© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Kunst im Reichstag: JF-Umfrage unter Bundestagsabgeordneten
Der Unmut wird größer
Theodor Mittrup

Viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind über die geplante Installation einer Inschrift "Der Bevölkung" im Reichstagsgebäude offenbar nicht informiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der JUNGEN FREIHEIT unter Abgeordneten über die vom Kunstbeirat beschlossene Installation des Kunstprojektes von Hans Haacke im Lichthof Nord des Reichstagsgebäudes.

Befragt wurden rund 50 Parlamentarier, allesamt Mitglieder der Fraktionsvorstände von CDU/CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und PDS. Zwei Fragen stellte die JF den Abgeordneten: Wie ist Ihre persönliche Meinung zu dem Kunstprojekt von Hans Haacke, speziell der Konterkarierung der Reichstagsinschrift "Dem deutschen Volke" durch "Der Bevölkerung"? Und: Werden Sie sich an dem Projekt beteiligen und einen Zentner "Heimaterde" dazu beisteuern?

Viele Abgeordnete zeigten sich überrascht und erbaten sich zunächst einmal nähere Informationen von der JF zu diesem Thema, um sich dann eine Meinung darüber bilden zu können.

Bis Redaktionsschluß lagen die Reaktionen von 19 Bundestagsabgeordneten bzw. deren Mitarbeitern vor. Die Mehrzahl dieser Abgeordneten wollte sich "zu dem Thema nicht äußern". Die Begründungen reichten von "nicht unser Themengebiet" und "möchten da auch nicht anderen Kollegen auf die Füße treten" über "hat keine Zeit" bis hin zu: "Das mach ich nicht in Ihrer Zeitung".

Dennoch erklärte sich schließlich eine Anzahl von Abgeordneten dazu bereit, ihre persönliche Meinung zu dem umstrittenen Kunstprojekt öffentlich zu äußern. So sagte der Abgeordnete Hansgeorg Hauser (CSU), daß Kunst zunächst einmal natürlich Geschmacksache sei. Das Projekt von Hans Haacke sei dabei "mein Geschmack nicht". Dies sei jedoch nicht der Grund, warum er sich an dem Kunstprojekt nicht beteiligen wolle, sondern die politische Begründung des Projekts durch den Aktionskünstler. Haackes Auslassungen zum Volksbegriff bezeichnete Hauser als "demagogisch". Darüber hinaus merkte Hauser an, daß die statischen Voraussetzungen zur Installation des Kunstwerkes überhaupt nicht gegeben seien, da ein mit der Erde von 669 Bundestagsabgeordneten gefüllter Holztrog für den Boden des Reichstagsgebäudes ein zu großes Gewicht entwickle.

Auch das Büro des früheren Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesumweltministerium, Walter Hirche (FDP), ließ erklären, daß natürlich "die Freiheit der Kunst unbestritten" sei. Hirche sei aber nicht bereit, sich von der politischen Interpretation des Künstlers vereinnahmen zu lassen. Aus diesem Grund sei auch er nicht dazu bereit, sich an dem Kunstprojekt zu beteiligen.

Die Abgeordnete Sabine Kaspereit (SPD) teilte schriftlich mit, daß sie Haackes Konzept "nicht gut" finde und sich dementsprechend auch nicht daran beteiligen wolle.

Der CDU-Abgeordnete Michael Luther bezeichnete das Konzept kurz und prägnant als "Unsinn". Auch er will sich im Fall einer Realisierung des Projekts nicht daran beteiligen.

Der JUNGEN FREIHEIT liegt neben der Originalfassung der "Überlegungen zum Kunstprojekt im Reichstagsgebäude" von Hans Haacke (siehe Dokumentation auf dieser Seite) inzwischen auch ein interner Vermerk für den Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, vor. In dem Papier wird dem Aktionskünstler Hans Haacke vorgeworfen, daß es ihm "schlicht um politische Agitation" gehe. Dieser wolle "die Wörter und damit verbundene Bedeutung von ‘Deutsch’ und ‘Volk’ aus dem Sprachbewußtsein in unserem Land streichen." Unterschwellig wolle Haacke suggerieren, "daß vom deutschen Volk in seiner ganzen Geschichte nur Unheil und Unheilvolles ausgegangen" sei. Der damit einhergehenden Einzwängung der deutschen Geschichte auf die Jahre 1933 bis 1945 müsse, so der Vermerk, entschieden entgegengetreten werden.

Unter Hinweis auf das Grundgesetz, in dem an vielen Stellen – so in der Präambel und in den Grundrechtsartikeln – vom "Deutschen Volk" die Rede ist stellt das Papier fest: "Der Begriff Volk oder Deutsches Volk ist kein Kampfbegriff oder (eine) ideologische Prägung". Die "Mütter und Väter des Grundgesetzes" hätten ganz bewußt den Begriff "Deutsches Volk" gebraucht. Es gebe keine Grundlage, von diesem Begriff Abstand zu nehmen. Andernfalls dürfe es auch nicht "Deutscher" Bundestag heißen. Die Politik habe "dem deutschen Volk, der deutschen Nation zu dienen."

Haackes These, die Widmung im Reichstagsgebäude "Dem deutschen Volke" schließe alle Nichtdeutschen aus, begegnet das Papier mit dem Hinweis auf Artikel 1 des Grundgesetzes, wo festgestellt wird, daß die Würde des Menschen unantastbar ist und das deutsche Volk sich "darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten" bekennt. Damit sei klargestellt, daß deutsche Politik den Interessen aller in Deutschland lebenden Menschen zu dienen hat.

Das Papier schließt mit der Forderung: "Kunst im und am Reichstag muß verständlich sein und sich auch zur Deutschen Nation und unserem Nationalstaat im immer enger zusammenwachsenden Europa bekennen." Und: "Politik wird vom Deutschen Bundestag im Reichstag gemacht (...) nicht von wenigen Künstlern und Mitgliedern des Kunstbeirates."


 
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