© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Vergessene Schriftsteller (VII): Werner Bergengruen
Parteigänger der Freiheit
Werner Olles

Werner Bergengruen, als Sohn eines Arztes aus baltischer Familie schwedischer Herkunft am 16. September 1892 in der damals zum Zarenreich gehörenden lettischen Metropole Riga geboren, studierte nach seiner Gymnasialzeit in Lübeck und Marburg zunächst weiter in Marburg, später dann in München und Berlin. Finanziell der Notwendigkeit einer Berufswahl enthoben – er entstammte einer aristokratisch-patrizischen Oberschicht –, versuchte er sich sieben Semester in den verschiedensten Fächern, ohne jedoch zu einem Abschluß zu gelangen. 1914 meldete er sich freiwillig, an den anschließenden Baltikumkämpfen gegen die Rote Armee nahm er als Stoßtruppführer einer Kompanie der Baltischen Landwehr teil.

Anfang der zwanziger Jahre leitete Bergengruen zwei Zeitschriften, die sich mit Fragen des deutschen Ostens befaßten. Ab 1923 lebte er als freier Schriftsteller und Übersetzer in Berlin. In diesen Jahren erschienen seine Romane "Das Gesetz des Atum" (1923), "Das große Alkahest" (1926), "Herzog Karl der Kühne" (1930) und "Der goldene Griffel" (1931). Hinzu kamen Gedichtbände, Reiseglossen, autobiographische Schriften sowie Übersetzungen der großen russischen Realisten.

1936, dem Jahr seines Umzugs nach Solln bei München, konvertierte der Dichter zum Katholizismus. Bergengruen hat dies rückblickend als Ergebnis einer "langsamen, organischen Entwicklung" gedeutet. Ein Jahr zuvor war sein aus einem Novellenmotiv entwickelter psychologischer Roman "Der Großtyrann und das Gericht" erschienen. In ihm nimmt der Tyrann die Suche nach dem Mörder, der er selber ist, zum Anlaß einer Erprobung aller seiner Untertanen; mit Ausnahme eines Färbers, der sich, aus echter Religiosität und um der unheilvollen Verwirrung ein Ende zu setzen, selbst der Tat bezichtigt und so den wahren Schuldigen zum Geständnis bewegt, versagen sämtliche Befragten.

Auch mit dem zwei Jahre später anonym veröffentlichten, von der Gestapo beanstandeten Gedichtzyklus "Der ewige Kaiser" manifestierte Bergengruen literarisch seine Distanz zu den Machthabern. Seine symbolisch verschlüsselten Gedichte kursierten in Abschriften, wurden jedoch wegen ihrer Aktualität durchaus als mutige Kritik der nationalsozialistischen Diktatur aufgefaßt.

Im Oktober 1937 erhielt Bergengruen die offizielle Bestätigung seiner Entfernung aus der Reichsschrifttumskammer. In einem dringlich angeforderten Gutachten des "Gaupersonalamtes München/Hauptstelle für politische Beurteilungen" hieß es: "Weder er noch seine Kinder sind Mitglied einer Parteigliederung. Der deutsche Gruß ’Heil Hitler‘ wird weder von ihm noch von seiner Familie angewendet. Eine NS-Presse bezieht er soweit bekannt ebenfalls nicht. Bemerkt sei noch, daß B. konfessionell stark gebunden ist."

In der Tat war Bergengruens Bekenntnis zu einem "Konservatismus des alten Wahren" und zu den "fundamentalen Gegebenheiten des Daseins, an denen der Mensch sich inmitten aller Schwankungen immer wieder zu orientieren vermag", grundlegend für seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus.

Bergengruen verstand den Beruf des Dichters in erster Linie im Offenbarmachen ewiger Ordnungen. Dieses entschiedene Traditionsbewußtsein war von den Erfahrungen seiner Herkunft nicht zu trennen. So sah er sich als "den letzten Balten, den letzten Kaiserlichen oder Königlichen, den letzten Parteigänger der Freiheit", und den neuzeitlichen Prozeß, der alle Lebensbereiche ergreifenden Mechanisierung, Normierung und Nivellierung, beklagte er als "gänzliche Unwiedererkennbarkeit der Welt", der er als letzter einer verfallenden Zeit seine Behauptung der Individualität entgegensetzen wollte.

1940 erschien sein Roman "Am Himmel wie auf Erden", für den sein Verlag eine Sondergenehmigung erwirkte, die aber später widerrufen wurde. Auch hierin beschäftigte sich der Schriftsteller mit menschlicher Schuld und Schwäche. Um Schuld und Sühne kreiste auch ein Großteil seiner späteren Werke wie "Das Feuerzeichen" (1949) oder die Trilogie "Der letzte Rittmeister", "Die Rittmeisterin", "Der dritte Kranz" (1952–62).

Mit der Gedichtsammlung "Die heile Welt" war Bergengruen 1950 bereits als Lyriker hervorgetreten. Der programmatische Titel, der sich zwar auf eine metaphysische Gewißheit bezog und die deutsche Schuld keineswegs leugnete, geriet jedoch zum Schlagwort einer stilistischen "Unzeitmäßigkeit", dazu beschleunigte Bergengruens elitäre Kulturkritik seinen Resonanzverlust unter den zunehmend stärker nach links tendierenden und vielfach einem neuen Totalitarismus huldigenden Intellektuellen der Bundesrepublik. Zu ihrem großen Unwillen verspottete er zudem die Angst vor den Auswirkungen der Atomenergie und vor einem neuen Krieg als "albern", wohl vor allem, weil sie seinem unbedingten Lebens- und Gottvertrauen, seiner inneren Freiheit und Reserve und seiner schöpferischen Selbstbehauptung ganz entschieden widersprach.

Nun wurde ihm von seinen Gegnern im Kulturestablishment der perfide Vorwurf gemacht, die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands zu verdrängen. Bergengruen antwortete auf diese ungeheuerlichen Anwürfe und Kränkungen mit dem Essay "Schreibtischerinnerungen" (1961). Wiederum befragte er darin die geschichtliche Welt und die Menschen aller Zeiten nach ihrem Verhalten, daß heißt nach ihrem Glauben, aber auch nach ihrem Versagen und nach ihrer schließlichen Überantwortung an die Gnade Gottes.

Seine Bestimmung des Glaubens als existenziellen "Sprung über den eigenen Schatten" ließ ihn auch den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils gegenüber mißtrauisch bleiben. Zu sehr widersprachen sie seiner Auffassung von Katholizität, seinem Verständnis von Nonkonformität und seinen Grundüberzeugungen, daß das, "was im Äußeren vorgeht, nur ein verdeutlichendes und vergröbertes Bild der Dinge ist, die sich in den Seelen der Menschen ereignen".

1958 hatte Werner Bergengruen seinen Wohnsitz nach Baden-Baden verlegt. Hier starb der Dichter am 4. September 1964 im Alter von 71 Jahren.

 

In der Reihe "Vergessene Schriftsteller" erschienen bisher Beiträge von Baal Müller über Ernst Bertram (JF 7/99),Rudolf Borchardt (17/99) und Ludwig Klages (27/99), von Magdalena Gmehling über Ernst Wiechert (10/99), von Ulli Baumgarten über Edwin Erich Dwinger (23/99) und von Werner Olles über Elisabeth Langgässer (42/99).


 
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