© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Bitterer Triumph
von Dieter Stein

Nach vier Jahren Dauer und fast vierzig Ausstellungsorten ist die umstrittene Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" vom Vorstand des verantwortlichen Hamburger Instituts für Sozialforschung zurückgezogen worden. Jan Philipp Reemtsma gestand vor der Presse gravierende Fehler bei Planung und Durchführung des Projektes ein. Er entschuldigte sich bei Historikern, die das Institut mit Prozessen überzogen hatte, um sich gegen Korrekturen an der Ausstellung zu wehren. Hannes Heer als Ausstellungsleiter wurde von Reemtsma geopfert.

Das verkündete Moratorium – Reemtsma will die Ausstellung für drei Monate schließen, um Bilder und Texte von einer unabhängigen Kommission prüfen und überarbeiten zu lassen – ist ein bitterer Triumph für diejenigen, die die Ausstellung von Anfang an wegen ihrer Einseitigkeit und propagandistischen Überzeichnungen bis Fälschungen kritisiert hatten. Es ist erheblicher Flurschaden angerichtet worden und das vorhandene Mißtrauen gegen Objektivität der Geschichtsschreibung verstärkt worden. Welchen Bildern und Darstellungen soll man nun Glauben schenken, wenn Mißbrauch und Fälschungen so weit gehen?

Reemtsma hat sich zu dem radikalen Bruch mit Heer und dem Ende der Exposition entschlossen, weniger weil ihn die wissenschaftlichen Einwände überzeugt hätten. Dank der Veröffentlichungen ausländischer Historiker hatten sich zuletzt die einflußreichsten Institute der Kritik angeschlossen, allen voran das Münchener Institut für Zeitgeschichte, dessen Chef Reemtsmas Hamburger Institut aufs schärfste angriff. Reemtsma sah wohl sämtliche übrigen Forschungsprojekte und das Ansehen seiner Arbeit so nachhaltig als gefährdet an, daß er sich zähneknirschend und unter dem Druck seiner Berater entschloß, die Notbremse zu ziehen.

Dennoch ist die Affäre noch nicht ausgestanden. Zwar ist kaum damit zu rechnen, daß es der Historikerkommission innerhalb von drei Monaten gelingt, die Bilder und Texte seriös zu prüfen. Das bedeutet, daß die Ausstellung mit Sicherheit für längere Zeit von der Bildfläche verschwindet. Sie wird aber in anderer Gestalt wieder auftauchen. Und es werden andere Wellen kampagnenartiger Vergangenheitsbewältigung über Deutschland hinwegschwappen. Die Lehre, die man aus der Affäre um die Wehrmachtsausstellung ziehen kann, ist, daß seriöse Forschung durch politische Kampagnen gefährdet ist und es an sicherem Abwehrinstrumentarium fehlt. Es fehlt (derzeit noch) an wissenschaftlichen Einrichtungen, die einer Kampagne wie der von Reemtsma wirksam entgegentreten können.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen