© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Hintertür
Karl Heinzen

Wer einst befürchtet haben sollte, daß die frühere Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) durch ihre Umfirmierung zur Organisation in eine Konkurrenz zur Nato geraten könnte, sieht sich durch die Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre eines besseren belehrt. Die OSZE hat ihren Charakter eines Forums nicht verloren. Sie ist weiterhin der Austragungsort und nicht der Ausgangspunkt von Politik. Die Staaten der nördlichen Hemisphäre, die sich in ihrem Rahmen einander anhören, sind klug genug, die Interpretation, was mit den allgemein anerkannten Prinzipien denn nun übereinstimmt und was nicht, keineswegs losgelöst von den realen Machtverhältnissen zu betrachten.

Wichtiger als der Weg ist gerade in Zeiten des Umbruchs das Ziel. Niemand weiß, wann Frieden und Stabilität nicht mehr nur zwischen Vancouver und Bialystok, sondern endlich auch einmal darüber hinaus garantiert werden können. Diejenigen, denen diese Chance heute noch verwehrt ist, sollen aber wenigstens eine Vorahnung davon gewinnen dürfen, was bei einer Fortsetzung des Glücksweges, den die Geschichte in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren genommen hat, auf sie zukommt. Für solche Visionen ist die OSZE allemal gut, und sie bewahrt dadurch die Tradition, aus der sie kommt. Vor knapp einem Vierteljahrhundert gelang es dem Westen, in der Schlußakte von Helsinki mit den Staaten des Warschauer Paktes gemeinsame Prinzipien festzustellen, über die seit der UN-Menschenrechtsdeklaration eigentlich nur noch die Öffentlichkeit der freien Welt sprach. Der Erfolg dieses Dokuments lag aber nicht allein darin, die Philosophie der Nato schon früh auf eine breitere Grundlage gestellt zu haben. Die an ein Denken in langfristigen Perspektiven gewöhnten Machthaber des Ostens eröffneten sich dadurch eine Hintertür, durch die sie schließlich tatsächlich unter Gesichtswahrung abtreten konnten. Niemand unterliegt gerne einem Stärkeren im Kampf, aber es ist honorig, im Wettstreit der Ideen aus freien Stücken zu einer besseren Einsicht zu gelangen.

KSZE und OSZE verdienen die Anerkennung der deutschen Auenpolitik aber nicht nur wegen eines auch gar nicht intendierten Nutzens, den unser Land aus ihnen gezogen hätte. Zu würdigen gilt es vor allem die Möglichkeit, über internationale Politik nachzudenken, ohne jenseits des guten Willens ein Kalkül in Betracht ziehen zu müssen. Nirgends sonst lassen sich auf europäischem Parkett die Debatten der Innenpolitik so spielen, daß sich der Wähler in ihnen noch wiederfinden kann. Wer der OSZE also eine Funktion in der Entstehung einer Europäischen Sicherheitsarchitektur zuweisen möchte, verschweigt die eigentlichen Möglichkeiten, die sie den Politikern bietet, die nach wie vor ja auch Gewählte sind. Er stärkt aber die westliche Allianz: Die Nato kann nur davon profitieren, wenn die OSZE als Alternative zur Debatte steht.


 
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