© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Balkan: Zweifel an der Größenordnung der Massenmorde im Kosovo verdichten sich
Die verschollenen Opfer von Trepca
Michael Wiesberg

In den letzten Wochen sind in ausländischen Medien mehr und mehr Berichte zu lesen gewesen, die den angeblichen Völkermord der Serben an den ethnischen Albanern im Kosovo in Abrede stellen. Der wohl detaillierteste Artikel stammt von Richard Gwyn von der kanadischen Zeitung Toronto Star. Gwyn überschrieb seinen Artikel am 3. November programmatisch mit "Kein Genozid, keine Rechtfertigung für den Krieg im Kosovo".

Gwyn beschäftigt sich in seinem Beitrag ausdrücklich mit den angeblichen Massakern im Bergwerk von Trepca. Nato-Offizielle und Mitglieder der US-Regierung hatten während des Krieges behauptet, daß eine große Zahl von Leichen, die auf mindestens 1.000 angesetzt wurden, im Schutz der Dunkelheit zu diesem Bergwerk transportiert worden sein sollen, um sie dort in den Schächten verschwinden zu lassen. Ein Teil der Leichen, so wurde weiter behauptet, soll darüber hinaus in mit Salzsäure gefüllte Bottiche geworfen worden sein.

Dieser Vorgang soll sich vor sechs Monaten mitten im Kosovokrieg abgespielt haben und stand im Mittelpunkt dessen, was US-Präsident Clinton und Großbritanniens Premierminister Blair eine "humanitäre Katastrophe" nannten. Zwischen 10.000 und 100.000 ethnische Albaner (so zum Beispiel US-Verteidigungsminister William Cohen und Nato-Sprecher Jamie Shea) sollen die blutdürstigen Serben im Kosovo angeblich ermordet haben.

Die Macht der Bilder spielte eine zentrale Rolle

Vor drei Wochen nun hätte, so fährt Gwyn in seinem bemerkenswerten Artikel fort, das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien die Untersuchungsberichte über das angebliche Massaker von Trepca vorgelegt. Die Untersuchungsteams hätten weder 1.000 noch 100 Leichen in den Schächten von Trepca gefunden. Sie hätten überhaupt keine Leiche gefunden. Auch die mit Salzsäure gefüllten Bottiche enthielten nicht einen Hinweis auf menschliche Überreste.

Gwyn verweist weiter auf den Bericht des Tribunals über das bekannteste Massengrab mit vermeintlichen Leichen von ermordeten ethnischen Albanern. Gemeint ist das Massengrab von Ljubenic in der Nähe der Stadt Pec. In diesem Grab sollen 350 ethnische Albaner hastig von den sich zurückziehenden serbischen Einheiten verscharrt worden sein. Es wären aber, so Gwyn, keine 350, sondern nur fünf Leichen gefunden worden.

Die erste Institution in den USA, die auf diese Vorgänge aufmerksam gemacht hat, ist das in Texas ansässige Institut Stratfor. Stratfor schätzt die Zahl der umgekommenen ethnischen Albaner auf etwa 500.

Es gibt aber auch in Europa Stimmen, die sich dieses Themas inzwischen angenommen haben. So brachte die spanische Zeitung El Pais vor kurzem einen Bericht, in dessen Mittelpunkt der Verantwortliche eines spanischen Untersuchungsteams steht. Dieser hat zu Protokoll gegeben, daß sein Team mit der Maßgabe angetreten sei, mindestens 2.000 Leichen einer Obduktion unterziehen zu müssen. Letztlich obduzierte sein Team aber nur 97 Leichen, von denen nicht eine Spuren von Mißhandlungen aufwies.

Zwar sind bis jetzt erst 250 der etwa 400 behaupteten Massengräber untersucht worden. Unter diesen waren aber diejenigen, die die schwersten Verbrechen beweisen sollten. Deswegen greift es wohl nicht zu weit, wenn man bereits heute feststellt, daß es keinen Genozid an den ethnischen Albanern im Kosovo gegeben hat. Es gab demnach auch keine "humanitäre Katastrophe". Und es gab erst recht keine Neuauflage des "Holocaust", wie es zum Beispiel in Deutschland besonders eilfertige Jounalisten behaupteten, um den Krieg gegen die Serben zu rechtfertigen.

Bleibt die Frage, warum sich der europäische Teil der "westlichen Wertegemeinschaft" so willfährig von den USA einspannen ließ, um den vermeintlichen "Balkan-Hitler" Milosevic samt dem serbischen Teil Restjugoslawiens "in die Steinzeit zurückzubomben". Wer sich an die Kriegsvorbereitung bzw. -propaganda in den westlichen Medien erinnert, der weiß, daß die Macht der Bilder eine zentrale Rolle gespielt hat. Ein Beispiel, das der französische Philosoph Paul Virilio in einem Beitrag für Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe vom 15. Oktober 1999) aufgriff, sei an dieser Stelle näher beleuchet.

Virilio erinnert an eine vom US-Fernsehsender ABC verbreitete Nachricht vom 12. April 1999, in der behauptet wurde, das Pentagon verfüge über Satellitenbilder, die die Existenz von Massengräbern im Kosovo beweisen würden. Der Sender hätte, so Virilio, von über 100 frisch aufgeworfenen Massengräbern gesprochen. Zwei Tage zuvor hätte das Pentagon Bilder mit geflohenen ethnischen Albanern gezeigt, die auf Hügeln kampierten. In Bezug auf diese Bilder, so Virilio, sei keine Rede von einem Zusammenhang zwischen deren Flucht und vorhergehenden Massenmorden gewesen. Dennoch erreichten die USA mit diesen Bildern genau das, was sie wollten. Die westliche Öffentlichkeit wurde auf einen möglichen Krieg mental vorbereitet.

Daß die Amerikaner bei der Kriegsvorbereitung nichts dem Zufall überlassen haben, zeigt die Ende 1996 ins Leben gerufene Agentur "National Imagery and Mapping Agency" (NIMA), die rund 10.000 Mitarbeiter umfaßt. Virilio berichtet in seinem Beitrag, daß die NIMA die Aufgabe habe, "sämtliche von militärischen Satelliten aufgenommenen Bilder zu zentralisieren und einen Datenverarbeitungstandard für diese Bilder zu erarbeiten". Der Direktor der NIMA, so steht im Dokument DODD 5105.60 des amerikanischen Verteidigungsministeriums vom 10. November 1996 zu lesen, unterstützt den amerikanischen Generalstab, hochrangige Kommandeure der US-Army sowie ausgewählte Regierungsbehörden bei der Aus- und Bewertung von Satellitenbildern.

1997 hätte die NIMA beschlossen, so Virilio, sich an einem Programm zu beteiligen, das sich "Global Information Dominance" nenne. Dieses Programm hätte die Aufgabe, den "kommerziellen Bilderaustausch weltweit zu kontrollieren". Die NIMA böte amerikanischen und ausländischen Unternehmen, die ihre Datenverarbeitungssysteme konvertibel machten und sich zu sehr kurzen Lieferzeiten für ihre Bilder verpflichteten, bis zu fünf Millionen Dollar an. Diese Dokumente würde die NIMA an das US-Militär weiterleiten, aber auch an amerikanische und ausländische Kunden. In der Substanz geht es laut Virilio darum, "das Entstehen eines freien Marktes der Bilder aus dem Weltraum zu behindern". Deshalb hätten sich Pentagon und CIA eine "Politik des groß angelegten Kaufs und Verkaufs von kommerziellen Bildern ausgedacht".

Um auf die von dem Fernsehsender ABC behaupteten Massengräber im Kosovo zurückzukommen: die Bilder von ABC waren augenscheinlich Bestandteil einer klaren strategischen Vorgabe: sie dienten der Kriegsvorbereitung und der Kriegspropaganda. An diesem Beispiel können im übrigen die Konsequenzen der von der "Global Information Dominance" angestrebten visuellen Überwachung des Erdballs erahnt werden. Virilios Schlußfolgerung lautet denn auch: "Nach den großen Ohren des Systems Echelon der National Security Agency öffnen sich also die furchterregenden großen Augen der National Imagery and Mapping Agency". Getreu dem Motto: Wer den Inhalt der Bilder bestimmt, bestimmt auch die Phantasie der Menschen. Wie trügerisch Bilder aber sein können, zeigt die laufende Diskussion um die sogenannte Wehrmachtsausstellung.

Vor diesem Hintergrund bekommt das Interview, das die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright in der Spiegel-Ausgabe vom 26. Juli dieses Jahres gab, einen mehr als eigentümlichen Beigeschmack. Bemerkenswert ist dieses Interview weniger aufgrund der rhetorischen Camouflage, mit der die amerikanische Außenministerin, die zu den lautstärksten Propagandisten des Kosovo-Krieges gehörte, die geopolitischen Ambitionen der USA umschrieb, sondern vielmehr aufgrund einer eher beiläufigen Bemerkung, die aber ein bezeichnendes Licht auf das Selbstverständnis der amerikanischen Außenpolitik wirft. "Wissen Sie, was ich festgestellt habe?", so Albright: "Viele Leute verstehen nichts von der Macht der USA. Sie verstehen nicht, was für ein Land wir sind." Und weiter: "Ich glaube an das grundsätzlich Gute der amerikanischen Macht."

Daß die USA die Regeln anzugeben trachten, nach denen die "internationale Gemeinschaft" zu funktionieren hat, ist nicht neu und spätestens seit dem Golfkrieg evident. Mehr und mehr zeigt sich aber, daß die amerikanische Außenpolitik auch ihre rigiden Auffassungen über das "Wesen einer guten Gesellschaft" als Bewertungsmaßstab international durchzusetzen bemüht ist. Dabei spielt das ungebrochene Sendungsbewußtsein der Amerikaner eine zentrale Rolle: "Amerikaner" wird man bekanntlich nicht durch Geburt oder nationale Zugehörigkeit, sondern durch ein Bekenntnis zum "Amerikanismus" und seinen Glaubensinhalten, die da heißen: Freiheit, Gleichheit, Individualismus, Populismus und allgemeines laissez-faire.

Mit religiösem Eifer werden Schlachten inszeniert

Diesem Bekenntnis entsprechend ist die amerikanische Politik zutiefst "moralistisch" ausgerichtet. Politische oder soziale Auseinandersetzungen werden mit religiösem Eifer als Schlachten zwischen Gut und Böse inszeniert. Hier findet auch die umfassende Stigmatisierung von Staatsmännern wie Saddam Hussein und Slobodan Milosevic als Verkörperungen des Bösen schlechthin statt. Deren Stigmatisierung verdankt sich freilich weniger ihrem fragwürdigen Herrschaftsstil als vielmehr der Tatsache, bestimmten amerikanischen Interessen im Wege zu sein bzw. gewesen zu sein. Da dies aber als Kriegsgrund nicht hinreichend ist, bedient sich die US-Propaganda, die die amerikanischen Interessen zu "Menschheitsinteressen" umwidmet (Stichwort: "CNN-Faktor"), und in ihrem Fahrwasser der Großteil der westeuropäischen Medien dem Mittel der moralischen Vernichtung. Sowohl Saddam Hussein als auch Slobodan Milosevic sind heute Aussätzige in der "internationalen Völkergemeinschaft". Insbesondere im Fall Milosevic wirkt das Kopfgeld, das die USA auf den jugoslawischen Staatspräsidenten ausgesetzt haben, vor dem Hintergrund der neuesten Erkenntnisse geradezu infam.

Der amerikanische Politologe Seymor Martin Lipset hat dieses Vorgehen in einem 1996 erschienenen Buch ("American Exceptionalism") als "moralischen Absolutismus" bezeichnet. Dem festen Glauben an absolute moralische Richtlinien und an die Auserwähltheit der Vereinigten Staaten, so Lipset, entspringe die Bereitschaft der Amerikaner, sich zum Anwalt der "Ausrottung des Bösen" zu machen. Es ist dieses Bewußtsein, das auch den Einsatz noch so verwerflicher Mittel zu rechtfertigen weiß.

Exakt dieser Geist wird auch in dem Albright-Interview sichtbar. Daß die Konsequenzen dieser Haltung als "totalitär" bewertet werden könnten, kommt einer Albright überhaupt nicht in den Sinn, denn: "Der Antiamerikanismus entsteht, weil unsere Ziele mißverstanden werden." Albright legt mit dieser Aussage nahe, daß im Grunde genommen keine Haltung denkbar ist, die als "antiamerikanisch" beschrieben werden und gleichzeitig für sich in Anspruch nehmen kann, moralisch "gut" zu sein.

Was Madeleine Albright habe, die hier exemplarisch für das amerikanische Sendungsbewußtsein stehen soll, schreibt Michael Dodds in seiner Biographie (1999) über die US-Außenministerin, sei politische Raffinesse und ein feines Gespür für den zwischenmenschlichen Umgang. Ihr einstiger Lehrer Zbigniew Brzezinski bescheinigte ihr, sie wisse, wie sie es anzustellen habe, daß sich die Menschen in ihrer Gegenwart wohlfühlten. Die Forderung von Bundesaußenminister Fischer zum Beispiel, daß die Nato auf dem Balkan eingreifen müsse, nötigte ihr angeblich "großen Respekt" ab. Sie habe Fischer, der bezeichnenderweise "von moralischen Grundsätzen gesteuert" sei, "gern um sich". Genau dies wollten die Spiegel-Redakteure hören, die sich sichtlich gut in der Gegenwart der Außenministerin fühlten. So gut, daß sie ihre Kritikfähigkeit schließlich ganz ablegten. Dies gilt mutatis mutandis für den gesamten europäischen Teil der "westlichen Wertegemeinschaft".


 
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