© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Oper: "Lady Macbeth von Mzensk" in Dresden
Schlamm unter Blumen
Konrad Pfinke

"Russische Schatten" – so heißt ein Buch Astolphes de Custine, der im frühen 19. Jahrhundert die russischen Zustände beschrieb. Im Zusammenhang mit der Insel-Promenade von St. Petersburg notierte er da etwa 1839: "Nie hat man Schlamm besser unter Blumen versteckt."

Schlamm unter Blumen – damit könnte man auch das Verhältnis von Inhalt und Form charakterisieren, das Dmitri Schostakowitschs Oper "Lady Macbeth von Mzensk" so bemerkenswert macht. Im Schlamm der Frustration nämlich lebt Katerina Lwowna Ismailow, sie haust mit ihrem ungeliebten Ehemann in einem Mzensker Loft, einer Mixtur aus Gefängnis, Fabrik und Dachgeschoß, die auch heute noch in Moskau, St. Petersburg oder Kiew gefunden werden könnte.

Gemeint sind zunächst die dreißiger/vierziger Jahre, aber der Regisseur Uwe Eric Laufenberg, der Schostakowitschs musiktheatralisches opus magnum mit eindrücklichen Bildern (das Hochzeitsmahl, die Kerzenprozession!) an der Semper-Oper inszenierte, spielt keinen historischen Schocker aus dem Gruselkabinett des Stalinismus. Gewiß: die Handlung folgt äußerlich den Gesetzen eines Krimis der schlechten alten Zeit, aber schon der Komponist wußte, daß die zeitlos "starke Persönlichkeit" der "Lady Macbeth", die aus wahrlich verzweifelter Leidenschaft zur Mörderin an Schwiegervater und Ehemann wird, das Entscheidende ist.

Wenn man eine Sängerpersönlickeit vom Range Karen Huffstodts zur Verfügung hat, sieht man, daß Schostakowitschs passionierte, gänzlich unkitschige Sicht auf den Menschen in besten Händen ist. Im lückenlos grandiosen Ensemble ist sie die Umjubeltste, weil sie mit größter Energie die Rolle der Frau spielt. Sie beherrscht die Kunst, ein mächtig creccendierendes Orchester zu übertönen, ohne zu schreien. Sie macht deutlich, daß man Verführerin und Verführte zugleich sein kann. Huffstodt ist eine Ausdruckskünstlerin von Rang: in den brutalen, also nur scheinbar erotischen Passagen der ersten Akte wie in den stillen Sequenzen der sibirischen Verbannung. Die "spielt" zwar im vollkommen offenen Bühnenraum der Semper-Oper, aber man spürt schnell, daß sich Realität und Fiktion hier eindrucksvoll mischen – alles Theater?

Bestes Theater ist natürlich Schostakowitschs große, so karikierende wie schlackenlos unironische Musik, die – Stichwort "Blumen" – das Element der Verhältnisse zwischen dem krassesten forte und dem intimsten Piano zauberhaft zeichnet. Symeon Bychkov gab damit als Chefdirigent seinen (auch programmatischen) Einstieg an der Sächsischen Staatsoper: mit einem wundersamen Gespür für Nuancen, dem die Staatskapelle willig folgt. Nur zwei Namen des völlig homogenen Ensembles können hier, neben dem prachtvoll disponierten Chor unter der Leitung von Matthias Brauer, genannt werden: Anatoli Kotscherga als despotischer, durchaus abgründiger Schwiegervater: ein massives Gegengewicht zu Karen Huffstodt, und Sergej Kunaev, der die Skrupellosigkeit wie den gebrochenen Charme des Sergej stimmschön auf die Bühne bringt – wie der Abend überhaupt, neben allen schauspielerischen Leistungen, ein beglückendes Stimmfest ist.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen