© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Wir bleiben hier
Henrik Schulze

An diesem 9. November nahm ich in der Jüterboger Nikolaikirche an einer Veranstaltung teil, die wahrhaft historisch war. Nachdem eine erste große Demonstration am 5. November auf einem Jüterboger Sportplatz stattgefunden hatte, sollte der "Dialog", die verbale Auseinanderstezung zwischen Volk und Führung in der Kirche seine Fortsetzung finden.

Die evangelische Gemeinde hatte zu einer Gespächsrunde eingeladen, die das doppelsinnige Motto trug: "Juden und andere Verfolgte staatlicher Macht". Gekommen waren mehr als tausend Einwohner der Stadt. So voll war die große Stadtkirche seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor allem gelang es den Veranstaltern, Repräsentanten von SED, Polizei und Staatssicherheit als Gesprächspartner einzuladen.

Für mich war der beeindruckendste Moment, als ein Besucher in das überfüllte Kirchenschiff trat und rief: "Die Grenzen sind auf!" Worauf aus der Versammlung der Ruf ertönte: "Und wir bleiben hier!" Das wurde durchaus von der Mehrheit tiefsinnig verstanden. Es ging darum, die eigenen Pobleme zu lösen, darum blieben wir an dem Abend an unserem Platz, und darum blieben wir auch in dem Land, das es zu ändern galt. Dieser Tag wird mir immer im Geächtnis bleiben.


 
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