© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Parteispendenaffäre: Der Soziologe Erwin K. Scheuch über politische Korruption
"Die Verdrossenheit nimmt zu"
Dieter Stein

Herr Professor Scheuch, Sie schätzen die Affäre um den ehemaligen Schatzmeister der CDU, Walter Leisler Kiep, als gravierender ein als die Flick-Spendenaffäre Anfang der achtziger Jahre. Warum?

Scheuch: Aufgrund der internationalen Verwicklungen, die mit dem Fall Kiep zusammenhängen. Das ist ja nicht nur bei der Panzerlieferung ans Saudi-Arabien so, sondern auch im Falle der Raffinerie Leuna und des französischen Öl-Multis Elf Aquitaine. Diese Firma, die hier mutmaßlich begünstigt worden ist, ist mit der Spitze des französischen Staates eng verwoben. Das alles gibt dem Fall im Gegensatz zum Fall Flick eine internationale Note.

Der Fall Leuna ist doch eigentlich nicht neu.

Scheuch: Ja, aber die Geschichte ist bisher im Sande verlaufen. Erst die Häufung von Fällen – der Fall Bodo Hombach in Nordrhein-Westfalen, die Kiep-Affäre – hat dazu geführt, daß man halb vergessene Fälle neu aufgreift und aufrollt.

Es sieht ja nun zunächst so aus, als ob die SPD Kapital aus dieser Affäre schlagen könnte. Es stehen Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein bevor. Haben SPD, Grüne und FDP aber nicht ähnliche Leichen im Keller?

Scheuch: Nehmen Sie den aktuellen Fall Glogowski in Niedersachsen! Ganz zu schweigen von Bodo Hombach oder unseren Genossen Heugel in Köln. Da ist durchaus noch einiges zu erwarten. Allerdings hat es so etwas, wenn es sich im Fall der CDU bestätigen sollte, in dieser Größenordnung noch nicht gegeben in Deutschland. In diesem Zusammenhang stellt sich die interessante Frage, wie es dazu kommen konnte, daß zu Beginn der Amtszeit von Leisler Kiep die CDU 42 Millionen Mark Schulden hatte und am Ende seiner Amtszeit 28 Millionen Guthaben.

Wie beantworten Sie diese Frage?

Scheuch: Mir ist das schleierhaft. Die Wahlkämpfe der Union sind immer sehr aufwendig geführt worden, und die Parteien klagen, daß sie mit der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung hinten und vorne nicht zurande kommen. Wie kann man da diesen Sprung von über 60 Millionen Zugewinn bewerkstelligen?

Mit welchen Enthüllungen ist in nächster Zeit Ihrer Meinung nach noch zu rechnen?

Scheuch: Bemerkenswert und untersuchungswürdig ist beispielsweise, daß sich die Nachfolgerin von Leisler Kiep, Frau Baumeister, mit einem Waffenschieber in der Schweiz traf, nachdem bereits Haftbefehle gegen den Betreffenden ausgeschrieben worden waren. Ich rechne damit, daß noch mehr Personen von dieser Affäre betroffen sind.

Wie ist das gespaltene Bewußtsein der politischen Akteure zu erklären? Man hatte doch gerade nach der Flick-Affäre Besserung und Läuterung gelobt.

Scheuch: Das ist wohl aus dem Gefühl der Sicherheit heraus geschehen, daß schon nichts passieren werde. Das ist ja nun tatsächlich so, daß, selbst wenn jemand für schuldig befunden wird, er anschließend gut versorgt werden kann. Nehmen Sie den Fall des Oberbosses der Sozialdemokraten in Dortmund, der mit einer Nutte erwischt wurde und anschließend in ein Steuerhinterziehungsverfahren verwickelt war. Erst wurde er aus dem Verkehr gezogen, letzte Woche aber wurde bekannt, daß er als Direktor eines stadteigenen Betriebes vorgeschlagen wird!

Sie haben sich in der Vergangenheit mit Ihrer Frau intensiv mit dem Parteienfilz – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – beschäftigt, auch mit dem Schwerpunkt CDU: Wie kommt es, daß diese skandalösen Fälle nur alle paar Jahre einmal nach oben gespült werden? Gibt es augenzwinkernde Einverständnisse und Schweigekartelle zwischen scheinbar konkurrierenden Parteien?

Scheuch: Es kommt ja überhaupt nur raus, wenn etwas schiefgegangen ist. Wenn alles so abläuft, wie sich das die Beteiligten vorstellen, dringt auch nichts nach draußen. Wir hatten hier beispielsweise in Köln einen Fall, der Dr. Bietmann, bei dem fraglich ist, wieviele Millionen er die Stadt gekostet hat durch zweifelhafte Grundstücksverkäufe. In diesem Falle hatte der Mann eine Firma zwischengeschaltet, dann wurde das Grundstück an diese Firma zu günstigen Preisen verkauft und mit Gewinn wieder weiterverkauft. Wahrscheinlich ist Herr Bietmann an dieser Zwischenfirma beteiligt, hätte dann also an sich selber verkauft und dürfte sich entsprechend Provision ausgezahlt haben. Es ist unfaßbar, mit welchen Schachtelkonstruktionen und welcher kriminellen Energie hier teilweise vorgegangen wird. Es wird mit großer Energie verschleiert, wenn einmal etwas schiefläuft.

Sind an dieser Verschleierung auch Medien beteiligt?

Scheuch: Ja. In Köln war dies ganz offensichtlich. Im Falle Dr. Heugel wurden erst durch die Veröffentlichungen in der überregionalen Presse die lokalen Zeitungen und Rundfunkanstalten aktiv. Als der Oberstadtdirektor Ruschmeier von einem Tag auf den anderen auf den Posten des Managers des Eschfonds wechselte – das ist der Fonds, der die Arena in Köln gebaut hat, und der jetzt durch Philipp Holzmann in die Schlagzeilen gekommen ist –, wurde auch vermutet, daß die Stadt geschädigt sei. In erster Linie muß man auf die überregionale Presse oder die Presse eines anderen Ortes setzen, lokal existiert eine übermäßige Beißhemmung.

Spielte im Falle Kiep auch eine Rolle, daß durch den demoskopischen Höhenflug der Union eine solche Geschichte fällig war, um die Partei auf den Teppich zurückzuholen?

Scheuch: Das auch. Für die SPD, die, wie ich schon gesagt habe, nicht sonderlich an einer Aufklärung interessiert ist, war das ein Geschenk des Himmels – wenn es denn ein Geschenk bleibt!

Welche Chance sehen Sie im Untersuchungsausschuß des Bundestages, Licht in die Affäre zu bringen?

Scheuch: Wenn die Presse nicht dahinter her ist, dann wird die Sache nicht richtig aufgeklärt werden.

Sehen Sie denn wirklich einen Zusammenhang zwischen der Millionenspende des Waffenhändlers Schreiber an Leisler Kiep und dem Panzergeschäft mit Saudi-Arabien?

Scheuch: Zumindest ist erklärungsbedürftig, weshalb der ehemalige Kanzler Kohl hier eine unwahre Behauptung aufstellt. In der Welt am Sonntag behauptet Kohl, daß bereits alles entschieden gewesen sei in Sachen Panzer, als die Spende an Kiep überreicht wurde. Wochen nach der Geldübergabe hat aber nachweislich der Verteidigungsminster erklärt, daß die Sache noch nicht entschieden war. Wenn ein Ex-Kanzler höchstpersönlich Verwirrung stiftet, dann muß man ganz besonders aufmerksam werden.

Der CDU-Vorstand erklärt ja, man sei nicht immer im Detail über die Geschäfte des Schatzmeisters und die Fragen der Parteifinanzierung informiert gewesen. Nun ist ja bekannt, daß sich insbesondere Kohl bis auf die unterste Ebene um Vorgänge in seiner Partei gekümmert hat. Sind Parteifinanzen eine Nebensächlichkeit?

Scheuch: Nein. Und wir reden im übrigen nicht über Beträge, die Kleinigkeiten wären. Es geht um die Tilgung der CDU-Schulden in vielfacher Millionenhöhe!

Wie oft wurden und werden Ihrer Meinung nach politische Entscheidungen in Bonn bzw. Berlin über Schatzmeister der Parteien erkauft?

Scheuch: Direkt erkauft wohl nicht. Aus eigener Beobachtung kann ich sagen, daß der normale Ablauf "Gefälligkeitenaustausch" genannt werden kann.

Betrachten sich Parteien als Staat im Staate, für die Sondergesetze gelten?

Scheuch: Da kann ich ohne Wenn und Aber einfach nur zustimmen.

Welchen grundsätzlichen Ausweg aus diesem Dilemma des Parteienstaates gibt es nach Ihrer Meinung?

Scheuch: Die Staatsverdrossenheit nimmt zu, das Mißtrauen in die Parteien wächst, das läßt sich an der katastrophalen Wahlbeteiligung ablesen. Der Ausweg wäre ein Wechsel zum Mehrheitswahlrecht, wo die Bürger auf die einzelnen Abgeordneten einwirken können. Bei dem jetzigen Wahlrecht kann ich nur mein Mißvergnügen mit einer Partei ausdrücken, aber nicht gegenüber dem einzelnen Abgeordneten, der ja verantwortlich ist. Gegen einzelne Politiker vermag ich als Bürger nichts auszurichten.

 

Prof. Dr. Erwin K. Scheuch Jahrgang 1928, ist emeritierter Ordinarius für Soziologie und hat sich internationale Reputation unter anderem als empirischer Sozialforscher und durch Beiträge zur Wissenschaftstheorie erworben. Dabei scheute er auch nicht die politische Auseinandersetzung: 1970 gehörte er zu den Gründern des "Bundes Freiheit der Wissenschaft". Große Beachtung fand seine 1992 gemeinsam mit seiner Ehefrau Ute publizierte Studie "Cliquen, Klüngel und Karrieren", die sich mit den Krisenphänomenen des Parteiensystems befaßte. Aus Protest gegen die Süßmuth-Affäre (private Flüge mit der Flugbereitschaft des Bundestages) trat Scheuch vor drei Jahren aus der CDU aus.


 
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