© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Theater: "Wallenstein" im Schauspielhaus Dresden
Zeitgeist des Heerlagers
Uwe Ullrich

Er ist zwielichtig, der Wallenstein. Der 1583 geborene Sproß der böhmischen kleinadligen Familie Wallenstein wuchs unter deutsch-protestantischem Einfluß auf. Nach kurzem Studium in Altdorf bei Nürnberg reiste er, empfing besonders in Italien (unter anderem Studien in Bologna und Padua), die ihn lebenslang prägenden Eindrücke seiner sich entwickelnden individuellen Haltung, seiner Persönlichkeit. Ab 1604 im militärischen Dienst der Habsburger, trat Wallenstein zwei Jahre später zum Katholizismus über. Ein anonymes Ersuchen um eine astrologische Deutung des Lebenslaufes beim berühmten Astronomen Johannes Kepler traf erstaunlicherweise den Charakter – Machtwillen, Ehrgeiz, Ruhmsucht, Gewinnstreben, aber auch Unentschlossenheit und Launenhaftigkeit – eine der bedeutendsten Gestalten des Dreißigjährigen Krieges recht genau. Sein Schicksal erfüllte sich in der historischen Umbruchsituation im Herzen Europas, an der Schwelle zur Neuzeit. "So fiel Wallenstein, nicht weil er Rebell war, sondern er rebellierte, weil er fiel." (Schiller)

Der historische Stoff verlor nie an Aktualität: Nachrichten über Kriege lesen, hören oder sehen wir immer, Intrigen erleben wir fast täglich. Die Zusammenfassung vom Prolog zur Trilogie mit "Wallensteins Lager" und "Die Piccolomini" zu Wallenstein I ist in der Neuinszenierung im Dresdner Staatsschauspiel am Zwinger sinnvoll und läßt den Theaterbesucher auf die Aufführung von Wallenstein II ("Wallensteins Tod") hoffen.

Im Prolog wirft Schiller einen Blick auf den Zeitraum, in dem das Stück spielt. Vor dem finsteren Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges betritt bewundert ("des Glückes abenteuerlicher Sohn") wie geschmäht ("Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt / Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte") der Feldherr Albrecht von Wallenstein, Herzog zu Friedland, die Bühne der Geschichte. Es ist eine leere Bühne, kein Interieur: Das Lager zu Pilsen, wohin der Generalismus seine Truppen und die Familie rief. Die Spannung hebt an, wechselnd Bewegung vortäuschend. Mit sparsamen Mitteln beschwört Regisseur Hasko Weber den Zeitgeist des Heerlagers. Im Mittelpunkt steht, noch unsichtbar aber allgegenwärtig, der Feldherr Wallenstein. Er ist das Ziel der Menschen, des bunt zusammengewürfelten Söldnerhaufens. Verehrt wird, im volkstümlichen Knittelvers vorgetragen, der kaiserliche Truppenführer wegen seines Glückes. Kritische Stimmen, die später von Schiller eingefügte Kapuzinerpredigt, steigern sich zur Anklage. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation prallten die konfessionellen Gegensätze aufeinander, schlugen sich im Lande protestantische "Union" und katholische "Liga", verschärfte sich der handfeste, ökonomisch ausgerichtete Interessenstreit zwischen den Ständen und der Habsburger Monarchie. Durch das Eingreifen außerdeutscher Mächte tobte sich im Reich ein europäischer Machtkampf aus.

Neben seiner Familie beorderte Wallenstein (Dieter Mann) im zweiten Teil der Tragödie, den Piccolomini, die Heerführer nach Pilsen. Mit ihnen kam auch des Kaisers Kriegsrat Questenburg (Daniel Minetti), der gleich zu Beginn in Streit mit den Obristen über Wallensteins Politik gerät. In der Parteinahme der Heerführer leuchtet die von Wallenstein ausgehende Faszination auf, in der geschmeidigen Gegenoffensive des Gesandten die Kritik des Kaisers. Daß die Kritik bereits zur Ordre der Absetzung des Generalismus gediehen ist, weiß bisher nur der von Albrecht Goette in seiner Widersprüchlichkeit gespielte und mit diplomatischen Finessen ausgestattete Octavio Piccolomini. In freier poetischer Umsetzung fügte Schiller die historisch belegte Figur ein. Dieser ist nicht nur Vertrauter Wallenstein, sondern später Nachfolger im Amt und Erbe des Vermögens des böhmischen Adligen. Indes verkörpert die Person des Max Piccolomini (Thomas Eisen) eine jugendliche Idealgestalt des Dichters. Im Krieg groß geworden, lernt er während der Begleitung der Frau (Hannelore Koch) und Tochter (Winnie Böwe) Wallensteins aus der Fremde den Frieden kennen und lernt liebendes Verlangen durch Thekla, dieTochter des Herzogs. Die Intrigen sind gesponnen, der Fall Wallensteins unaufhaltbar.

Wenn man schauspielerische Akzente aus der hervorragenden Inszenierung herausheben will, dann vor allem Dieter Manns sparsame Gestik, Mimik, Bewegung und Modulation in der Stimme. Das Bühnenbild von Mathis Neidhardt – getäfelter Raum mit sich verändernden Treppen und (Fall-)türen; zugleich Beratungsraum, Vestibul, Treppenhaus – gefällt durch die Idee und künstlerische Umsetzung. Die Kostüme, von Ute Noack entworfen, spiegeln viele Zeiten, ihre Mode wie Vorlieben und die Aktualität des Schillerschen Stückes.


 
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