© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Einbürgerung: Die Politik der Bundesregierung geht an Realitäten vorbei
Typisch deutsch
Paul Rosen

Wer in diesen Tagen durch die Städte geht, stößt auf merkwürdige Plakate: "Typisch deutsch", ist auf einer Wand zu lesen. Abgebildet werden zwei Jugendliche, die in ihrer Mitte einen Farbigen haben, auch ein Deutscher versteht sich. Die Bundesregierung will damit Werbung für ihr neues Staatsangehörigkeitsrecht machen, das Ausländern die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft eröffnet. Die Werbung tut offenbar not: Denn schon nach der alten – von Rot-Grün als Blut- und Bodenrecht diffamierten – Regelung hätten 3,5 der sieben Millionen in Deutschland lebenden Ausländer einen Einbürgerungsanspruch gehabt. Tatsächlich erwarben in den letzten fünf Jahren gerade mal 350.000 einen deutschen Paß.

Jetzt müssen Reklametafeln beklebt werden, damit Rot-Grün auf dem Weg zu seinem trotz der Unterschriftenkampagne der Union nicht aufgegebenen Ziel, sich ein anderes Volk zu schaffen, ein Stück weiterkommt. Der Erfolg scheint fraglich, denn die meisten Ausländer gelten nicht unbedingt als integrationswillig. Sie wollen sich ihre nationalen Eigenheiten bewahren. Den doppelten Paß werden vermutlich nur diejenigen nehmen, die ihn wegen eines besseren konsularischen Schutzes im Ausland (Hilfe durch zwei Botschaften), als Schutz vor einer vielleicht irgendwann drohenden Abschiebung oder aus wirtschaftlichen Vorteilen gebrauchen können.

Immer noch zehrt die deutsche Ausländer-, Staatsbürgerschafts- und Asylpolitik von einer Lebenslüge. Die Einwanderung, so heißt es, werde die Sozialkassen entlasten, da viele junge Ausländer ins Land kämen, die entsprechend Beiträge zahlen und damit die Renten der unter der Last der verdrehten Alterspyramide leidenden Deutschen bezahlen würden. Die Realitätsverweigerung kann schlimmer nicht sein. 1997 waren – nachzulesen in den von der Bundesregierung herausgegebenen "Daten und Fakten zur Ausländersituation" – 23 Prozent der hier lebenden Ausländer unter 18 Jahre alt. Bei den Deutschen beträgt dieser Anteil 19 Prozent, liegt also nicht besonders viel niedriger. Etwas besser war das Verhältnis bei den 18- bis 66jährigen: 74 Prozent aller Ausländer fallen in diese Altersgruppe, während es bei den Deutschen nur 65 Prozent sind.

Der Darmstädter Rentenexperte Bernd Rürup warnte die Politik bereits vor Jahren vor der Annahme, es würden nur junge Leute nach Deutschland einwandern. Rürup, einer der wichtigsten Berater aller Bundesregierungen in Sozialversicherungsfragen, gab damals unumwunden zu, die Einwanderung gehe auf dem Arbeitsmarkt in erster Linie zu Lasten von Frauen und älteren Menschen. Doch die Politik – egal ob schwarz-gelb oder rot-grün – war in dieser Frage kontinuierlich beratungsresistent.

Einer der wenigen deutschen Politiker, die offenbar eine innere Wandlung durchgemacht haben und die Welt so zur Kenntnis nehmen, wie sie ist, ist Bundesinnenminister Otto Schily. Mit seinen immer härter werdenden Erklärungen zur Abschiebung und zum Asylrecht stellt der SPD-Politiker und ehemalige Grüne die Koalition auf eine harte Probe. Aber Schily hat recht. Ohnehin liegt die Ausländerquote in der Bundesrepublik mit elf Prozent bereits höher als die im klassischen Einwanderungsland USA.

Das Sozialsystem verträgt auch keine weitere Zuwanderung. Etwa 40 Prozent aller Empfänger von Sozialhilfe sind Ausländer. Diese Zahl ist schon allein schlimm genug, obwohl sie durch den bevorstehenden Rückgang der Arbeitslosenzahlen (dazu kommt es allein aus demographischen Gründen) nicht mehr zur Kenntnis genommen werden dürfte. Doch die Zahl der erwerbstätigen Ausländer sinkt doppelt so schnell wie die der Deutschen. Gegenüber 1994 betrug der Rückgang 8,3 Prozent.

1998 wurde dafür mit 535.000 arbeitslosen Ausländern, vor allem Frauen, der bisher höchste Stand erreicht. Die Arbeitslosenquote liegt mit 20,3 Prozent inzwischen mehr als doppelt so hoch wie die der Deutschen. Der Grund liegt in der mißlungenen Integration, die besonders im Bildungssystem deutlich wird: 20,9 Prozent aller ausländischen Jugendlichen verlassen die Schulen ohne Hauptschulabschluß. Daran dürfte auch der Doppelpaß nichts ändern.

Aber immer noch messen die rot-grüne Koalition und auch Teile des bürgerlichen Lagers den Erfolg ihrer Politik an der Höhe der Sozialausgaben und der Höhe des Ausländeranteils. Solange es dabei bleibt, ist eine realitätsbezogene Sozial- und Ausländerpolitik nicht möglich.


 
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