© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Jörg Friedrich
Unbequemer Historiker
von Michael Wiesberg

Die wohl schärfste Abrechnung mit der sogenannten Wehrmachtsausstellung trug Ende Oktober der Historiker und Journalist Jörg Friedrich vor. Wenn überhaupt, ist der 1944 in Kitzbühel/Tirol geborene Friedrich bis zu diesem Zeitpunkt einer breiteren Öffentlichkeit durch sein Buch "Die kalte Amnestie – NS-Täter in der Bundesrepublik" bekanntgeworden. Die Justiz im Dritten Reich, so die zentrale These des Buches, war in das Wüten der NS-Gewaltherrschaft in vielfältiger Weise verstrickt. "Die Richterschaft tötete", so Friedrich, "in exakter Anwendung des geltenden Rechts von 1941 bis 1945 mindestens 30.000 Personen."

Diese Arbeit sollte nicht der einzige Beitrag des ehemaligen APO-Aktivisten Friedrich zur Aufarbeitung des Dritten Reiches bleiben. So arbeitete Friedrich auch an der dreibändigen "Enzyklopädie des Holocaust" der Gedenkstätte Yad Vashem mit. In den neunziger Jahren hat sich Friedrich insbesondere der Wehrmacht zugewandt. 1995 erschien sein Buch "Das Gesetz des Krieges – Das deutsche Heer in Rußland". Friedrich versucht in dieser Arbeit darzulegen, wie zwischen 1941 und 1945 das Militärhandwerk zum systematischen Terror entartete. Die rechtlichen Konventionen, die Zivilisten und Gefangene der kriegerischen Gewalt entziehen sollten, sind nach seiner Auffassung seither zerbrochen. Völkermord, Massaker, Repressalien, Verwüstung, Vertreibung, Flächenbombardements, Aushungerung, Versklavung haben den Krieg entgrenzt und barbarisiert.

Diese Auseinandersetzung mit dem Rußland-Feldzug, die sich über 1.000 Seiten erstreckt, dürfte entscheidend zu differenzierter Einschätzung der Wehrmacht durch Friedrich beigetragen haben. Sie dürfte auch die Sympathie erklären, die er in der Berliner Zeitung für die "zwieschlächtige Gestalt des Wehrmachtssoldaten" durchblicken läßt. Doch es ist weniger diese Sympathie als vielmehr die schonungslose Abrechnung mit dem "geistigen Klima"der Bundesrepublik, die Friedrichs Beitrag aus der Masse der Publikationen zur Wehrmachtsausstellung heraushebt. "Feigheit und Einfalt" wirft Friedrich denjenigen vor, die ihre "Erinnerungskultur wie eine Monstranz" vor sich hertragen.

"Feigheit und Einfalt" sieht Friedrich auch im Umgang mit der PDS, die er als "sich ausbreitenden Schmutzfleck" bezeichnete. Schonungslos geißelt Friedrich die Tatsache, daß die ehemaligen "Politruks der SED" heute in Talkshows bekennen dürften, der friedliche Übergang der Jahre 1989/90 sei ihr Werk gewesen. Sie hätten schließlich die Gewehre gehabt, geschossen hätten sie aber nicht.

Keine Frage: Jörg Friedrich ist ein Zeitgenosse, für den der Begriff "antitotalitärer Konsens" keine leere Phrase ist. Das macht ihn für linke und rechte Antidemokraten so unbequem.


 
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