© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Kino: "Alles über meine Mutter" von Pedro Almodóvar
Transsexuell in Barcelona
Ellen Kositza

Die schwärmerisch vorgetragene Aussage "Ich liebe die Frauen" ist für gewöhnlich eine der schlimmsten Platitüden, die ein Mann äußern kann. Sätze wie diese mag man sich gut vorstellen aus dem Mund eines Udo Jürgens, eines Pfarrer Fliege vielleicht, und den meisten Frauen wird es dabei eiskalt und ganz und gar unwohlig den Rücken herunterlaufen. Auf eine andere Art und Weise glaubhaft wird ein solcher Ausspruch, wenn er Pedro Almodóvar, dem spanischen Filmgenie, in den Mund gelegt wird – gleichgültig, ob dabei das Klischee von Schwulen als den besseren Frauenkennern bemüht erscheint. Der neue Almodóvar ist da, und man möge sich hüten, ihn zu versäumen.

Da sind Manuela und Esteban, sie eine Schönheit, er von empfindsamer Intelligenz. Liebevoll, fast zärtlich gehen sie miteinander um. Freunde, ein Paar? Bruder und Schweste»r? Tatsächlich ist Manuela (die berühmte argentinische Charakterdarstellerin Cecilia Roth) alleinerziehende Mutter des fast erwachsenen Esteban (Eloy Azorin). Innige Gespräche, gemeinsame Unternehmungen prägen die Beziehung. Während die beiden in einem Madrider Theater Tennessee Williams’ "Endstation Sehnsucht" anschauen, faßt Manuela den Entschluß, Estebans drängenden Fragen nach der Identität seines Vaters ehrlich zu beantworten. Es gibt einen gewichtigen Grund, warum das nicht gelingt, und Manuela kehrt allein zurück nach Barcelona, das sie vor fast zwei Jahrzehnten schwanger verlassen hatte. Sie sucht den Erzeuger ihres Sohnes, der längst nicht mehr der Mann ist, den sie einst liebte – der damals frisch operierte Transsexuelle verkehrt seither als sexhungriges Monster in den dunkelsten Vierteln Barcelonas.

Auf dem Weg zu dem Gesuchten begegnen Manuela weitere schrille Gestalten, weitere Mannweiber mit Silikonbrüsten, Drogensüchtige, eifersüchtige Lesben. Engel des Elends in der katalanischen Metropole ist die herzensgute junge Schwester Rosa (Penelope Cruz), über die das Schicksal seinen Stab bricht, was wiederum Manuela unentbehrlich macht. Allzuviel sollte man nicht schreiben über Inhalt und Geschehnisse dieses Films, der trotz seiner exzentrischen, kranken und perversen Gestalten weder Sozialdrama noch schrilles Spektakel ist. Rasch und aberwitzig, ohne dem Nihilismus anheimzufallen, sind die Wendungen in diesem schönen, traurigen Film.

Bereits vom Titel ist "Alles über meine Mutter" angelehnt an den Fünfziger-Jahre-Klassiker "All about Eve". Dem negativen Tenor in der Frauendarstellung des Hollywoodschinkens stellt Almodóvar jedoch ein durch und durch positives Frauenbild gegenüber – auch wenn selten in einem Film Frauen so viel weinen mußten.

Almodovar, seit 1988 und seinem Kinohit "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" keineswegs mehr ein Geheimtip, ist mit seiner weiblichen Schauspielriege ein genialer Film gelungen. Sehen!


 
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