© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Kino: "Lovers" von Jean-Marc Barr
Eine banale Liebelei
Ellen Kositza

Nach dem miserablen "Idioten"-Film Lars von Triers hätte die Lektion gelernt sein sollen: Filme, die unter der Marke "DOGMA 95" firmieren, darf man sich sparen. Hat man sich das hehre Vorhaben, dem Hollywood-Imperialismus den Rücken zu kehren, zwar gewissermaßen als große Überschrift auf die Fahnen geschrieben, so schützen die selbstgewählten Verbote, sich installierte Kameras, künstliche Beleuchtung, Requisiten und sonstige Verfremdungen zunutze zu machen, dennoch nicht davor, Filme fürs Grobe zu fabrizieren.

Jean-Marc Barr, bekannt geworden als Hauptdarsteller in Luc Bessons "Im Rausch der Tiefe", ist der erste französische Regisseur des ursprünglich rein dänischen DOGMA-Kollektivs und will mit "Lovers" einen Film gedreht haben über Liebe "als den letzten Widerstand gegen das Chaos dieser Welt".

Mit "Liebe" gemeint ist hier die primär sexuelle Affinität zwischen der Französin Jeanne (Elodie Bouchez) und dem Serben Dragan (Sergej Trifunovic). Die beiden lernen sich in der Buchhandlung kennen, in der Jeanne angestellt ist. Dragan nennt die Buchhändlerin "Jane", sie ihn "Gaga", und damit sind die Voraussetzungen geschaffen für eine gemeinsame Nacht, der ein gemeinsamer Tag folgt und so weiter.

So lebt das multikulturelle Paar in Paris, spricht englisch, französisch und serbisch, speist amerikanisches Fastfood und schläft planlos in die Tage hinein. Kinder will man keinesfalls ("Stell Dir vor", meint Dragan, "ich hätte eine Tochter – und die ist dann eines Tages mit einem Typ wie mir zusammen"), sein geringes Einkommen als Maler verpulvert Dragan, sparen ist nämlich kapitalistisch. Und Dragan ist ein Kind des Kommunismus. "Ich will heute leben", spricht Dragan, proklamiert einen Heldengesang auf Tito und lebt frierend in seinem ungeheizten Drecksloch dahin. Manchmal besuchen die beiden Verliebten auch die rauschenden Feste der serbischen Freunde Dragans; Volksmusik, melancholischer Gesang über die geliebte slawische Heimat. Die Serben sind total nett, das sieht auch Jeanne.

Mag die Liebelei dieser beiden Einzelmenschen im bunten Paris einem Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung auch Tränen der Rührung in die Augen treiben; die Geschichte ist langweiliger und banaler als eine Episode aus einer beliebigen Fernseh-Nachmittagsserie, "ästhetisch" verbrämt durch die Handkameraführung und so manches unscharfe Bild. Man muß eine gehörige Portion Langeweile mitbringen oder den nötigen sentimentalistischen guten Willen, um nicht ungeduldig auf dem Kinosessel herumzurutschen: Dragan und Jane schauen sich in die Augen, lange, sehr lange, sagen sich Sätze wie "Du bist das Paradies", dann neigen sich die Lippen zum Kuß. Wieder und wieder. Jeanne im BH, Dragan im Bett. Es will einfach nicht aufhören. Sollte dies einmal mehr die allgegenwärtige "Generation X" sein?

Die späte Wende und Dramatik des Films entsteht schließlich dadurch, daß Dragan natürlich illegal in Frankreich ist. Trauer. Verbitterung. Der alltägliche Rassismus bei Kioskeinkäufen. "Die Geographie läßt heutzutage so viele Menschen stolpern." Ja, Mensch. Natürlich mag die Thematik, wie zwei Bettgenossen unterschiedlicher Nationalität mitten im kunterbunten Paris, wo kaum jemand auch nur seine Straßennachbarn beim Namen kennt, durch politische Entscheidungen getrennt werden, eine brisante sein. Daß es sich immer noch in gewohnt trivialer Weise darüber reden und einen Film drehen läßt, erstaunt dennoch.


 
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