© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Reichstag: Abschaffung des deutschen Volkes
"Der Bevölkerung"
Theo Mittrup

Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hat für die Umsetzung des "Kunstobjektes im Reichstagsgebäude - Närdlicher Lichthof" des Prozeßkünstlers Hans Haacke votiert. Der Lichthof Nord, der als Innenhof die nördlichen Außenmauern des Reichstagsgebäudes umschließt, wird demnach eine in weißen Leuchtbuchstaben abgefaßte Inschrift "Der Bevölkerung" erhalten.

Wie die Frankfurter Allgemeine in ihrer Ausgabe vom 6. November berichtet, nimmt der Künstler damit bewußt Bezug auf die im Westportal verankerte Widmung "Dem deutschen Volke", die Haacke in seinen "Überlegungen zum Kunstprojekt,im Reichstagsgebäude - Nördlicher Lichthof" als "aggressiv" verurteilt. Diese Formulierung schließe alle diejenigen, die nicht zum deutschen Volk gehören, aus. Doch die Entscheidungen des Bundestags, so Haacke, beträfen alle Bewohner Deutschlands, "unabhängig davon, ob sie zum 'deutschen Volke"' gehörten oder nicht.

Weiter argumentiert Haacke, daß das Adjektiv "deutsch" und das Substantiv "Volk" in diesem Jahrhundert schon eine sehr unheilvolle Rolle gespielt hätten, und verweist auf Begriffe wie "Volksgerichtshoft', "Volkssturm" und "Volkspolizei".

Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollten sich nun durch ihre Teilnahme an seiner Aktion "zur Korrektur der nationalistischen Parole auf der Fassade des Reichstagsgebäudes bekennen". Der Vorsitzende des Kunstbeirates, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), sieht in der Abschaffung des Volksbegriffs und seiner Ersetzung durch "der Bevölkerung" eine durchaus positiv zu bewertende "Weiterentwicklung".

Der Kunstbeirat wurde vom Bundestag mit dem Zweck geschaffen, über die künstlerische Ausgestaltung seiner Neu- und Umbauten zu entscheiden. Er setzt sich zusammen aus insgesamt elf Abgeordneten: Dagmar Schmidt, Anni Brandt-Elsweier, Gisela Schräter, Gert Weisskirchen (alle SPD), Renate Blank, Rita Süssmuth, Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion, Antje Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig (beide Bündnis 90/Die Grünen) Ulrich Heinrich (FDP) und Heinrich Fink (PDS).

Bei der entscheidenden Abstimmun votierte nur Kauder gegen das Konzept Haackes. Er könne in dem Bevölkerunsbegriff im Gegensatz zum Bundestagspräsidenten keine "Weiterentwicklung" erkennen, statt dessen einen Paradigmenwechsel, den er ablehne.

Von den Mitgliedern des Kunstbeirates war bis Redaktionsschluß niemand zu einer Stellungnahme zu bewegen. Eine offizielle Pressemitteilung ist nach Auskunft eines Mitarbeiters im Sekretariat des Kunstbeirates erst in Arbeit und wird für Ende der Woche erwartet. Der Prozeßkünstler Hans Haacke selbst hält sich derzeit in New York auf, wo er eine Professur innehat.


 
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