© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Tierschutz: Ein neues Gutachten will das Verbot von Qualzüchtungen präzisieren
Wenn Züchter Schöpfer spielen
Gerhard Quast

Gut ein Jahr ist es her, da sorgte die Texanerin Vicky Ives Speir unter amerikanischen Tierschützern für heftige Empörung: Auf ihren Internet-Seiten präsentierte die 49jährige Katzenzüchterin neben ihren sonstigen "mutant kitties" voller Stolz Kater "Flipper", eine ihrer neuesten Kreationen. Das bedauernswerte Tier hatte stark verkümmerte Vorderpfoten und mußte deshalb auf seinen Hinterbeinen kauern. Auch konnte es sich nicht wie seine Artgenossen fortbewegen, sondern hüpfte wie ein Känguruh.

In Deutschland ist die Zucht solcher "Känguruh-Katzen" und vergleichbarer Qualzüchtungen seit 1986 verboten. In das Tierschutzgesetz wurde dazu ein Verbot von Defektzuchten (Paragraph 11b) aufgenommen. Darin hieß es wörtlich, daß es verboten sei, "Wirbeltiere zu züchten, wenn der Züchter damit rechnen muß, daß bei der Nachzucht auf Grund vererbter Merkmale Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten".

Soweit die Theorie. Trotzdem gab und gibt es auch in Deutschland immer wieder zielgerichtete Züchtungen von Haustieren, die auf eine Verstärkung eines angeborenen Defektes hin ausgerichtet sind: Den schwanzlosen "Manx-Katzen" fehlt beispielsweise ein wichtiges Steuerungselement, so daß sie nur sehr eingeschränkt springen und klettern können. Zudem leiden viele dieser Züchtungen an Muskel- und Nervenschäden und unter einem hoppelnden Gang. Auch die Züchtung der gänzlich nackten "Sphinx-Katzen", die der Witterung schutzlos ausgeliefert sind, oder die der nett anzusehenden weißen Perserkatzen, die oft mit Gehörlosigkeit gestraft sind, gehören in die Kategorie der Qualzüchtungen. Noch stärkere Ausmaße hat die gezielte Züchtung von Defekten im Bereich der Hunde. "Teilweise monogenisch fixierte Erbanomalien werden zum Rassestandard erhoben, oder dieser wird so formuliert, daß er jeder physiologischen Norm widerspricht", kritisiert Wilhelm Wegner, Professor am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Deutlich wird diese Einstellung zum Beispiel an der Existenz eines "Clubs für exotische Rassehunde" im Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH). Der Verein betreut nach Erkenntnissen Wegners beispielsweise Nackthunde, denen zusätzlich zum schützenden Haarkleid wichtige Zähne fehlen, Faltenhunde, die neben ihren erblichen Hautanomalien auch eine starke Neigung zu Lidverengung und -einwärtsbiegung besitzen, sowie die Mexikanischen Taschenterrier oder Super-Mini-Yorkies, die durch die Favorisierung des "Apfelkopfes" (mit Tendenz zum Wasserkopf und zur Glotzäugigkeit) vielfach einen durchlöcherten "Lückenschädel" angezüchtet bekommen, und daher keiner seelischen Erschütterung standhalten.

Daß es sich bei diesen Züchtern keineswegs um gemiedene Außenseiter handelt, wird nach Recherchen des Deutschen Tierschutzbundes immer dann deutlich, wenn der VDH zur Zuchtschau in die Dortmunder Westfalenhalle einlädt: Neben den allgemein anerkannten Hunderassen finden sich dort – unbeanstandet von den Veranstaltern – genauso Faltenhunde, die vor Fellwülsten kaum noch aus den Augen schauen können, oder Mastinos, deren Lefzen so schwer und lang sind, daß die unteren Augenlider ständig nach unten gezogen werden und die Bindehäute permanent entzündet sind.

Solche Qualzüchtungen sollte der Paragraph 11b Tierschutzgesetz eigentlich unterbinden. Doch das Verbot wurde über viele Jahre hinweg nicht ernst genommen oder konnte gegen die Züchterverbände kaum durchgesetzt werden. Nur ein einziges Mal kam der Paragraph tatsächlich zur Anwendung: 1994 wurde eine Züchterin weißer Perserkatzen wegen bewußter Inkaufnahme der Taubheit – sie hatte sogar damit geworben, daß ihre gehörlosen Katzen im Umgang mit Kindern geduldiger seien – angeklagt. Doch das Urteil des Amtsgerichtes Kassel fiel denkbar milde aus. Die Frau wurde lediglich zu einer Geldbuße in Höhe von 500 Mark verurteilt.

Spätestens da stellte sich heraus, daß das Verbot der Qualzüchtungen kaum mehr war als eine gut gemeinte Willensbekundung. Im März 1998 verständigten sich Bundestag und Bundesrat schließlich im Rahmen einer Weiterentwicklung des Tierschutzgesetzes auch auf eine Novellierung des Paragraphen 11b. In der Neufassung wurde das Verbot von Defektzuchten schließlich nicht nur um "bio- oder gentechnische Maßnahmen" erweitert, sondern auch erheblich präzisiert: Verboten sind seither auch solche Züchtungen, bei denen damit gerechnet werden muß, daß bei den Nachkommen

- "mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen oder mit Leiden verbundene erblich bedingte Aggressionssteigerungen auftreten" oder

- "jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt" oder

- "deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen".

In solchen Fällen kann nun die zuständige Behörde das Unfruchtbarmachen der Tiere anordnen. Ausgenommen davon sind allerdings Züchtungen und bio- oder gentechnische Maßnahmen, "die für wissenschaftliche Zwecke notwendig sind".

Gleichzeitig wurde mit der Gesetzesnovelle das Bundesministerium für Ernährung ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche erblich bedingten Veränderungen, Verhaltensstörungen und Aggressionssteigerungen zu verbieten oder zu beschränken seien. Ein dazu vom Ministerium in Auftrag gegebenes Gutachten liegt nun vor. Die Experten-Kommission fordert darin für viele Tiere mit Erbkrankheiten und Mißbildungen ein generelles Zuchtverbot. In anderen Fällen sollen den Züchtern Grenzwerte auferlegt werden, um extreme Formen künftig zu vermeiden. Bei der Zucht von Katzen empfiehlt das Gutachten beispielsweise ein Zuchtverbot von schwanzlosen Katzen (Manx), ebenso wie von Tieren mit Faltohren (Scottish Fold, Pudelkatze) oder Rundkopf (Exotic Shorthair). Erlaubt bleiben Nacktkatzen (Sphynx), sofern sie intakte Schnurrhaare haben. Auch die Dackelkatze kann geduldet werden, allerdings wird ein Zuchtverbot empfohlen.

Auch bei Hunden werden Einschränkungen verlangt. Tiere mit leichter Hüftgelenksdysplasie (HD) sollen grundsätzlich nicht mehr zur Zucht herangezogen werden. Zur Regel soll auch ein als bindend anzusehender Wesenstest für potentielle Zuchttiere werden, in dem "die Fähigkeit zu sozialem Verhalten gegenüber Artgenossen nachzuweisen ist". Damit wollen die Gutachter der "Aggressivzucht" entgegenwirken. Bei Rutendeformationen (Stummelschwanz, Knick- und Korkenzieher-Ruten) wie sie bei Cocker Spaniel, Bulldogge, Rottweiler, Mops und Dackel anzutreffen sind, empfehlen die Tierschutzexperten eine Röntgendiagnostik und dann gegebenenfalls ein Zuchtverbot. Ein striktes Verbot fordern sie auch für Haarlosigkeit (Chinesischer Schopfhund, Mexikanischer Nackthund) sowie für Weiß-Tiger ("Merle-Syndrom"). Eine Übertypisierung der schlaffen und faltigen Haut soll vermieden, Grenzwerte erarbeitet werden.

In ähnlicher Weise empfiehlt oder fordert das Experten-Gremium in seinem 140seitigen Gutachten auch Verbote bei der Kaninchen- und Taubenzucht, sowie bei der Vermehrung anderer Heimvögel, wie etwa Zebrafinken.

Angesichts von Millionen in Deutschland gehaltenen Heimtieren war diese wissenschaftlich fundierte Grenzziehung zwischen zulässiger Zucht und verbotener Qualzucht nicht nur aus Gründen der Rechtssicherheit längst überfällig.


 
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