeisen herstellen, diese waren aber erstens sehr teuer in der Produktion und wiesen zweitens wegen ihres hohen Gewichtes verbunden mit Stoßempfindlichkeit erhebliche Nachteile auf.

Immer lauter riefen die Apparatebauer in der Montan- und Chemie-Industrie nach den "Nahtlosen", bis endlich die Brüder Mannesmann durch schräges Walzen aus einem Stahlblock ein Verfahren gefunden hatten, Stahlrohre ohne Schweißnaht zu gewinnen. Im heimischen Remscheid und im böhmischen Komotau begannen sie mit der industriellen Vermarktung ihrer Erfindung. Am 16. Juli 1890 wurden die "Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG" gegründet. Auf Wunsch von Werner von Siemens, einem väterlichen Freund der Mannesmänner, erfolgte die Gründung der Aktiengesellschaft durch die Deutsche Bank, die sich im Industriegeschäft einen Namen gemacht hatte. Es mußten aber weiterhin kostenintensive Versuche angestellt werden, um dünnwandigere Rohre mit größeren Durchmessern herzustellen.

Die wachsende Nachfrage nach nahtlosen Rohren steigerte in den folgenden Jahrzehnten beträchtlich den Umsatz der Mannesmann-Werke, die eine führende Stellung am Weltmarkt erreichten. Folgerichtig baute man in Duisburg eine eigene Hütte, um den benötigten Spezialstahl in eigener Regie zu erzeugen. Nach dem Erwerb von Kohlezechen und Erzgruben entwickelte sich das Stahlunternehmen zu einem vertikal gegliederten Montankonzern. Als 1958 die erste deutsche Rohölpipeline von Wilhelmshaven nach Wesseling bei Köln in Betrieb genommen wurde, begann für Mannesmann das große Geschäft. Später erforderte die 5.330 Kilometer lange Sibirienpipeline nach Schwedt an der Oder, wo die größte Erdölverarbeitungsraffinerie Mitteldeutschlands steht, eine riesige Anzahl von nahtlosen Stahlrohren. Trotzdem beschränkte man sich nicht auf das Röhrengeschäft. Das Unternehmen diversifizierte in die Bereiche des Maschinen- und Anlagenbaues, kaufte Firmen wie Demag, Kraus-Maffei und Fichtel & Sachs und mauserte sich zu einem Technologiekonzern.

Die Aktien vervielfachten in kürzester Zeit ihren Wert

Gerade zehn Jahre ist es her, daß Mannesmann den Zuschlag in der öffentlichen Ausschreibung für die erste private deutsche Mobilfunklizenz erhielt und damit nicht nur eine bei deutschen Traditionsunternehmen seltene Wandlungsfähigkeit zeigte, sondern äußerst erfolgreich in das zukunftsträchtige Gebiet der Telekommunikation einstieg. Durch diverse Zukäufe und Beteiligungen wie Omnitel in Italien baute man konsequent den Mobilfunkbereich und das Festnetzgeschäft aus, für 2,3 Milliarden Mark kaufte der Mischkonzern von Veba und RWE die Telefongesellschaft Otelo. Die 17.000 Beschäftigten in der Telekommunikation bringen den Düsseldorfern den größten Gewinn. Allein in den vergangenen fünf Jahren explodierte der Wert der Mannesmann-Aktie um 800 Prozent. Mit 17 Millionen Mobilfunkkunden befürwortet die Mannesmann AG eine integrierte europäische Strategie mit den Aktivitäten Mobilfunk, Festnetz und Internet. Sie ist auf dem heimischen Markt mit ihrem D2-Mobilfunk führend vor der Deutschen Telekom.

Als gar Mannesmann-Chef Esser für die Übernahme der britischen Mobilfunkgesellschaft Orange den gewaltigen Betrag von 60 Milliarden Mark anbot, rief das natürlich die Konkurrenten auf den Plan. Der ehrgeizige Brite Chris Gent, Chef des größten Mobilfunkbetreibers der Welt, des englisch-amerikanischen Konzerns Vodafone Airtouch, möchte auch gegen den Willen von Vorstand und Belegschaft den Mannesmannkonzern vereinnahmen. Sollte der Engländer mit der Übernahme Erfolg haben, verfügte Vodafone/Airtouch/Mannesmann mit mehr als 48 Millionen Mobilfunkkunden – vor allem in den USA und Europa – über die Vorherrschaft im weltweiten Mobilfunkmarkt. Die Entscheidung liegt bei den Aktionären, Vodafone braucht die Zustimmung von 50,1 Prozent der Mannesmann-Aktionäre. Den Ausschlag dürften die ausländischen Anleger geben, die rund 60 Prozent der Aktionäre stellen. Das vorläufig letzte Angebot der Briten sah einen Tausch von 54 Vodafone-Aktien für eine Mannesmann-Aktie vor, was einem Kurs von 240 Euro für ein Mannesmann-Papier entspricht. Die jüngsten Zahlen, die Mannesmann in seiner Neunmonatsbilanz vorweisen konnte, dürften zumindest im Bereich Telekommunikation die Mannesmann-Aktionäre von den Fähigkeiten der Unternehmensleitung überzeugen, wo der Ertrag um 71 Prozent auf gut drei Milliarden Mark gesteigert werden konnte. Der Anlagenbau konnte ebenfalls einen Ergebnisanstieg um 18 Prozent melden, während die Automobiltechnik ihr Vorjahresergebnis halbierte und das Röhrengeschäft seine Verluste von 70 auf 180 Millionen ausweitete. Unklar sind die Machtverhältnisse im Mannesmann-Aufsichtsrat, wo die Vorstandschefs internationaler Großkonzerne wie Rolf Breuer (Deutsche Bank), Henning Schulte-Noelle (Allianz) und Jürgen Schrempp (Daimler-Chrysler) fürchten, in den Geruch nationaler Beschränktheit zu kommen, wenn sie sich dem Vodafone-Angebot widersetzen. Schützenhilfe bekommt Mannesmann dagegen von deutschen Politikern, die befürchten, daß unter dem Deckmantel der Globalisierung eine Machtzusammenballung internationaler Konzerne entsteht, die den Weltmarkt kontrollieren. Tatsache ist, daß in der freien Wirtschaft derartige Übernahmen – auch feindliche – nicht verboten sind und an den internationalen Börsen grenzüberschreitende Transaktionen zum Alltag gehören. Dem Aktieninhaber ist es meistens sowieso egal, in welcher Hand sein Unternehmen sich befindet, wenn nur immer die Rendite stimmt.


 
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