© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Enrichissez-vous!
Karl Heinzen

Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus gibt es keinen Grund mehr zu verschweigen, daß die Marktgesellschaften das Bewertungsproblem, was denn nun als Leistung anzusehen ist und was nicht, längst gelöst haben: Das relevante Kriterium ist nicht die Mühe, sondern der Erfolg. Welch eine Tragik für alle diejenigen, die durch Arbeit an welches Ziel auch immer zu gelangen hofften! Sie können sich nur damit trösten, wenigstens diejenigen glücklich gemacht zu haben, die sich an ihnen bereichern durften. Mitleid haben sie allerdings keines verdient: Spätestens seit den Zeiten von Louis Philippe dürfte eigentlich nicht mehr unklar sein, welche Werte für die bürgerliche Gesellschaft konstituierend sind.

Richtiggehend unredlich ist daher die rhetorische Empörung, mit der leitende politische Angestellte bedacht werden, wenn sie ihr persönliches Wohl als letzten Grund ihres Engagements ausnahmsweise einmal nicht verhüllen können. Wer die Verfolgung des Eigeninteresses zum Paradigma erklärt, in das sich individuelles Handeln letztlich sogar zum Nutzen aller zu fügen hat, darf die Entfaltung dieses Handlungsantriebes nicht ausgerechnet Politikern verweigern, die ja nicht zuletzt auch eine Leitbildfunktion erfüllen sollen. Es kann ja wohl kaum ihre gesteigerte Chance auf eine Fortexistenz im Andenken der Öffentlichkeit sein, mit dem eine Verweigerung von Lebensqualität für sie hier und jetzt zu rechtfertigen wäre!

Seit langen Jahren wird mit dem Verweis auf die einschlägigen amerikanischen Erfahrungen immer wieder gefordert, die Grenzen zwischen "Politik und Wirtschaft" durchlässiger zu gestalten. Darin nur ein Argument von Mandatsträgern zu sehen, die sich von Wählerpräferenzen unabhängige Berufsfelder erschließen wollen, hieße zu verkennen, wie wichtig es ist, daß sich die Einstellungsmuster unserer Eliten nicht auseinanderentwickeln. Natürlich sind dem Staat ganz andere Maximen vorgegeben als dem Rest der Marktgesellschaft – sonst könnte er zum Beispiel auch gar nicht seiner Aufgabe gerecht werden, die Kritik auf sich zu ziehen. Die Politiker aber, die ihn mit Leben erfüllen, dürfen nicht vergessen, in welchem Geist ihr Auftrag formuliert wurde. Es muß ihnen daher auch konzediert werden, in der Abwägung zwischen privatem und öffentlichem Interesse nicht systemwidrig zu entscheiden.

Ist von einem Profipolitiker dann aber nicht wenigstens zu verlangen, daß er einen gewissen Schein wahrt? Auch hier gilt es, sich mit Enttäuschung zurückzuhalten. Mehr gesellschaftliche Kontrolle über den Staat intendiert keine Beendigung der Vorteilnahme, sondern allenfalls eine Neuverhandlung von Preisen und Leistungen. Wer der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten möchte, der ihr zeigt, was sie selber nicht ist, sollte dazu nicht die Politik mißbrauchen. Es ist aber auch der Gesellschaft nicht gedient, wenn sie sich über sich selbst täuscht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen