© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


RU 486: "Mifegyne" in Kürze auf dem Markt / Niederlage für Lebensrechtler
Abtreibung im Wartezimmer
Alexander Schmidt

Die Proteste gegen die Abtreibungspille RU 486 waren erfolglos. Nachdem der Hormoncocktail, mit dem eine Schwangerschaft ohne chirurgischen Eingriff abgebrochen werden kann, bereits in Frankreich, England und Schweden seit bis zu elf Jahren zur Anwendung kommt, ziehen jetzt Deutschland, Österreich und die Schweiz nach. In Deutschland wird das Präparat unter der Handelsbezeichnung "Mifegyne" ab 23. November an Spezialkliniken und Gynäkologen abgegeben. Lebensschützer befürchten, daß durch die Einführung der Abtreibungspille die Hemmschwelle, die bei der konventionellen Abtreibung noch vorhanden war, künftig wegbrechen wird. Außerdem wird mit der Entwicklung eines Schwarzmarktes gerechnet, dem das ungeborene Leben dann zum Opfer fiele.

Nach statistischen Erhebungen konnte nach Einführung der Abtreibungspille in den genannten Ländern zwar keine Zunahme der Abtreibungen festgestellt werden, über die Entwicklung der Dunkelziffer geben die Abtreibungszahlen jedoch keinen Aufschluß.

In Deutschland wurden 1998 offiziell 131. 795 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Für das erste Quartal dieses Jahres wurden laut Statistischem Bundesamt bereits 34.458 Abtreibungen gemeldet. Das ist eine Steigerung um 3.000 im Vergleich zum letzten Quartal des Vorjahres. "Auch wenn es weltfremd klingt", schrieb der Baseler Mediziner Wisser im Ärzteblatt, "eine humane Gesellschaft kann das millionenfache Töten nicht akzeptieren und vor dem Hintergrund dieser Akzeptanz nur noch über das ‘Wie’ diskutieren."

In einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht (AGL), einem Zusammenschluß von zwölf überregional arbeitenden Lebensrechtsgruppen, bezeichnete deren Sprecher Hartmut Steeb die Zulassung der RU 486 als "Pervertierung des Rechtsstaates", weil es sich bei dem Präparat lediglich um ein Mittel handle, das zur Tötung von Menschen bestimmt sei. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Berlin wirft er vor, sich in verantwortungsloser Weise auf das "Erfahrungswissen in Frankreich" zu verlassen, obwohl dem BfArM sämtliche medizinischen, juristischen und ethischen Bedenken vorgelegen hätten. Eine Fristverkürzung zur Abbruchentscheidung, die mit dem Einsatz des Mittels "Mifegyne" verbunden sei, führe unweigerlich "zu Panikabbrüchen", so Steeb. Denn "Mifegyne" darf nur in der sechsten bis siebten Woche nach Beginn der letzten Regel eingesetzt werden.

Ebenso warnen Lebensrechtsverbände vor Nebenwirkungen des Präparates, über das nach Informationen der Vertreiberfirma "femagen" in weitesten Bereichen noch keine Studien vorlägen. Die bisher bekannten Nebenwirkungen reichen laut Packungszettel von Blutungen und Krämpfen im Unterleibsbereich bis zu Benommenheit und Schüttelfrost. Auch vier Todesfälle werden auf die Einnahme zurückgeführt. Weiter warnen Ärzte vor dem "Post-Abortion-Syndrom", das bei der Anwendung von "Mifegyne" besonders häufig auftrete, da die Frau alleinverantwortlich ihr Kind töte, sich darüber oft aber erst nach der Einnahme des Präparates bewußt werde.

Trotzdem ist RU 486 für die Vertreiberfirma "femagen" eine "risikoarme Alternative". Die Firma rechnet mit einem Absatz von bundesweit 20.000 Packungen zu je 154 Mark im ersten Jahr nach der Einführung. Das für den Vertrieb in Deutschland gegründete Unternehmen will alle Gewinne in die "Femagen Foundation" einfließen lassen. Mit der Stiftung sollen nach Firmenangaben Projekte zur Verhütung unterstützt werden.

Freudig bis euphorisch bewerten der Frauenärzteverband, der Marburger Klinikärztebund und Pro Familia die Einführung der Pille und loben den "Mut des Unternehmens", RU 486 zu vertreiben. Der Vorsitzende des Marburger Klinikärztebundes, Ulrich Montgomery, meinte, es sei gut, wenn Frauen zwischen verschiedenen Formen des Schwangerschaftsabbruches wählen könnten. Pro Familia geht noch weiter und sieht das Präparat, dessen Einnahme zum Funktionsverlust von Nabelschnur und Gebärmutter führt und damit eine Unterbrechung der Nahrungsversorgung des heranwachsenden Kindes zur Folge hat, als universelle Lösung in Schwangerschaftskonflikten. Die Organisation tritt gegen Einschränkungen des Anwendungszeitraumes ein und spricht sich für eine möglichst frühzeitige Anwendung der Pille schon in den ersten Schwangerschaftswochen aus. Pro Familia reagiert damit auf die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), die "Mifegyne"-Anwendung vom Nachweis embryonaler Herztöne abhängig zu machen und auf den Zeitraum zwischen Ausbleiben der Regel und siebter Schwangerschaftswoche zu beschränken. Dieser Zeitraum sei zu kurz, so Pro Familia, weil sich so ein Anwendungszeitraum von nur einer Woche ergebe. Daß der "Mifegyne"-Einsatz über die siebte Schwangerschaftswoche hinaus angestrebt wird, macht der Hinweis im Pro-Familia-Magazin von 1992 deutlich, daß mit RU 486 "in Zukunft völlig unabhängig und in absoluter Privatheit postkoitale Konzeptionsverhinderung, Menstruationsregulierung und Frühaborte" durchgeführt werden könnten.


 
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