© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Klimakonferenzen: Eine Tragödie mit Zwischenspiel in Bonn
Ein Planet wird verheizt
Volker Kempf

Die Triumphe der faustischen Wissenschaft und Technik der letzten 100 Jahre sind so gewaltig, daß die Weltbevölkerung explosionsartig wächst und der Luxus in den führenden Industrienationen utopische Ausmaße erreicht hat. Selbst Flüge zum Wochenendshopping in Übersee werden angeboten. Das kann nicht folgenlos bleiben. Und so werden immer größere Mengen sogenannter Treibhausgase, insbesondere Kohlendioxid (CO2), in die Atmosphäre freigesetzt.

Wenn die von manchen Klimatologen durchaus bestrittenen Berechnungen stimmen, ist eine Aufheizung der Lufthülle die logische Folge. Könnte das mancherorts begrüßt werden, so erlitten andere Regionen schwere Schäden, beispielsweise durch immer heftigere Orkane, Überschwemmungen ganzer Inselgruppen und Küstengebiete oder die Ausbreitung von Wüsten. Die Zeichen stehen also auf Sturm, und Fausts Allmachtstraum beginnt zum Alptraum zu werden.

Wurde bis vor wenigen Jahrzehnten die Schreckensbilanz des Aufstiegs der Menschheit gar nicht zur Kenntnis genommen, so sind die Grenzen der Belastbarkeit des blauen Planeten heute längst in aller Munde. Doch eine grundlegende Kursänderung der ökologisch nicht zukunftsfähigen Entwicklung bleibt in weiter Ferne. Daran konnten auch die geschichtsträchtige UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 und die mittlerweile fünfte Folgekonferenz, welche gerade in Bonn zu Ende geht, nichts ändern. Der Ratifizierung der Klimakonvention von 1992 durch 160 Staaten mit dem Ziel, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf die Höhe von 1990 zurückzuführen, steht bislang nur auf dem Papier.

Fakt ist, daß die energiebedingten CO2-Emissionen in den Jahren 1990 bis 1996 von weltweit 21,252 Milliarden Tonnen auf 22,742 Milliarden anstiegen. An der Spitze dieses Anstieges liegen China, die USA, Japan und in geringerem Umfang auch die Staaten der EU. Daran wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Denn die UN-Klimakonferenzen dringen erstens nicht zum Kern der Probleme vor und haben zweitens ohnehin so gut wie keine Macht.

Der Kern des Problems besteht darin, daß bei allen Verbrennungsprozessen in Produktion und Verkehr naturgesetzlich CO2 frei wird. Mit zunehmender wirtschaftlicher Prosperität steigt damit auch der CO2-Ausstoß an, welhalb China und die anderen genannten Staaten mit ihrem Wirtschaftswachstum zunehmende CO2-Emissionen aufweisen, während Rußland mit einer rückläufigen Wirtschaftsbilanz auch weniger CO2 erzeugt hat als noch Jahre zuvor.

Versuche, durch eine effizientere Nutzung der Energie weniger Treibhausgase zu erzeugen, fallen hingegen nur wenig ins Gewicht. Denn mit der Energieeinsparung wird auch Geld eingespart, das für weiteres Wirtschaftswachstum frei wird. Mehr Arbeitsplätze in Forschung und Produktion entstehen, und mehr Menschen können mehr Geld ausgeben, und das heißt letztlich immer auch: mehr Natur verbrauchen. Und deshalb ist die Naturvernutzung im allgemeinen und der zusätzliche Treibhauseffekt im besonderen weniger ein technisches Problem, als vielmehr eines, das aus den wirtschaftlichen Erfolgen resultiert. Wer also das Heil in der Technik sucht, ist auf dem Holzweg, weil Technik immer nur technische Probleme lösen kann, hier im Kern aber kein technisches Problem vorliegt.

Sogar Greenpeace tut sich mit dieser Wahrheit schwer, wenn es in ihrer Chronologie der Klimakonferenzen im Fazit heißt: "Die Wahl des richtigen Energiesystems wird darüber entscheiden, ob wir den Treibhauseffekt eindämmen." Lief und läuft also doch alles richtig, nur daß wir das falsche Energiesystem haben? Wenn sogar Greenpeace die Umweltprobleme auf unzulässige Weise vereinfacht und entsprechende Lösungsvorschläge macht, was will man dann erst von Politikern erwarten?

Nur sehr wenige Politiker haben in der Vergangenheit ernsthaft versucht, sich der ganzen Tragweite des Problems zu stellen – und sind gescheitert. Der international prominenteste Exponent war US-Vizepräsident Al Gore, der 1992 – im Jahr der UN-Klimakonferenz in Rio – mit seinem Buch "Wege zum Gleichgewicht" einen "Marshallplan für die Erde" forderte und damit Furore machte. Wie dieser Plan aber aussehen sollte, hierauf blieb Gore eine plausible Antwort schuldig. Denn der ursprüngliche Marshallplan vor gut 50 Jahren war auf genau dem technisch-wirtschaftlichen Weg, der nach Gore heute so verhängnisvoll sei. Auf welcher neuen Grundlage Gores "Marshallplan für die Erde" fußen und auf den Weg gebracht werden solle, ließ der US-Vize bis heute im Dunkeln. So nimmt es nicht wunder, daß Al Gore mittlerweile ruhiger geworden ist.

Der Umweltpolitiker Herbert Gruhl, der mit "Das irdische Gleichgewicht" schon 1982 einen ähnlich lautenden Buchtitel vorlegte, stellte fest, daß Gore keine schlüssige Antwort gab, weil niemand eine habe. Gruhl selbst stritt in den achtziger Jahren für ein materielles Weniger und ein Mehr an Lebensqualität, bekundete in den frühen neunziger Jahren aber, daß diese nur etwas für Philosphen und Dichter sei und nicht die breiten Massen erreiche. Statt im Politikbetrieb zu funktionieren, zog Gruhl es vor, in die politische Isolation zu gehen und Bücher über die "Karawane der Blinden" zu schreiben.

Ähnlich erging es dem Professor für Ökonomie und langgedienten nordrhein-westfälischen Spitzenpolitiker der SPD, Friedhelm Farthmann, der 1996 eine ungeschminkte Öko-Bilanz der auf Wachstum beruhenden Geldwirtschaft vorlegte und dafür von Medien wie Parteigenossen Ignoranz erntete. Als habe er dies geahnt, hatte Farthmann sein Buch "Blick voraus im Zorn" genannt.

Ist Farthmanns Analyse von einer nur selten anzutreffenden Klarsicht, so überschätzt er die Möglichkeiten einer Politik, die durch ökologische Gefährdungen und ökonomische Schwierigkeiten geläutert, statt eines materiellen Wachstums, das Leitbild eines weniger materialistischen, aber dafür langlebigeren Wohlstandes bekleidet.

Bereits der Erste Weltkrieg hat gezeigt, daß die mit ihm verbundenen Entbehrungen die Suche nach dem vermeintlichen Glück im Gelde eher noch forciert als abgemildert und damit den Unterbau für weitere wirtschaftliche Kraftentfaltungen geschaffen habe. Genau dies unterstreicht in der gegenwärtig ökonomisch schwieriger werdenden Zeit die abnehmende Konjunktur ökologischer Themen zugunsten der Schaffung weiterer Arbeitsplätze durch Wirtschaftswachstum.

Dieses Augen-zu-und-durch ist die letzte Zuckung der Wachstumsideologie, die rastlos an ihr Ende will und dabei die Erde verheizt. Erst dann folgt ein Crash aller Systeme, aus dem vielleicht die Menschheit geläutert hervorgeht und einen radikalen Neubeginn wagt. So lange ringt die Menschheit mit sich selbst, feilscht auf Klimakonferenzen um CO2-Abgaskonzessionen, ohne einen politisch gangbaren Weg aus der Wachstumswirtschaft zu wissen. Die Klima- und Umweltkonferenzen werden so selbst zum Bestandteil der Wachstumswirtschaft, dienen der Schadensbegrenzung und damit bestenfalls der längeren Verweildauer dieses Systems, ohne das unvermeidbare Ende abwenden zu können. Der eine oder andere Kanzler, Präsident oder Vizepräsident wird noch eine schöne Rede halten, um in der Wählergunst zu steigen, viel mehr auch nicht.

Faust strebte nach Allmacht, erreichte sie und will heute am liebsten seine gute alte Ohnmacht zurück. Doch das Rad der Geschichte kann nicht zurückgedreht werden. Der Tragödie letzter Akt hat begonnen: "Es ist wahrscheinlich zu spät, um die globale Erderwärmung noch zu verhindern" (Klaus Töpfer).


 
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